Altlasten

Randbemerkungen

„(…) 2. Das Parlament Rumäniens bekräftigt seine Zustimmung zur Schlussakte der KSZE-Konferenz von Helsinki, welche die Möglichkeit der Änderung von Grenzziehungen zulässt, wenn dies auf friedlichem, diplomatischem Weg geschieht. 3. Das Parlament Rumäniens erklärt feierlich, dass das Referendum, das von den Kiewer Behörden organisiert wurde in den rumänischen Territorien, die von der ehemaligen UdSSR gewaltsam innerhalb ihrer Grenzen eingeschlossen wurden – das sind die Nordbukowina, das Gebiet Her]a, das Gebiet Hotin, sowie die Oblaste im Süden Bessarabiens – null und nichtig ist, desgleichen dessen Folgen. 4. Das Parlament Rumäniens fordert alle Regierungen und Staaten auf, die die Unabhängigkeit der Ukraine anerkennen werden, ausdrücklich zu erklären, dass diese Anerkennung nicht auch auf die erwähnten rumänischen Gebiete anwendbar ist. (…)“ Und in derselben Erklärung – unterzeichnet vom damaligen Senatspräsidenten, dem Altkommunisten Alexandru Bârl˛deanu und vom Präsidenten des Abgeordnetenhauses, Dan Marțian – wird die Legislative der neu entstandenen Ukraine aufgefordert, umgehend Verhandlungen „zur gemeinsamen Überprüfung“ der „Probleme gutnachbarlicher Beziehungen und der Zusammenarbeit“ mit der Ukraine mit der Legislative Rumäniens aufzunehmen, wozu eine ukrainische Delegation zu Gesprächen nach Bukarest eingeladen werde.

Diese Erklärung ist im Amtsblatt vom 29. November 1991 veröffentlicht, zwei Tage vor dem Referendum, dessen Ergebnis die Unabhängigkeit der Ukraine bedeutete. Eine Woche nach dem Referendum, am 8. Dezember 1991, unterzeichnen Boris Jelzin für Russland, Stanislav Schuschkewitsch für Weißrussland und Leonid Krawtschuk für die Ukraine in der Nähe von Kiew den Vertrag, der das faktische Ende der UdSSR und den Anfang der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten bedeutete.

Und (aber nicht erst) seit jenem Dezember 1991 sind die bilateralen Beziehungen zwischen Rumänien und der Ukraine kalt bis lauwarm geblieben. Lauwarm äußern sie sich auch heute, beschränkt auf drei Kernbereiche: die Flüchtlingsfrage (wobei ukrainische Flüchtlinge Rumänien überwiegend als Transitland benutzen – nur 77.000 haben, laut UNHCR, Anträge auf länger befristete Aufenthaltserlaubnis gestellt), den Transit des ukrainischen Exportgetreides (2022 war die Rede von 8,4 Millionen Tonnen) und auf Energielieferungen (inklusive an Moldawien – wobei konkrete Zahlen für die Ukraine nie genannt werden). Sonst: historisch Festgefrorenes, Revanchismusverdacht und -angst, Lippenbekenntnisse.

Die Minderheitenfrage, von der Ukraine Ende vergangenen Jahres ruppig und knüppelig legislativ behandelt, scheint Rumänien sich auszusparen für den Beginn der voraussichtlich langwierigen Beitrittsverhandlungen der Ukraine zu Nato und EU, wenn es deren Druckpotenzial auszunutzen gilt. Die Kälte, ja auch mal feindschaftliche Haltung der rumänischen Politik gegenüber der Ukraine reicht gut 130 Jahre zurück, als man in Bukarest und Jassy die umstrittenen Gebiete der heutigen Ukraine als völlig wienhörig (in kakanischen Zeiten, siehe Tschernowitz und die Bukowina), nach der Gründung Großrumäniens (als man die Ukrainer in Bukarest noch Rutenen oder Kleinrussen nannte) als zu wenig rumänenfreundlich einstufte und staatlich finanzierte Kampagnien gegen sie führte. Dazu nutzte man fast alle heute aufgewärmten Argumente Moskaus gegen die Ukraine…

Distanz zwischen den benachbarten Ländern (Rumänien hat eine 613,9 km lange gemeinsame Grenze zur Ukraine, Polen, die Slowakei und Ungarn zusammen haben 777,94 km Ukrainegrenze) ist also nichts Neues und gehört zu den Altlasten der bilateralen Beziehungen, die nach wie vor als „kompliziert“ zu bezeichnen sind.

Es stehen also u.U. „widernatürliche“ Allianzen an, wenn es um den Nato und EU-Beitritt der   Ukraine geht, etwa mit Orbán-Ungarn, und moskowitische Argumente könnten fallen.