Quo vadis Bildungssystem?

Das rumänische Schulsystem weist zahlreiche Probleme auf

Das rumänische Bildungssystem hinkt im internationalen Vergleich hinterher. | Symbolfoto: pixabay.com

Erfolgsquote in Prozent beim Abitur 2023 auf Kreisebene

Erzielte PISA-Ergebnisse rumänischer Schülerinnen und Schüler (Quelle: OECD)

Bei der PISA-Studie 2022 schnitten rumänische Schülerinnen und Schüler eher schlecht ab, da die Leistungskurve wieder nach unten zeigt. Mit ihren Ergebnissen lagen sie unter dem OECD-Durchschnitt. Auch das durchwachsene Abschneiden bei den Abitur-Simulationen Anfang des Monats wirft ein schlechtes Licht auf den Bildungsstand. Demgegen-über stehen jedoch besonders gute Abiturientenquoten in den vergangenen Jahren. Wie steht es also um das Bildungssystem in Rumänien?

Die PISA-Studie wurde von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ins Leben gerufen, um die Lese-, Mathematik- und Naturwissenschaftskenntnisse 15-jähriger Schülerinnen und Schüler zu evaluieren. Die Erhebungen finden in der Regel alle drei Jahre statt. Die geplante  Evaluierung 2021 wurde aufgrund der COVID-19-Pandemie um ein Jahr verschoben, die letzte PISA-Erhebung fand deswegen 2022 statt. 

Daten der Bildungsevaluation zeichnen ein uneinheitliches Bild

Die rumänischen Schülerinnen und Schüler erzielten beim PISA-Test 2022 in den Bereichen Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften ähnliche Durchschnittswerte wie im Jahr 2018. In Mathematik lagen die Durchschnittswerte 2022 jedoch unter denen von 2012 und 2015. In den Bereichen Lesen und Naturwissenschaften waren die Ergebnisse in diesem letzten PISA-Zyklus ähnlich wie bei den vorherigen PISA-Bewertungen seit 2012. Rumänien erreichte eine Gesamtpunktzahl von 428 Punkten, was der „Niveaustufe 2“ entspricht und zeigt, dass es zu den Ländern gehört, die im Bereich Bildung relativ schlecht abschneiden. Die rumänischen Schüler verfügen somit nicht über die erforderlichen Mindestkompetenzen. Innerhalb der Europäischen Union schnitt nur Bulgarien noch schlechter ab.

Demgegenüber steht jedoch eine landesweite Abiturientenquote, die 2023 bei 75 Prozent lag. Dies war der zweithöchste Wert in den letzten zehn Jahren. Die Zahl der Bestnote 10 war jedoch auch viermal niedriger als im letzten Jahr, während die Durchschnittsnoten zwischen 6,50 und 9 zunahmen.

Fehlende Kontinuität: 15 Bildungsminister in zwölf Schuljahren

Um beispielsweise die Ergebnisse der Abiturprüfungen in einem breiteren Kontext zu betrachten und zu sehen, wie das Schulsystem als Ganzes aussieht, lohnt es sich, einen Blick auf den Abschlussjahrgang 2023 zu werfen. Diejenigen Schülerinnen und Schüler, die vergangenes Jahr das Abitur ablegten, gehören zu der Generation, die im Schuljahr 2011/12 in die erste Klasse starteten. Allein in den zwölf Jahren bis zum Abitur gab es insgesamt 15 unterschiedliche Bildungsministerinnen und -minister. 15 Personen, die mehr oder weniger ihre eigenen Ideen, Projekte und Reformen in das Bildungssystem eingebracht haben. Allein die absurde Anzahl an Personalwechseln führt auch einem bildungspolitischen Laien vor Augen, dass sich unter derartigen Umständen keine kontinuierliche Bildungspolitik umsetzen lässt. Im bildungspolitischen Kontext glänzte der rumänische Staat durch Diskontinuität.

Den Auftakt machte Daniel Funeriu (Dezember 2009 - Februar 2012). Er erarbeitete das Bildungsgesetz, mit dem die neunte Klassenstufe als Sekundarstufe und die Schulpflicht für zehn Schuljahre eingeführt wurde. Zudem führte er die Kameraüberwachung bei den nationalen Prüfungen ein. Auf ihn folgten Cătălin Baba (Februar - Mai 2012) und Ioan Mang (7. Mai - 15. Mai 2012), die sich durch ihre kurzen Amtszeiten und letztlich durch ihre Rücktritte wegen Plagiatsaffären auszeichneten. Liviu Pop fungierte zweimal als Bildungsminister (Mai - Juli 2012; Juni 2017 - Jan. 2018), bekannt wurde er dank seiner Bestrebungen, einen einzigen Verlag für die Ausgabe der Schulbücher zuzulassen. Zudem tat er sich als Verteidiger des damaligen Ministerpräsidenten Victor Ponta während der Plagiatsaffäre hervor. Auch Ecaterina Andronescu nahm den Posten der Bildungsministerin zweimal (Juli - Dez. 2012; Nov. 2018 - August 2019) ein. Sie unterstützte während beider Amtszeiten die Möglichkeit, ein berufliches Abitur zu erhalten, sofern die Abiturprüfung beim ersten Anlauf nicht bestanden wird. Remus Pricopie (Dez. 2012 - Dez. 2014) führte die Pflicht zum Besuch von elf Schuljahren ein. Darüber hinaus nahm er etwa 100 Änderungen an Bildungsgesetzen vor. Dazu gehörte auch die Durchführung der Abiturprüfung in drei Abschnitten. Sorin Cîmpeanu (Dez. 2014 - Nov. 2015; Dez. 2020 - Sept. 2022) unterstützte die Einführung eines neuen Bildungsgesetzes und initiierte die umstrittene Dringlichkeitsverordnung 94/2014 zur „Plagiatsamnestie“. Darauf folgten Adrian Curaj (Nov. 2015 - Juli 2016) und Mircea Dumitru (Juli 2016 - Jan. 2017). Pavel Năstase hatte ebenfalls eine kurze Amtszeit (Jan. - Juni 2017). Danach hielt sich Valentin Popa auch nur wenige Monate (Jan. - Sept. 2018) bis zu seinem Rücktritt. Auf ihn folgte Rovana Plumb mit einer kurzen Amtszeit (Sept. - Nov. 2018). Auf die zweite Amtszeit von Andronescu folgte wieder kurz Daniel Breaz (Aug. - Nov. 2019). Danach kam Monica Anisie (Nov. 2019 - Dez. 2020). Seit Oktober 2022 bekleidet Ligia Deca das Amt der Bildungsministerin.

Vorzeigbare Prüfungsstatistiken mit Schattenseiten

Im vergangenen Jahr lagen 22 Kreise bei der Abiturprüfung über dem Durchschnitt der landesweiten Bestehensquote. Die Spitzenplätze belegten die Kreise Brăila (84,7 % Bestehensquote), Klausenburg/Cluj (84,3 %), Jassy (82,2 %) sowie Bacău, Galatz und Alba mit Erfolgsquoten von jeweils über 81 Prozent. Landesweit bestanden in allen Kreisen über 60 % der Schülerinnen und Schüler, die zur Prüfung antraten, das Abitur. Die Ausnahme bildete der Kreis Ilfov mit einer unterdurchschnittlichen Quote von nur 51,9 Prozent.

Auf den ersten Blick sind das durchaus passable Statistiken, die auch gerne von den Schulinspektoraten auf Kreisebene gemeldet werden. Durchdringt man die Zahlen jedoch detaillierter, so zeigen sich jedoch auch einige besorgniserregende Entwicklungen. An 50 Gymnasien lag beispielsweise die Bestehensquote bei Null, und die Zahl der Schulen, an denen keine Schüler das Abitur ablegen, hat sich in den letzten vier Jahren verdoppelt. Die meisten Schüler, die das Abitur nicht abgelegt haben, sind Absolventen von technischen Gymnasien.

Zudem lässt sich auch ein sogenannter „Schülerschwund“ beobachten, wenn man auf die Zahlen des Abiturjahrgangs 2023 schaut. Im Schuljahr 2011/12 starteten 206.055 Schülerinnen und Schüler in der ersten Klasse. 2019/20 waren nach der nationalen Evaluation noch 175.400 für die neunte Klassenstufe gemeldet. Drei Jahre später tauchen nur noch 147.500 Schülerinnen und Schüler in der Statistik für die zwölfte Klasse auf. Von diesen wurden114.500 zur Abiturprüfung 2023 angemeldet.

Der Schülerschwund wird teils auch mit der Arbeitsmigration vieler Familien erklärt, die Rumänien mit ihren Kindern verlassen. Als weit wichtigeren Grund verweisen Bildungsexperten jedoch auf das sogenannte „Brăila -Phänomen“. Dahin-ter verbirgt sich eine Strategie, die Erfolgsquotenstatistik bei den nationalen Prüfungen deutlich zu erhöhen bzw. „schöner erscheinen“ zu lassen. Das Lehrpersonal sortiert dabei Schülerinnen und Schüler mit schlechteren Noten und schwächeren Leistungen während der Schuljahre vorsätzlich aus. Sie gelangen somit nicht zur Teilnahme an den Abschlussprüfungen zur nationalen Evaluation. So sind eben nur Schüler angemeldet, welche die besten Chancen auf einen möglichst guten Prüfungserfolg haben. Die Strategie ist erfolgreich und findet auch zunehmend in anderen Kreisen Einzug. Der Kreis Brăila hatte bei beiden landesweiten Prüfungen eine Bestehensquote von über 80 Prozent. Die Verlierer dieses Systems der „geschönten Statistiken“ sind hingegen die Kinder und Jugendlichen, die dabei auf der Strecke bleiben und aus dem Schulsystem fallen. Im Gegensatz zu den Bildungssystemen der skandinavischen Länder, in denen versucht wird, jeden Schüler unabhängig von seiner sozialen Herkunft und seiner Leistungsfähigkeit die beste Förderung zu ermöglichen, werden im rumänischen Bildungssystem schwächere Schülerinnen und Schüler systematisch vernachlässigt oder sogar aussortiert. Dieses Versäumnis hat schwerwiegende Folgen für die „verlorenen“ Jugendlichen. Betrachtet man die von Eurostat für das Jahr 2022 erhobenen Daten zum Bildungsniveau junger Erwachsener, so weist Rumänien mit einem Anteil von 15 Prozent die meisten jungen Menschen in der Altersskala von 18 bis 24 Jahren in der EU auf, die über keine allgemeine oder berufliche (Aus)Bildung verfügen oder diese vorzeitig abgebrochen haben.

Stadt-Land-Gefälle weiterhin groß

Die Prüfungsergebnisse weisen auch große Unterschiede zwischen ländlichen und städtischen Schulen auf. Die Kluft scheint mit jeder Prüfung, unabhängig ob Abitur oder nationale Evaluierung, größer zu werden. Bei der Abiturprüfung des letzten Jahrgangs lag die Zahl der Absolventen mit einem Durchschnitt von über 6, der für die Abiturprüfung erforderlich ist, in ländlichen Gebieten um 12 Prozent niedriger. Bei der nationalen Evaluierung hatten fast 40 Prozent der Absolventen der 8. Klasse eine Durchschnittsnote von unter fünf. In den Städten lag diese Quote bei 14 Prozent. Die Erklärung für die Diskrepanz zwischen Stadt und Land ist der Mangel an Chancengleichheit unter den Schülern sowie eine kontinuierliche Anhäufung von Faktoren, die auf sozio-ökonomischen Problemen basieren. Wie verschieden einzelne Bildungseinrichtungen auch in unmittelbarer Nähe sein können, zeigt sich auch innerhalb der Hauptstadt. Das Nationalkolleg „Gheorghe Lazăr“ in Bukarest wies eine Durchschnittsnote von 9,48 beim Abitur auf. Nur ein wenig südlicher in der Hauptstadt legten nur zwölf von 91 Schülern des Technischen Lyzeums „Dacia“ die Prüfung ab. Die Durchschnittsnote lag auch nach Einsprüchen bei knapp über 1. Das Beispiel ist ein guter Indikator dafür, dass die Unterschiede trotz eines zentral gesteuerten Bildungssystems weiterhin eklatant hoch sind.