Albanien – eine vergessene Perle des Balkans

Ein Land der Kontraste: zwischen Armut und EU-Beitritt, Moscheen und antiken Ruinen

Albanischer Bunker, in ein Kunstobjekt transformiert

Skanderbeg-Platz in Tirana

Tiranas breite Boulevards

Ksamil-Strand im Süden Albaniens

Die wiederaufgebaute Festung Kruja, einst Hauptsitz des albanischen Freiheitskämpfers Skanderbeg

Et’hem-Bey-Moschee im Zentrum Tiranas

Graffiti in Dürres

UNESCO-Stadt Berat, von den Osmanen als albanisches Belgrad bezeichnet | Fotos: der Verfasser

Wer hätte gedacht, dass Albanien, eines der ärmsten Länder Europas, welches bis vor knapp dreißig Jahren von der Außenwelt komplett abgeriegelt war und deren Landsleute nach der Wende im Ausland oftmals nicht den besten Ruf hatten, heutzutage einen derart radikalen Entwicklungsprozess durchgeht: Neu asphaltierte Straßen und breite Autobahnen durchqueren fast das ganze Land. Moderne Hochhäuser mit futuristischer Architektur steigen über die älteren, aber überaus bunt angestrichenen Häuser und Wohnblocks empor. Solarenergiepaneele bedecken in gleichem Maße wie traditionelle, sonnenerhitzte Wasserkessel die Dächer und moderne Einkaufszentren scheinen genauso beliebt zu sein wie die türkischen Bazars. Somit erhält das kleine Balkanland an der Adria mit seinen knapp drei Millionen Einwohnern den besonderen Charme einer fast überdimensionierten Diversität, eines multikulturellen, multikonfessionellen und multiethnischen Landes. Ein Land der Kontraste, das nicht grundlos von „National Geographic“ als eine der Destinationen des Jahres 2018 empfohlen wurde.

Der Landesname 

… führt auf den illyrischen Stamm der Albaner zurück und wurde bereits vom alten griechischen Geografen Ptolemäus im Jahre 150 n. Ch. angeführt. Diese Benennung wird jedoch von den Albanern selten benutzt. Seit dem 16. Jh. hat sich der Terminus „Skipëri“, bzw. als Landesbezeichnung „Skipëria“ (Land der Adler, daher auch der doppelköpfige Adler auf der Flagge) durchgesetzt, oder „das Land jener, die miteinander gut auskommen“ – wobei der Ursprung dieser Benennung unbekannt bleibt.

Historische Diversität

Obwohl Albanien auf Grund der knapp 450 Jahre osmanischer Besetzung ein vorwiegend muslimisches Land ist, scheint es seine historischen Sehenswürdigkeiten unterschiedlichen Einflusses gleichermaßen zu promovieren: Moscheen und Hammams wie christliche Kirchen, die italienischen Bauwerke Mussolinis in Tirana wie die Ruinen venezianischer oder antiker griechischer Handelsstädte, etwa die illyrische Apollonia, und byzantinischer Amphitheater, beispielsweise in Dürres. Oder aber die bulgarische, von den Türken beeinflusste Architektur der Altstädte wie die UNESCO-Stadt Berat, „das albanische Belgrad“, die wenigen Funde der illyrischen Ureinwohner der Region, als deren stolze Nachfolger – und somit vor-griechisch, vor-thrakisch, vor-römisch und vor-slawisch – sich die Albaner sehen. 

Als Hauptfigur der nationalen Einheit und Identität –  mit einer faszinierenden Ähnlichkeit zur Wichtigkeit Vlad des Pfählers für die Rumänen – gilt Georgis Kastriotis, auch als Skanderbeg bekannt: ein Freiheitskämpfer des 15. Jh., der 25 Jahre lang die osmanischen Heere bekämpft und der Region Unabhängigkeit verschafft hat. Sein Name ist an zahlreiche Straßenschilder, Statuen, Symbole, Souvenirs, Unternehmen und sogar Werbung gebunden.

Tatsache ist, dass sowohl maritime Handelswege als auch die berühmte Verbindungsstraße „Via Egnatia“ zwischen Rom und Konstantinopel, die durch das heutige Albanien führt, unterschiedliche Einflüsse gebracht und die lokale Kultur bereichert haben. So sollte eine Balkanreise unbedingt auch durch Albanien führen, sei es von Griechenland nach Kroatien oder Serbien, oder aber von Bulgarien und Nordmazedonien nach Italien (über einen regelmäßigen Fährenbetrieb zwischen Dürres und Bari).

Die Leute

… sind genau so divers wie ihre Geschichte. Der türkische, slawische und lateinische Einfluss zeigt sich auch im Erscheinungsbild der Albaner, sodass man kaum ein Profil des „typischen Albaners“ oder der „typischen Albanerin“ aufstellen kann. Insbesondere nach der Wende sind zahlreiche Albaner ausgewandert. Derzeit leben mehr Albaner im Ausland, insbesondere in den USA, als in der Heimat. 

In touristischen Gegenden sprechen zahlreiche jüngere Leute auch ein gebrochenes Alban-Englisch, ältere Personen eher ein ebenso gebrochenes Italienisch. Auch wenn ihr Temperament oft stürmisch scheint und Terminplanungen eher flexibel betrachtet werden, behandeln Albaner ihre Besucher stets gastfreundlich und sind überwiegend hilfsbereit. Mit Ausnahme des Verkehrs, der teilweise gewöhnungsbedürftig ist, fühlt man sich in Albanien kaum jemals belästigt oder beängstigt.

Das Essen

… unterliegt balkanischem, muslimischem und gleichwohl italienischem und griechischem Einfluss. Fast jedes Lokal bietet unterschiedliche Kombinationen von Pizza, Pasta und Meeresfrüchten, bzw. Qufte (Frikadellen), Bürek (ähnlich der rumänischen „pl˛cint˛“), Baklawa und Moussaka oder aber mit Fleisch oder Gemüse gefüllte Auberginen und Paprika an. Oftmals gibt es in Lokalen auch Menüs in englischer und italienischer Sprache – wobei normaler-weise zehn Euro für eine reichliche Mahlzeit ausreichen. 

Tipp: Einheimisches Bier und lokaler Wein sind sehr schmackhaft – und für Kinder gibt es fast immer frisch gepressten Orangensaft oder Rosenlimonade.

Religion & Mutter Teresa

Bereits in den 60er Jahren begann der damalige kommunistische Diktator Enver Hoxha (ausgesprochen „Hodscha“) eine heftige Kampagne gegen den Klerus: Unter dem Motto „Die Religion ist das Opium der Gesellschaft“ wurden Tausende Pfarrer und Imams verhaftet und Gebetshäuser aller Religionen in Geschäfte oder Sportsäle verwandelt. Mehr noch: 1976 wurde Albanien das erste verfassungsmäßig atheistische Land der Welt, in dem jede Beziehung zu irgendeiner Religion mit langen Haftjahren bestraft wurde. Deswegen ist es auch verständlich, das die Albaner nach der Wende Religion etwas „entspannter“ betrachten: Trotz einer knapp zwei Drittel Mehrheit an Muslimen und einiger ultrareligiöser Zentren ist auf der Straße eher selten eine Burka zu sehen und Alkohol sowie Schweinefleischgerichte gibt es in jedem Lokal oder Geschäft. Zusätzlich steigt jährlich die Anhängerzahl des liberalen Bektaschi-Ordens und dessen tanzender Derwische.

Vielleicht gerade wegen diesen liberalen Ansichten ehren die (muslimischen) Albaner auch ihre zweitwichtigste Persönlichkeit neben Skanderbeg: Mutter Teresa, die als Anjezë Gonxhe Bojaxhiu in Skopje (damals Osmanisches Reich, heute Nordmazedonien) in einer albanischen Familie geborene katholische Nonne, welche in Indien einen eigenen Orden gegründet und für ihre Tätigkeit den Friedensnobelpreis erhalten hat sowie von der katholischen Kirche heilig gesprochen wurde.

Der italienische Einfluss

...ist auch an der Meeresküste zu sehen: Dürres, Vlora oder Dhermi können leicht mit Städten an der Amalfiküste, Sorento oder Rimini verwechselt werden, und die von Mussolini geprägte Architektur Tiranas erinnert an die breiten Boulevards im Zentrum Roms. Hinzu kommt noch, dass Italien der wichtigste Wirtschaftspartner Albaniens bleibt und dass Kleidung, Lebensstil sowie zahlreiche andere Produkte des Öfteren aus Italien stammen.

Das „Land der Bunker“...

...klingt zwar sonderbar als touristisches Motto, entspricht aber vollständig der Realität: Von der paranoiden Angst eines Angriffs besessen, hat Hoxha nicht nur die Bevölkerung regelmäßig auf Giftgasangriffe trainiert, sondern auch hunderttausende Bunker landesweit gebaut – manche für ein bis zwei Personen, andere für das gesamte Parlament oder für Ministerien. Einige dieser Bunker können heute als Museen besichtigt werden (siehe „BunkArt“), andere wurden in Kunstobjekte verwandelt oder als Werbeflächen benutzt. Die pilzförmigen Stahlbetonstrukturen begleiten einen sowohl entlang der Straßen, als auch in den Bergen und an der Meeresküste.

„Mercedes-Hauptstadt der Welt“...

...so wurde Albanien im Jahr 1998 vom Magazin „The Independent“ beschrieben – und zurecht: ein Großteil der PKWs gehört auch heute dieser Marke an. Obwohl es derzeit keine offizielle Statistik diesbezüglich gibt, scheint wenigstens jedes zweite Auto ein Mercedes zu sein (manche Schätzungen gehen bis auf 75 Prozent). Dahinter steht wahrscheinlich der Drang nach Status und Anerkennung: Im Kommunismus gehörten die einzigen PKWs (knappe 3000 insgesamt landesweit!) den Behörden und der Nomenklatura, wobei ein Großteil davon Mercedes waren. Als nach der Wende dann auch italienische Autos importiert wurden, zeigte sich der Mercedes widerstandsfähiger auf den damals schlechten albanischen Straßen und wurde auch deswegen bevorzugt.

Jedenfalls sind alle Autos sauber: Für ein bis zwei Euro kann man gleich am Straßenrand das Auto per Wasserschlauch in einer der unzähligen improvisierten Autowaschanlagen („Lavazh“) waschen und gleichzeitig abkühlen. Innenreinigung scheint nicht so wichtig zu sein – noch ein Beispiel für die Wichtigkeit der Äußerlichkeiten für Albaner.

Moderne Straßen, „balkanische“ Fahrweise

Saubere Mercedes und neu asphaltierte Straßen al-leine machen noch keine gute Fahrer. Wahrscheinlich deswegen liegen die Geschwindigkeitsbegrenzungen unter denen anderer europäischer Länder. Blinken, Ampeln und Verkehrsschilder gelten oftmals als optional. Vielmehr scheinen die Fahrer an jeder Straßenkreuzung die Verkehrsregeln neu zu „verhandeln“, durch Hupsignale oder Handzeichen, obwohl ... in Anwesenheit eines Polizisten auf einmal alles wieder „westeuropäisch“ verläuft.

Andererseits ist Albanien unter Backpackern nicht unbedingt ein beliebtes Land: Der Bahnverkehr wurde nach der Wende komplett stillgelegt und der öffentliche zwischenstädtliche Verkehr ist nicht unbedingt pünktlich und leicht zugänglich. Deswegen bevorzugen auch Albaner eher einen Privatwagen.

Ein buntes Land

Überall in Albanien scheint fast jede freie Wand – sei sie am Hochhaus oder an einer Baustelle – eine geeignete Fläche für kunstvolle Graffiti zu sein. Nach jahrelangem Kunstverbot im Kommunismus sind heutzutage alle Häuser in unterschiedlichen, oftmals starken Farben gestrichen und die Wohnblocks scheinen im Wettlauf um die originellste Bemalung zu sein. Insgesamt bietet Albanien sicherlich kein monochromes Bild, wie andere ex-kommunistische Plattenbau-Länder.

Tirana, eine lebendige Hauptstadt

... scheint in einer ständigen Bewegung zu sein: Insbesondere am Abend, wenn die Hitzewelle teil-weise vorbei ist, strömen Menschen in Parks und entlang der breiten Boulevards aus allen in alle Richtungen. Eines der beliebtesten Treffpunkte, wo auch fast täglich eine Veranstaltung stattfindet, ist der vor einigen Jahren neu eingerichtete Skanderbeg-Platz: Über 40.000 Quadratmeter, auf dem die Riesenstatue Skanderbegs gleich neben der sanierten und erst dieses Jahr wieder eröffneten, wunderschön bemalten Et’hem-Bey-Moschee und dem Stundturm thront, bieten den idealen Ort für Konzerte, Schauspiele sowie unterschiedliche Ausstellungen, Fußballspielübertragungen und andere Events. Eine touristische „Altstadt“ scheint es nicht zu geben, eher ist das ganze Stadtzentrum (insbesondere das Bloku-Viertel) vollgepackt mit kleinen Lokalen, in denen oftmals laute Musik erklingt und bis spät in die Nacht getanzt wird.

Naturliebhaber

… können in Albanien malerisch wilde Landschaften genießen. Schluchten und Täler, Gebirgshöhen bis knapp über 2700 Meter Seehöhe und insgesamt 15 Naturparks bieten tolle  Wander-, Fahrradtour- und Fotomöglichkeiten, die in den letzten Jahren immer besser ausgebaut und gekennzeichnet werden, um immer mehr Ausländer anzuziehen.

Die adriatische Riviera

Hier mangelt es oftmals an feinem Sand, aber sie verführt mit kristallklarem Wasser. Südlich von Saranda, gegenüber der griechischen Insel Korfu, breiten sich ausgedehnte Strände mit feinem Sand entlang der Küste aus. Weiter nördlich schlängelt sich die Küstenstraße im Ceraunischen Gebirge entlang des Adriatischen Meeres und bietet wunderschöne Aussichten von oben auf die zahlreichen kleinen Strände zwischen den Gebirgshängen, die zu Fuß, per Geländewagen oder aber per Bootstaxi besichtigt werden können. Weiter nördlich, ab Vlora und insbesondere bei Dürres, erstrecken sich schmale, aber kilometerlange Strände mit rauem Sand bis an die Grenze zu Montenegro. Neue Hotels und Restaurants aller Qualitätsstandards scheinen jährlich eröffnet zu werden, wobei auch Google Maps mit dem raschen Fortschritt der Bauarbeiten oftmals nicht mithalten kann.

Wer das kalte Salzwasser der Adria nicht mag, kann an der mazedonischen Grenze einen der reinsten und – nebst Baikal oder Titikaka – ältesten Seen der Welt genießen: den Ohrid-See, ebenfalls Teil des UNESCO-Weltkulturerbes. Auf jeden Fall bieten die Strände auf albanischer Seite viel mehr Sand und Entspannungsmöglichkeiten sowie eine bessere Aussicht als die auf der mazedonischen Seite.

Walachen, Raki und Opinga

Vor Jahren, bei meiner ersten Reise nach Albanien, wurde ich gleich nach der Grenze auf Rumänisch angesprochen. Es war ein Walache (rumänisch: aromân), Teil einer kleinen Minderheiten Albaniens, knapp 8000 Personen laut Zensus 2011, die bis heute eine altrumänische Sprache benutzen. 

Auch die albanische Tracht zeigt sich ähnlich zur rumänischen – insbesondere die Männertracht: enge weiße Hosen, breite und lange Blusen mit Stickereien, bunt (insbesondere rot) bestickte Westen, ein breiter Gürtel, kleine weiße Wollhüte („queleshe“ – ähnlich dem rumänischen „clop“) und angespitzte Wollschuhe, sogenannte Opinga (rum. „opinci“). Die Frauentracht, insbesondere im Süden, ähnelt der rumänischen Frauentracht aus Oltenien, ist aber oftmals viel reicher geschmückt. 

Raki nennt sich der nationale, hausgebrannte Schnaps, der insbesondere aus Trauben, aber auch aus anderen Früchten gebrannt wird, wobei er viel stärker als der rumänische „rachiu“ ist. Und natürlich heißt der bekannteste Raki „Skanderbeg“.

Die wenigstens wissen heute, wie eng die Beziehungen zwischen unseren beiden Länder einst waren. Nicht nur, dass Gheorghe Ghica, Fürst der Moldau und später der Walachei, in einer albanischen Familie in Köprülü (heute Veles, Nordmazedonien) geboren wurde, auch der Beschluss zur Erklärung der albanischen Unabhängigkeit wurde im heutigen Continental-Hotel in Bukarest am 5. November 1912 unterzeichnet, wobei Ciprian Porumbescu die  Nationalhymne des neuen Albaniens komponierte.

Fun Facts

Im Kommunismus gab es zahlreiche Gesetze, um die Flucht aus Albanien zu verhindern, so z. B. war der Besitz eines PKWs oder eines Schnellboots verboten, ebenso das Gerätetauchen. Für Möbel gab die kommunistische Partei eine bestimmte Schablone frei, sodass es in jedem Haus dieselben Möbelstücke gab – unterschiedlich war ausschließlich die Holzessenz. Die albanischen Fernseher wurden vor dem Verkauf speziell manipuliert, sodass sie nur albanische Sender empfangen konnten und Boxen war als gewalttätige Sportart verboten. Kurios: Bis heute gibt es in Albanien kein Fastfoodlokal von McDonalds – als einziges europäisches Land außer dem Vatikan – obwohl KFC oder Burger King anwesend sind.