„Aber die Wirtschaft!“

Die Rumänische Regierung opfert tausende Menschenleben

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„Im Jahr 2020 ist die Zahl der Todesfälle im Vergleich zu 2019 explosionsartig angestiegen“, erklärte der Präsident des Nationalen Instituts für Statistik (INS) vor wenigen Tagen. Laut Tudorel Andrei verzeichnete Rumänien im November und Dezember die meisten Sterbefälle seit dem Zweiten Weltkrieg. Allein im Dezember sind nach Angaben des INS insgesamt 36.116 Menschen verstorben und damit 59,7 Prozent mehr als im Dezember 2018.

Mit dem Begriff „Übersterblichkeit“ wird in der Epidemiologie und im Gesundheitswesen die Anzahl der Todesfälle bezeichnet, die aufgrund einer besonderen Situation über die unter „normalen“ Bedingungen erwartbaren Todesfälle hinausgeht. Dazu werden bestimmte Zeiträume aus vergangenen Jahren zum Vergleich herangezogen, um die erhöhte Sterberate zu ermitteln.

Im Fall der Covid-19-Pandemie kann die Übersterblichkeit ein Hinweis zur Letalität des Erregers SARS-CoV-2 geben. Eine genauere Einschätzung würde zwar die Infektionssterblichkeit liefern, doch um diese zu errechnen, müsste die Zahl der tatsächlich Infizierten bekannt sein. Auch besteht bei dieser Berechnungsmethode die Möglichkeit, dass die Zahl der Covid-19-Todesfälle sowohl über- als auch unterschätzt wird, da diese von den Kriterien abhängen, unter denen ein Todesfall als Covid-19-Todesfall registriert wurde. Die Methode der Übersterblichkeit bietet hier den Vorteil, dass Sterblichkeitsraten während einer Pandemie mit einem Basiswert, der aus den vergangenen Jahren abgeleitet wurde, verglichen wird.

Die Daten des Nationalen Instituts für Statistik zeigen, dass die Zahl der Todesfälle zwar von März bis Juni 2020 im Bereich des Vorjahres (2019) lagen, ab Juli allerdings signifikant mehr Todesfälle registriert wurden. Über einen deutlichen Anstieg im Oktober kam es schließlich im November und Dezember zu den Eingangs erwähnten Rekord-Sterbefällen: September: 21.973; Oktober: 27.491; November: 34.769; Dezember: 36.116. Im Dezember 2019 verstarben lediglich 22.612 Menschen.

In der Europäischen Union wurden für die Zeit von März bis November 2020 mehr als 450.000 überzählige Todesfälle registriert, verglichen mit dem Durchschnitt der Jahre 2016 bis 2019 im gleichen Zeitraum. Die Zahl der Todesfälle in den EU-Ländern begann im Frühjahr 2020 zu steigen, inmitten der ersten Welle der Pandemie. Besonders betroffen waren dabei Spanien und Italien. Der Höhepunkt der Übersterblichkeit in den Mitgliedsstaaten wurde dann im November 2020 erreicht, als eine zweite, wesentlich tödlichere Welle viele Länder traf – auch Rumänien. Besonders hohe Sterberaten hatten nun Polen, Bulgarien und Slowenien.

Von März bis Dezember zählte das rumänische Statistik-Institut insgesamt 251.660 Todesfälle, ein Jahr zuvor waren es im gleichen Zeitraum hingegen nur 210.567. Das bedeutet einen Anstieg von 19,5 Prozent. Der Unterschied zwischen Dezember 2019 und Dezember 2020 liegt sogar bei knapp 60 Prozent. Die Tatenlosigkeit der Regierung hat also allein im November und Dezember zu rund 27.000 vermeidbaren Todesfällen geführt – das entspricht einer Stadt mit so vielen Einwohnern wie Schäßburg. 

Denn Epidemiologen hatten schon im Frühjahr vor einer zweiten stärkeren Welle gewarnt. Doch anstatt das Land für spätestens Oktober auf eine Null-Covid-Strategie vorzubereiten, beschränkte sich die Regierung auf die Einführung eines Ampel-Szenarios, welches freilich nur in den Landkreisen zu Einschränkungen führen konnte, in denen überhaupt genügend Corona-Tests durchgeführt wurden, um die Grenzwerte auch zu erreichen. Und um den Jahreswechsel hat diese Alibimaßnahme schließlich sogar dazu geführt, dass im ganzen Land immer weniger Tests durchgeführt werden und man sich nun in Bukarest und den Kreisstädten mit guten Werten selbst belügt.

Nun ist die Übersterblichkeit möglicherweise nicht allein auf Covid-19 zurückzuführen. Denn auch aufgeschobene Operationen, ausgelassene Arztbesuche oder eine schlechtere medizinische Versorgung von Patienten mit anderen Krankheiten können ihren Beitrag geleistet haben. Andererseits kann aber auch eine bessere Hygiene sowie das Tragen von Mund-Nase-Masken Krankheiten und sogar Todesfälle verhindert haben. Ein Indiz dafür ist die ausbleibende Grippewelle. Dementsprechend hat sich die bundesdeutsche Max-Planck-Gesellschaft einem weiteren Kriterium gewidmet: der verlorenen Lebenszeit.

Die internationale Forschergruppe hat 1,2 Millionen Todesfälle aus 81 Ländern ausgewertet, um Rückschlüsse zu ziehen, wie stark ihre Leben im Vergleich zur durchschnittlichen Lebenserwartung verkürzt wurden. „Menschen in der Mitte ihres Lebens und im frühen Rentenalter tragen im weltweiten Vergleich den größten Anteil an den insgesamt verlorenen Lebensjahren“, konstatiert Mikko Myrskylä, Direktor des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung in Rostock.

In Ländern mit hohen Einkommen trägt die älteste Bevölkerungsgruppe über 75 Jahren meist über die Hälfte der verlorenen Lebensjahre. Genau umgekehrt ist dieses Bild in Ländern mit mittlerem und niedrigen Lohnniveau. Hier ist der Anteil der verlorenen Lebensjahre in der jüngsten Bevölkerungsgruppe unter 55 Jahren größer.

Laut Myrskylä stellt die Studie nur eine Momentaufnahme während der Pandemie dar, und die tatsächliche Zahl verlorener Lebensjahre könne sie sowohl überschätzen als auch unterschätzen. „Trotzdem bestätigen unsere Ergebnisse, dass die Auswirkungen der Pandemie auf die Sterblichkeit groß sind, und zwar nicht nur in Bezug auf die absolute Zahl der Toten, sondern auch bezogen auf verlorene Lebensjahre.“