Architektonische Perle mit Götterfunken

Fotografische Impressionen aus dem Rathaus von Arad

Atemberaubende Pracht und schillernde Farben: die Decke im Ferdinandsaal nach der Restaurierung

Ein kleines Mädchen kreist mit dem Dreirad auf dem marmornen Bodenbild vor dem Rathaus Fotos: George Dumitriu

Faszinierende Geometrie im Inneren: Blick von der Treppe zum Eingang

Vizebürgermeister Levente Bognar vor dem Bildnis von König Ferdinand im gleichnamigen Fest- und Versammlungssaal

Türschmuck mit Wappen von Arad im Ferdinandsaal

Türschmuck mit dem Wappen Rumäniens

„Freude schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium, wir betreten feuertrunken, Himmlische, dein Heiligtum.“ So beginnt der Text der Europahymne. So fühlt man sich, wenn man das Rathaus von Arad betritt. Doch was hat das eine mit dem anderen zu tun? Ganz einfach: Zu jeder vollen Stunde ertönt dort Beethovens „Ode an die Freude“ aus dem Schweizer Uhrwerk im großen Turm. 

Das Rathaus von Arad lässt Fotografenherzen vor Freude höher hüpfen. Vor allem nachts präsentierte es sich spektakulär: Vor dem erleuchteten Eingang drehte ein kleines Mädchen im roten Mantel Kreise mit dem Dreirad auf dem marmornen Bodenbild. Dieses zeigt die Festung vor der Stadtkulisse, flankiert von Getreideähren, darüber schwebt ein stilisierter Adler vor einer strahlenden Sonne. 

Ringsum heischen weitere architektonische Meisterwerke um Aufmerksamkeit: das Gebäude der Universität „Aurel Vlaicu“, die ehemalige Schatzkammer, der Cenad-Palast, der Palast des jüdischen Industriellen Naumann, die Rumänische Nationalbank. Sie rahmen den eleganten Platz vor dem Rathaus, wo im Dezember 1989 die Bürger von Arad gegen das kommunistische Regime protestierten. Ein Monument in der Mitte erinnert an die Opfer. Im Museum des nahen Kulturpalasts informiert außerdem eine Dauerausstellung über den Ablauf der Revolution in Arad.

Seit 2007 konnte man das Rathaus von Arad als touristische Sehenswürdigkeit besichtigen, doch war dies nur während des Tages der offenen Tür  möglich.  Seit der Innenrenovierung zwischen 2011und 2012 steht es allen Besuchern jederzeit offen, der Eintritt ist gratis, man muss sich allerdings auf der Webseite der Bürgermeisterei anmelden. Uns bot sich diese Gegelegenheit auf der siebten Journalistenreise, die das Departement für Interethnische Beziehungen an der Rumänischen Regierung (DRI) im Oktober 2019 veranstaltete. Vizebürgermeister Levente Bognar führte persönlich durch  die „heiligen Hallen“ seines immerhin denkmalgeschützten Arbeitsplatzes. In dem 1872 bis 1875 errichteten, ursprünglich nur als Rathaus gedachten Bauwerk sind heute sowohl Bürgermeisterei als auch Kreisverwaltung untergebracht. 

Das ursprüngliche Projekt für den Bau stammt vom Pester Architekten Ödön Lechner. Aus Gründen finanzieller Knappheit wurden seine Pläne jedoch vom Arader Architekten Francisc Pekar stark vereinfacht. Statt der  geplanten beiden Stockwerke auf quadratischem Grundriss entstand ein einstöckiges Gebäude in U-Form im Stil der spätmittelalterlichen Rathäuser mit Elementen der  flämischen Neurenaissance.  Von außen wird das Gebäude von einem 54 Meter hohen Zentralturm  dominiert, auf dessen oberen Drittel seit 1878 die Schweizer Uhranlage thront. Ursprünglich läutete alle halbe Stunde ein Glöckchen, das fast ein Jahrhundert lang funktionierte. Nach der Revolution wurde das Uhrwerk restauriert und seit dem Beitritt Rumäniens zur Europäischen Union im Jahre 2007 ertönt dort zu jeder vollen Stunde die Europahymne. 
Das Herzstück des Palasts ist der ehemalige Festsaal, nach der Restaurierung in Ferdinand-Saal umbenannt. Seither ziert diesen auch ein Porträt des Königs, ein Werk des rumänischen Malers Ion Drăghici. Im Ferdinand-Saal finden Empfänge und Festlichkeiten, aber auch  Versammlungen und Debatten statt. Gelegentlich wird er für temporäre Ausstellungen genutzt: 2016 wurde dort das Klavier ausgestellt, auf dem Franz Liszt während seines Konzerts in Arad 1846 gespielt hat.

 In beeindruckender Pracht zeigen sich  die Decke und die Dekorationen über den Türen. Mit Blattgold und speziellen Farben wurde das ursprüngliche Erscheinungsbild wieder hergestellt, das von vorangegangenen Renovierungen verdeckt worden war. Vier Farbschichten mussten hierfür entfernt werden. In die Renovierungsarbeiten für 1,5 Millionen Euro  wurden auch die Flure und die Eingangstreppe einbezogen. Im Ferdinand-Saal kann man auch das Wappen vom 22. August 1834 bewundern. An jenem Tag erhielt Arad den Titel „freie königliche Stadt“, durfte sich selbst verwalten und war von Abgaben befreit, was zu einer außerordentlichen Entwicklung führte.
Die bunten Glasfenster wurden erst bei der Renovierung des Gebäudes eingesetzt. Sie stammen aus dem Atelier von Sever Fren]iu und befassen sich mit dem Thema Zeit. Zu sehen sind die vier Jahreszeiten und allegorische weibliche Figuren für die einzelnen Monate. Der Maler und Bühnenbildner war im Kommunismus Leiter der Arader Künstlervereinigung gewesen, von ihm stammen auch die Glasfenster des Corvin-Saals im Bukarester Cotroceni-Palast. Nach der Wende trat Frențiu den Freimaurern bei, beteiligte sich 1993 an der Wiedereröffnung der  Großloge Rumäniens und stieg 1995 zu deren Großmeister auf. 

Ursprünglich war das Rathausgebäude für 90 Büroräume ausgelegt, in denen 167 Beamte ihren Dienst verrichten konnten. Der Versammlungssaal im ersten Stock bietet Platz für 200 Personen. Vier weitere Sitzungssäle befinden sich auf derselben Etage in allen  Ecken des Gebäudes.
Vom dortigen Balkon aus beobachten wir, wie das Mädchen im roten Mantel immer noch über dem Bodenbild kreist. Arglos fährt es über die Festung zu seinen Füßen. Das Original,  im sternförmigen Vauban-Stil erbaut, gehört immerhin zu den Hauptsehenswürdigkeiten von Arad.  Welche  Highlights die Stadt sonst noch zu bieten hat, verrät die Webseite primariaarad.ro, wo man einen  84-seitigen Reiseführer herunterladen kann. So manche architektonische Perle gibt es dort noch zu entdecken!