Alle zufrieden zu stellen, das geht nicht

Die Neugestaltung des Kronstädter Victoriei-Boulevards bleibt umstritten

Luftaufnahme des Victoriei-Boulevard vor gut 50 Jahren. Im Hintergrund der Hauptbahnhof und das Tractorul-Werk.

Derselbe Boulevard, mit Sicht auf die Zinne, heute: die seitlichen Grünstreifen wurden in Pkw-Parkplätze umgewandelt.

So großzügige Gehsteige wie am Victoriei-Boulevard gibt es in Kronstadt nur noch am Rudolfring/b-dul Eroilor beim Titulescu-Park.
Foto: der Verfasser

So sollte der Verkehr zukünftig ablaufen: vier Spuren für Pkw und, getrennt, zwei Spuren für Busse sowie zwei Radfahrbahnen.
Quelle: Masterplanul-Velo-Brașov

Der Kronstädter Victoriei-Boulevard ist nun über ein halbes Jahrhundert alt. Seinerzeit war er als „Prachtboulevard“ gedacht. Veranschaulichen sollte er damals den Sieg des Sozialismus, der neuen modernen Zeit. Gesäumt von Wohnblocks, mit einem grünen Mittelstreifen, je drei Fahrbahnen pro Fahrtrichtung, breite, durch Grünflächen von der Straße getrennte Gehsteige – der Boulevard war als Zentralachse gedacht, die vom Hauptbahnhof zum geplanten neuen Stadtzentrum führen sollte.

Wer das Foto der frühen 1970er Jahre genau betrachtet, bemerkt einige Besonderheiten: auf den  beiden Seiten sind die Hochhäuser unterschiedlich ausgerichtet. Die rechte Seite (in Richtung Hauptbahnhof) war und ist als reine Wohngegend gedacht; auf der linken Seite weisen die parallel zur Straße gebauten Wohnblocks im Erdgeschoss Geschäfte auf, zu denen später Banken, Gaststätten, ein Ausstellungsraum, ein Schönheitssalon und andere Einrichtungen hinzukamen. Ungewöhnlich ist auch, dass die linke Fassadenfront von einem Haus durchbrochen wird (heute umgebaut als Hotel) – ein Hinweis, dass ursprünglich die Straße eine ganz andere Richtung hatte.

Fehlendes Gesamtkonzept

Auf dem Foto des Victoriei-Boulevards von heute (mit Blick vom Bahnhof aus) sind die seitlichen Grünflächen zum Großteil Pkw-Parkplätzen gewichen. Die rasant zunehmende Zahl der Pkw fordert ihr Recht: weniger Grün für mehr Asphalt. Dass die Pkw schräg geparkt werden, schafft zusätzliche Parkplätze, stellt aber ein Risiko dar. Denn im Rückwärtsgang loszufahren vermindert die Aussicht auf herannahende Autos oder Radfahrer erheblich. Nicht zu übersehen sind die Neubauten am oberen Boulevard-Ende, wo das zukünftige Bank- und Gewerbezentrum der Stadt sein sollte. Dieses Zentrum kann, um den Kronstädter Architekten Gruia Hilohi zu zitieren, als „durchschlagender Fehlschlag“ gelten. Da fehlt ein Gesamtkonzept, es wurde improvisiert und so wird es wohl auch weitergehen. Um dieses große Areal führt seit bald 15 Jahren ein Ring, bestehend aus sehr breiten Straßen, in denen der Einbahnverkehr gilt. Das sollte einen möglichst flüssigen, schnellen und hindernisfreien Autoverkehr ermöglichen, mit Kreisverkehr statt Kreuzungen und wenigen Zebrastreifen für Fußgänger. Für den Victoria-Boulevard war es eine Entlastung, denn alle, die bisher diese Straße genutzt hatten, um zwischen dem Südosten der Stadt (Astra-Viertel) und dem Westen (Bartholomä) zu verkehren, verlassen diesen Ring nicht und ziehen den Griviței-Boulevard vor.

Ein Luxus-Problem

Der geradlinige, unter einem Kilometer lange Victoriei-Boulevard mit seinen drei Fahrbahnen pro Fahrtrichtung hat folglich ein Luxus-Problem. Er ist zu breit und keine wichtige Verkehrsader, sondern eher eine Verbindung zwischen der Kreisverkehrsinsel vor dem Hauptbahnhof und der breiten Ringstraße, wo man aber nur rechts abbiegen kann. So kam der Vorschlag, diesen Boulevard für die öffentlichen Verkehrsmittel und Radfahrer freundlicher zu gestalten und auch mehr für eine gesunde Umwelt zu unternehmen. Diese Maßnahmen sollten auch jene Projekte (Velo-Masterplan und „Calea Verde“) berücksichtigen, die ein kontinuierliches Netz von Radwegen in der Stadt verfolgen und/oder eine Sonderspur für Busse.

Vorgeschlagen wurde, der Verkehr auf diesem Boulevard wird durch den Mittelstreifen (der allerdings verlegt oder verkleinert wird) zweigeteilt: auf der rechten Seite (vom Hauptbahnhof zum Ring) fahren in beide Richtungen die Busse und die Radfahrer; die linke Seite (vom Ringverkehr in Richtung Hauptbahnhof) wird den Pkw vorbehalten, die auf je zwei Fahrbahnen in beiden Richtungen verkehren. Auf der einen Seite soll es also einen nachhaltigen oder alternativen Verkehr geben, während auf der anderen Seite der herkömmliche, „normale“ Pkw-Verkehr abläuft.
Verkehrstechnisch wird das nicht geringe Herausforderungen darstellen, vor allem bei den beiden Endpunkten, wo die langsameren Busse mit den Pkw um die Vorfahrt konkurrieren oder an den beiden Zebrastreifen, wo Fußgänger auf der einen Seite gleich vier Fahrspuren und nicht wie bisher drei zu überqueren haben. Darauf haben auch Bürgeraktivist Mihai Tatu und Verkehrsexperte Paul Ciocan hingewiesen, die dieses Projekt schlicht als unreif ansehen.

Es scheint tatsächlich so, als ob man damit versucht hätte, alle zufrieden zu stellen, einen Kompromiss zu finden zwischen Pkw, öffentlichen Verkehrsmitteln, Radfahrern und Fußgängern. Tatu sagt, dass es an der Zeit wäre, umzudenken und den Stadtverkehr so zu gestalten, dass er nicht, wie bisher, auf das Auto zentriert ist, sondern die Belange des Menschen mehr berücksichtigt. Das setze voraus, nicht der Nutzung des Pkw mit breiteren Straßen und zusätzlichen Parkmöglichkeiten entgegenzukommen, sondern mehr für sichere, pünktliche und bequeme Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu unternehmen, aber auch, Radfahrern und Fußgängern mehr Platz einzuräumen.

Mutige Entscheidungen gefordert

Dazu seien mutige Maßnahmen erforderlich, die die politischen Entscheidungsträger zu treffen hätten. Angesprochen müssten sich auch Bürgermeister Allen Coliban und die Union zur Rettung Rumäniens (USR) fühlen, für die Umweltschutz verbunden mit Stadtmobilität und nachhaltiger Entwicklung zentrale Themen ihres Wahlkampfes waren.

In der Tat hatte Coliban gerade für die Umgestaltung des Victoriei-Boulevards vom Stadtrat gefordert, eine Million Lei für die notwendigen technischen Studien vorzusehen. Er sprach von Verkehrsberuhigung, Verzicht auf eine Fahrbahn, eventuell unterirdischen Parkplätzen, wobei der Victoriei-Boulevard beispielgebend sein könnte, endlich den Pkw-Nutzern Einschränkungen aufzuerlegen zugunsten der Radfahrer, der Fußgänger, der Fahrgäste der Kronstädter Verkehrsregie RATBv.

Es war (leider) keine große Überraschung, dass die Mehrheit im Stadtrat anderer Meinung war und für die vorgesehene Million Lei schnell eine andere Bestimmung fand. Dabei war auch folgendes Argument zu hören: Die Stadtverwaltung solle sich eher um jene Straßen kümmern, wo der Verkehr Ärger bereitet im Sinne von Staus und vollgestopften Kreuzungen, und nicht um den Victoriei-Boulevard, wo keine Schwierigkeiten zu verzeichnen seien.