Tauziehen um das Goethe-Kolleg

Deutsche Minderheitenschule in Bukarest im Brennpunkt der Interessen zerrieben

„Die wahre Heimat ist eigentlich die Sprache“, sagte schon Wilhelm Freiherr von Humboldt. Und auch die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen stützt sich auf Sprache als identitätsbildendes Merkmal. Wer sich deutsch fühlt, spricht Deutsch und wünscht sich dies auch für seinen Nachwuchs. Umso mehr, wenn die Kinder in einem rumänischen Alltag oder einem zweisprachigen Haushalt aufwachsen. Daher ist für jede Minderheit das Recht auf eine eigene Schule wichtig, die neben Unterricht in der Muttersprache auch kulturelle Werte vermittelt. Der rumänische Staat gewährt seinen Minderheiten diese Rechte in vorbildlicher Weise – theoretisch ist alles in Butter! Und natürlich ist es kein Problem, dass auch die Mehrheit zu ihren Schulen Zugang hat. Gerechtigkeit muss schließlich beidseitig sein. Wenn also ein Rumäne gerne Deutsch, Ungarisch oder Kroatisch lernen möchte, als Muttersprache und vor dem entsprechenden kulturellen Rahmen – warum nicht? Ein Blick über den Tellerrand erweitert den Horizont.

Paradox Bukarester Goethe-Kolleg

Nur, in der Realität gibt es leider auch Ausnahmen vom Idealzustand: Betrachtet man das Bukarester Goethe-Kolleg, stößt man auf einen gordischen Knoten an schier unlösbaren Komplikationen. Interessenskonflikte zwischen der deutschen Minderheit und einem Teil der Mehrheit stellen die seit März diesen Jahres amtierende Schulleiterin, Maria Lipan Weber, auf eine harte Zerreißprobe.
In „Die wundersame Vermehrung der deutschen Minderheit“ (vom 12.4.2012) berichtete die ADZ bereits über die Problematik des anhaltenden Ansturms auf das Goethe-Kolleg, der zu einem erbitterten Wettkampf um die begrenzten Plätze führte. Dass Plätze für die Kinder der deutschen Minderheit eigentlich garantiert sein sollten, versteht sich aus dem Zweck der Schule. Doch auf einmal bekannten sich rumänische Eltern zu Mitgliedern der deutschen Minderheit – nur um ihrem Kind die Aufnahme zu garantieren! Ein genialer Schildbürgerstreich, denn die Zugehörigkeit zu einer Minderheit erfolgt in Rumänien rein deklarativ.

Der Staat gibt kein Dokument heraus, das eine solche attestiert, weder auf der Basis von Abstammung noch sonstigen Kriterien, die ohnehin schwer zu definieren sind. Muss man Baumstriezel essen oder Schuhplattler tanzen, um nachweislich deutsch zu sein? Oder die Urururgroßeltern bis zu einer der siebenbürgischen Kirchenburgen zurückverfolgen können? Brandgefährlich! Stammbäume, um den Grad ethnischer Reinheit nachzuweisen, hatten wir schon einmal in der Geschichte...
Die gerechte Lösung klingt einfach: ein Sprachtest für alle. Der Pferdefuß: Nun kann es passieren – und es gab vereinzelte Fälle, wie Maria Lipan Weber bestätigt –, dass ein deutsches Kind aus Schüchternheit oder Prüfungsangst durch den Aufnahmetest fällt und auf die rumänische Schule verwiesen wird. Was erstens den Zweck des Goethe-Kollegs als Minderheitenschule infrage stellt und zweitens das Recht der Minderheit auf ihre Sprache aushöhlt.

Woran sich die Fronten entzweien

Spinnen wir den Faden weiter bis zum eigentlichen Konflikt: Dank elterlichem Ehrgeiz und guter Vorbereitung in einem der zahllosen deutschen Kindergärten besteht ein rumänisches Kind also stattdessen den Test und wird aufgenommen. Doch wenn im Alltag nicht Deutsch gesprochen wird, wenn keine deutschen Filme geschaut, keine deutschen Bücher gelesen werden, bleibt der Wortschatz des Kindes beschränkt und es ist nur eine Frage der Zeit, wann es im Unterricht nicht mehr mitkommt. Spätestens in der 5. Klasse beginnen dann die Probleme, erläutert die Schulleiterin: Eltern rennen ihr die Türen ein und beschweren sich, der Lehrstoff sei zu schwer. „Man wirft mir als Deutschlehrerin vor, ich hätte zu hohe Ansprüche, weil ich in der neunten Klasse Verben wie ‚wissen‘ oder ‚nehmen‘ im Präsens konjugiert habe.“ Man solle mehr auf Rumänisch erklären, wurde gefordert. Schließlich wurde sogar die Idee laut, die Abschlussprüfung auf Deutsch abzuschaffen, um den Notendurchschnitt nicht zu verderben – in einer deutschen Schule!

Die Gegenseite wiederum – Deutsche, aber auch Rumänen – beklagt das sinkende Niveau oder dass in den Pausen auf dem Korridor nur noch Rumänisch gesprochen wird, dass es zu wenig qualifizierte Deutschlehrer gibt und nicht genug auf Deutsch unterrichtete Fächer. Zudem erschweren Raumnot und andere Unannehmlichkeiten als Folgen des übermäßigen Andrangs den reibungslosen Schulbetrieb. Zerrieben zwischen den Fronten leidet der Ruf der prestigereichen Schule und die Atmosphäre im Lehrkörper hat sich in den letzten Jahren zusehends vergiftet. Manche Eltern versuchen gar, die Lehrer, den Elternrat oder die Schulleitung zu beeinflussen – und beklagen Korruption ausgerechnet dann, wenn man sich explizit darum bemüht, diese auszuschließen, weil sie ihre Felle davonschwimmen sehen.

Etwa bei den diesjährigen Aufnahmetests, für die in allerletzter Minute Prüfer aus Deva und Neumarkt/Târgu Mureş organisiert wurden, weil Vorwürfe aufkamen, der eigene Lehrkörper sei bestechlich. Wie man es anstellt, man kann es nur verkehrt machen, seufzt Maria Lipan Weber.
Ein wenig wehmütig erinnert sie sich an die Zeit zurück, als sie selbst hier die Schulbank drückte. Damals galt das heutige Goethe-Kolleg als renommierte Traditionsschule der Bukarester deutschen Minderheit. Heute ist sowohl das eine wie auch das andere ins Wanken geraten: Zuletzt hatte die – mittlerweile abgesetzte – Schulleiterin Cristina Popa auf Druck gewisser Interessengruppen sogar vom Unterrichtsministerium gefordert, das Goethe-Kolleg in eine rumänische Schule umzuwandeln.

Ein Viertel Jahrtausend Traditionsschule

„Das ist ein absolutes No-go!“, lächelt Christiane Gertrud Cosmatu freundlich, aber bestimmt über ihren Schreibtisch hinweg. „Wir können nicht eine Schule, die der deutschen Minderheit gewidmet ist, einfach aus diesem Netz der Minderheitenschulen herausholen. Die Minderheit hat ein Recht auf diese Schule!“ Die Unterstaatssekretärin im Departement für interethnische Beziehungen an der rumänischen Regierung (DRI) muss es wissen: 17 Jahre lang unterrichtete sie selbst Deutsch, bis sie ans Bildungsministerium berufen wurde. Dort war sie für das Schulwesen der Minderheiten verantwortlich. „Es gab eine ständige Kooperation mit der deutschen Seite. Vieles wurde umgekrempelt! Ich habe an Verhandlungen zum Schulabkommen über Spezialabteilungen (Anm: deutschsprachige Schulen an staatlichen Schulen in MOE-Staaten) teilgenommen und den ganzen Aufbau mitgestaltet. Auch deswegen ist mir diese Schule sehr wichtig!“

Lebhaft erinnert sie sich an ihre eigene Einschulung, als der Schulbetrieb noch neben der evangelischen Kirche stattfand. 1958 ist das Gebäude abgerissen worden, um Wohnblocks um den Saal des Palastes zu errichten. Die ursprünglich lutherische Schule, die 1948 verstaatlicht wurde, hat sechsmal den Namen und dreimal das Gebäude gewechselt. Doch mit Ausnahme einer sehr kurzen Zeit galt sie über ein Viertel Jahrtausend als Schule der deutschen Minderheit. „Die Erinnerungen an diese Schule sind in allen von uns tief verankert“, erklärt Christiane Cosmatu. Seit den 90er Jahren sind auch die Klassentreffen wieder stärker aufgelebt. „Sie werden sehr viele Leute in Bukarest, aber auch außerhalb des Landes finden, die diese Schule sehr hoch halten und immer wieder auf das fundierte Wissen hinweisen, das sie mitbekommen haben“, erklärt sie, während sie stolz ihr Klassenfoto in der Festschrift „250 Jahre deutsche Schule in Bukarest“ zeigt.

Als Minderheitenschule stand das heutige Goethe-Kolleg trotzdem von Anfang an auch allen anderen Ethnien offen. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts stammten etwa drei Viertel der Schüler aus nichtdeutschen Bukarester Familien, vor allem aus rumänischen und jüdischen. Der Trend, eine deutsche Schule zu besuchen, ist also nicht ganz neu. „Und sie sind uns herzlich willkommen!“, versichert Christiane Cosmatu empathisch. „Grundvoraussetzung war damals allerdings, dass man zuhause Deutsch gesprochen hat. Und da hat sich mit der Zeit etwas verändert...“
Nachdenklich fügt sie an: „Jahrelang haben die rumänischen Mitbürger ihre Kinder auf diese Schule geschickt und alles in Kauf genommen, was so eine Schule beinhaltet und ausmacht. Wieso will man plötzlich etwas anderes?“ Über die Gespräche im Verwaltungsrat der Schule, aus dem Goethe-Kolleg eine rumänische Schule zu machen, und über den Antrag, die Note im Fach Deutsch nicht in die Gesamtnote von Prüfungen einfließen zu lassen, zeigt sie sich schlichtweg entrüstet.

Ein Recht, das man nicht einfordern kann

Es ist kein Novum, dass unzufriedene Eltern aus der deutschen Minderheit ins Ministerium strömen, weil ihr Kind beim ersten Durchgang nicht angenommen wurde, erzählt Cosmatu weiter. „Auch das Forum sieht es kritisch, wenn die Kinder der Minderheit nicht ankommen.“ Immerhin gibt es laut Volkszählung noch gut 1100 Rumäniendeutsche in der Hauptstadt. „Ein Nachweis der Zugehörigkeit ist jedoch sehr heikel und von vorn-herein auszuschließen“, bestätigt sie. „Doch Schulen können ihre Instrumente entwickeln, wie sie das handhaben. Nur wo der Andrang so groß ist, da ist es nicht einfach.“ So stehen wir vor einem weiteren Paradox – dass die Minderheiten zwar Rechte haben, diese aber nicht juristisch einfordern können, wie der Anwalt Christian Töpfer, Vorsitzender des DFDR-Jugendforums im Altreich und selbst Vater zweier Kinder am Goethe-Kolleg, erklärt. Ein Recht, das sogar in der Europäischen Charta der Minderheiten- und Regionalsprachen, die Rumänien unterzeichnet hat, verbrieft ist!

Das unproportional hohe Interesse rumänischer Eltern ohne jegliche Beziehung zur deutschen Kultur erklärt sich Töpfer damit, dass viele die deutsche Schule als Sprungbrett ins Ausland betrachten. Die derzeitige Rechtslage unterstützt das Phänomen, weil das Unterrichtsgesetz rumänischen Kindern an Minderheitenschulen uneingeschränkte Zulassung garantiert. So kommt es, dass der aus dem Elternrat gewählte Verwaltungsrat der Schule mittlerweile zu 100 Prozent rumänisch besetzt ist. Eine Zeitlang brauchte man sogar Übersetzer für die Korrespondenz mit Deutschland, entrüstet sich der zweifache Vater. Auch die Schulleiterin bestätigt, dass es deswegen schon Probleme gab: Ein sprachliches Missverständnis hatte verwaltungstechnische Folgen, sodass in diesem Schuljahr keine zweite Spezialklasse mehr gegründet werden konnte.

Theoretisch sollte man meinen, dass die Schule ihre „Hausordnung“ vorgibt, und wer das einmal akzeptiert hat, muss sich fügen. Doch heutzutage werden die Regeln auch während des Spiels geändert. „Weil im (Anm. d. Red.: vom Elternrat gewählten) Verwaltungsrat alles bestimmt wird – die Klassen, wer angestellt wird, als Schulleiterin kann ich nichts alleine entscheiden“, erläutert Lipan Weber. Der Druck der Eltern wegen guter Noten um jeden Preis spiegelt sich daher auch in den Forderungen des Verwaltungsrates wider. „Man hat sogar die Einführung eines englischen Abiturs durchsetzen wollen“, schüttelt Töpfer den Kopf. „Oder eine Zählung der Schüler der deutschen Minderheit – als Argument für eine Umwandlung der Schule“. Wobei sich hier der Hund in den Schwanz beißt: Denn wer gehört offiziell zur deutschen Minderheit?

Sekundäre Tugenden bewahren

In einer Minderheitenschule müsste zumindest das Deutsche Forum ein garantiertes Mitspracherecht haben, schlägt Maria Lipan Weber vor. „Doch dagegen wehrt sich der derzeitige Rat mit Händen und Füßen.“ Es sei diskriminierend, so das Argument. „Die Schule vermittelt nicht nur eine Sprache, sondern auch eine Kultur“, argumentiert Christiane Cosmatu und betont: „Gerade das möchten wir nicht zerstört haben!“ Die deutschen Schulen in Rumänien erfreuen sich ihres Ansehens schließlich auch wegen dieser sekundären Tugenden. Es wird weniger auswendig gelernt, der Akzent liegt auf Argumentation, Bildung einer eigenen Meinung und auf freiem Sprechen. Der Lehrplan ist nicht überfrachtet. Gruppenarbeit findet statt und es werden Ausflüge und andere Aktivitäten organisiert. „Doch heute geht es nur noch um Noten! Andere Länder haben damit kein solches Problem“, schließt sie aus ihren Erfahrungen mit dem Programm Youth for Un-derstanding. „Dort fragt keiner, ob das Kind einen notenmäßigen Nachteil hat, wenn es am Schüleraustausch teilnimmt.“

Töpfer zeigt sich auch wegen eines weiteren Phänomens besorgt: Auf der einen Seite wählen Eltern explizit diese Schule wegen ihrer bekannten Qualitäten, doch auf der anderen Seite gibt es einige, denen es bereits gelungen ist, mit Druck und Geld Einfluss auf Noten zu nehmen oder bevorzugte Lehrer einzustellen. „Balkanische Sitten, die es früher nicht gab – und die die deutsche Minderheit nicht will!“, bemerkt er düster. Um den hohen Anspruch des Goethe-Kollegs solchen Interessen nicht opfern zu müssen, wünscht sich Maria Lipan Weber eine stärkere Partnerschaft mit dem Deutschen Forum, der evangelischen Kirche und der deutschen Botschaft. Seit 18 Jahren unterrichtet sie Deutsch an dieser Schule, und den stressigen Schulleiterposten hat sie nur akzeptiert, um zu retten, was ihr am Herzen liegt. Ihr und vielen anderen Bukarester Deutschen und Rumänen in diesem letzten Vierteljahrtausend.