Auf den Spuren der Minderheiten an das Eiserne Tor

Von multikulturellen Gemeinschaften und isolierten ethnischen Enklaven

Blick aus dem Bus auf die Donau bei Dubova

Jugend-Tanzgruppe der griechischen Union in Drobeta Turnu Severin

Ein ganz besonderes Ethnografiemuseum gibt es in Eşelniţa.

Hölzernes Löffelschöpfrad einer Wassermühle im Museum Eisernes Tor

Faszinierendes Industrieerbe in Reschitza: das Dampflok-Freiluftmuseum
Fotos: George Dumitriu

Ahmet Engür träumt von der Ada Kaleh. Von seinem Haus auf der Festung, von fruchtigem Rahat und nachtschwarzem Kaffee. Davon, wie sie als Kinder mit Knochen spielten, weil die wie Sand am Meer herumlagen, sonnengebleicht und windgeschliffen. Meine Gedanken gleiten davon... Zu den griechischen Mädchen in Drobeta Turnu Severin, die sich in smaragdgrünen Kleidern zum Sirtaki drehten. Zu den köstlichen Feigen in Sirup und der mediterranen Brise, die uns in Svini]a empfing. Zu bittersüßer Becherovka und Urda-gefüllten Colace im Bergdorf Eibenthal, und der steilen Serpentinenstraße, wo der dichte Erlenwald nur hie und da einen Blick auf die Donau freigab, die zu unseren Füßen silbern glitzert. Seit Jahrtausenden zwängt sie sich zwischen Felswänden durch und ergießt sich in den Stausee, der Dörfer und Kirchen und Kulturen für immer verschlang. Und die schöne Insel Ada Kaleh.

Nur fünf Tage - und so viele Eindrücke! Was sie vereint, ist der Strom, der wie ein Zeitpfeil Ordnung schafft...
Von Bukarest fahren wir über Craiova nach Drobeta Turnu Severin, Orşova, Eşelniţa, Eibenthal, Sviniţa, Caraşova und Reschitza/Reşiţa. So manchen Ortsnamen hat man nie zuvor gehört. Und erst recht nicht, dass dort Griechen, Tschechen, Kroaten und Serben leben. Es ist die dritte Journalistenreise auf der Suche nach dem touristischen Potenzial der Minderheiten, mit dem sich das Departement für Interethnische Beziehungen der rumänischen Regierung (DRI)befasst (siehe auch 13.7.2014 und 16.7.2015: „Auf den Spuren der Minderheiten in der Dobrudscha/ im Unterwald und dem Kreischgebiet“.)

Craiova

Im Obergeschoss der Casa Universitarilor überrascht eine Ausstellung zu Minderheiten in Oltenien - Resultat eines Projekts der Uni mit der Rumänischen Akademie - mit Trachten, typischen Gebrauchs- und Kultgegenständen. Der Studie „Minderheiten in Oltenien“ der Kuratorin, Dr. Carmen Ionela Ban]a, entnimmt man, dass in Oltenien 63.899 Roma, 1124 Serben, 752 Ungarn, 476 Tschechen, 307 Deutsche, 166 Türken, 160 Italiener, 141 Makedonier, 129 Griechen, 80 Bulgaren, 79 Juden, 72 Ukrainer und 47 russische Lipowaner mit 1.901.330 Rumänen leben. Die Beziehungen waren stets freundschaftlich, schließen die Forscher.

Als Sehenswürdigkeit in Craiova ist das Kunstmuseum Pflicht: Von den Sälen verschiedener Maler - Teodor Aman, Constantin Lecca, Stefan Luchian, Nicolae Tonitza, Gheorghe Petraşcu, Theodor Pallady, Eustatiu Stoenescu und Ion Tuculescu, gibt es auch zwei Räume mit Werken von Brâncuşi, der in Craiova die Kunst- und Berufsschule besucht hat.

Drobeta Turnu Severin

Gleich drei Namen für eine Stadt: Der erste erinnert an die römische Siedlung, der zweite Teil bedeutet Turm von Severin. Im Landkreis Mehedinţi gibt es 10.919 Roma, 996 Serben, 466 Tschechen, 153 Ungarn, 151 Deutsche , 40 Türken, 21 Griechen, 16 Italiener, 13 Ukrainer, 11 Juden, 10 russische Lipowaner und 6 Bulgaren - und 236.908 Rumänen.

Drobeta Turnu Severin gilt als Modell friedlichen Zusammenlebens. Lehrerin Paula Sălcau von der Union der griechischen Minderheit leitete ihre Schüler an, einen interkulturellen Stadtführer zu erarbeiten. Er beginnt mit Apollodor von Damaskus, der die größte Brücke der Antike über die Donau baute, um die Eroberung Dakiens zu ermöglichen, erzählt von den großen Stadtvätern: dem Gründer General Pavel Kiseleff, dem Architekten Xavier Vilacrosse, dem Straßennetz-Projektanten Moritz von Ott. Klein-Nizza nannte man die Stadt, die von zahlreichen Fremden besucht wurde. 1866 betrat der spätere König Karl I. dort erstmals rumänische Erde. Bis 1918 eine Grenzstadt, galt Severin als Westpforte des Landes. Sehr aktiv ist die Union der Griechischen Minderheit: bei Tanz, Theater, der Zeitung oder der Neugriechisch-Olympiade dürfen alle mitmachen. „Grieche ist nicht, wer in Griechenland geboren ist, sondern wer seine Seele an der griechischen Kultur nährt“, lächelt Sălcau.

Unter den Sehenswüprdigkeiten ist das Museum Eisernes Tor ein Muss. Es liefert Einblicke in die Wunderwelt der Wasserkraft und Überblicke zu Geschichte und Natur im Nationalpark Eisernes Tor. Zu sehen sind Trachten verschiedener Ethnien, eine typische hölzerne Wassermühle mit Löffelschöpfrad und Funde aus den Ausgrabungsstätten Lepenski Vir, Ostorovul Mare und Schela Cladovei. Ein türkischer Wohnraum veranschaulicht, wie man auf Ada Kaleh lebte.

Orschowa

Vor einem modernen Betonbau begrüßt uns ein Deutscher mit leicht österreichischem Dialekt: Josef Cervenka. Das Gebäude entpuppt sich als katholische Kirche „Zur unbefleckten Empfängnis“, 1972 für die für Umsiedler des vom Stausee gefluteten Or{ova erbaut. Innen zieht sich ein stilisierter Kreuzweg die grauen Wände entlang. „Den hätte man auch ein bisschen anders darstellen können“, kommentiert Cervenka die modernen Figuren, unter denen man Nadia Comăneci und den Schauspieler Dan Puric entdecken kann - ein Scherz? Dass die Zeltform des Dachs weltweit einzigartig ist, macht die Kirche auch nicht schöner. Deutsche gibt es hier kaum noch, erzählt Cervenka, der im Laufe seines Lebens dreimal den Vornamen wechselte: „Zuerst war ich der Ioşi, dann, als die Deutschen kamen, der Seppi, und später der Iosif.“ Früher lebten viele Ethnien in Orşova und es war ganz normal, sich mit „Hey, Zigeuner!“, „Hey, Deutscher!“, „Hey, Jude!“ zu begrüßen. Unter den ca. 6000 Einwohnern gibt es heute noch Tschechen, Ungarn, Türken, Serben und Roma. „Aber bei dem, was derzeit in der Welt passiert, fürchte ich, ihr werdet mich nächstes Jahr mit dem Fez auf dem Kopf antreffen!“, scherzt Cervenka.

Dann führt er uns zum Kloster „Hl. Anna“ auf dem Moşilor Hügel, dessen Bau im Ersten Weltkrieg begann. Erst 1990 wurde es geweiht und mit Nonnen aus Tismana besiedelt. Dort liegt das Grab des Klosterstifters Pamfil [eicaru, Kriegsberichterstatter im Ersten Weltkrieg und Herausgeber mehrerer Zeitungen in der Zwischenkriegszeit, der 1980 in Dachau bei München starb.

Eşelniţa, Eibenthal, Sviniţa

Drei Dörfer, drei Ethnien, drei Geschichten. In Eşelniţa empfangen uns Rosemarie Cocoană, Lehrerin und Vorsitzende der „Asociaţia Comunitate Eşelniţa - Cazanele Dunării“, und Pfarrer Sava Negrescu vor der orthodoxen Kirche. Im Zuge der Umsiedlung wurde sie aus den Materialien von fünf demolierten Kirchen errichtet. Relikte aus den alten Gebäuden und dem Dorf sind im Pfarreimuseum ausgestellt. Anschließend geht es mit Rosemarie Cocoană ins dörfliche Ethnologiemuseum „Grigore“, ein traditioneller Hof mit Sommerküche, Handarbeitsraum, Werkstatt und vielen Trachten. Das außergewöhnlich reich ausgestattete, unbedingt sehenswerte Museum kann nur mit Voranmeldung (Tel. 0721-603383) besucht werden.

In Eşelniţa leben 40 Prozent Roma, um die sich Rosemarie mit ihrer NGO kümmert. Mit Kindern gab sie einen Führer zum Eisernen Tor heraus: über Menschen, Sehenswürdigkeiten, Kunsthandwerk und Kochrezepte in Orşova, Eşelniţa, Eibenthal und Sviniţa .

Nach Eibenthal führt eine schmale Straße auf 470 Höhenmeter. Wegen der isolierten Lage sind die Einwohner zu fast 100 Prozent Tschechen. 1826 wurden sie aus Klatovy/Klattau (Böhmen) als Grenzschützer, Minenarbeiter und Waldarbeiter angesiedelt. Man spricht ein archaisches Tschechisch. Eibenthal ist ein beliebtes Ziel tschechischer Touristen, die mit NGOs Wanderwege und einen Campingplatz anlegten. Jeden August findet dort außerdem das Banat-Festival mit Rock, Folk und Folklore statt, zu dem Jugendliche und Musikgruppen aus Tschechien anreisen. Sie zelten oder nehmen ein Zimmer bei Einheimischen, denn Pensionen gibt es keine.

Auch das Dorf der serbischen Minderheit, Sviniţa, wurde erst durch ein Festival als Tourismusziel bekannt: das Feigenfest (siehe letzte Tourismusseite).

Caraşova

Früher war es eine Schande, wenn man in einem Hof kein Blöken hörte, bemerkt Prof. Mihai Radan, Vorsitzender der Union der Kroaten und Bürgermeister in Caraşova. Heute hat hier, wie fast überall in der Region, der wirtschaftliche Exodus eingesetzt: 1850 gab es noch 10.000 Kroaten, Mitte 1900 noch etwa 7000, heute sind es knappe 5500. Seit Kroatien 1993 der kroatischen Minderheit Rumäniens die Staatsbürgerschaft verlieh, gingen viele in den nun offenen Westen. Der Trend hält bis heute an.

Kroaten gibt es in Caraşova seit etwa 600 Jahren. Ihr Dialekt ist zur Freude der Sprachforscher unverändert geblieben, weil das Dorf eine Enklave ist. Neben Schafzucht betrieb man Obstbau, vor allem Pflaumen. Vor dem Sitz der Union der Kroaten kann man eine Art Heldengalerie bewundern: Wer sich um das Dorf verdient gemacht hat, wird auf einer buchförmigen schwarzen Marmorplatte verewigt. Auch ein kleines Dorfmuseum ist im Bau. Die Schule ist rumänisch mit kroatischem Zusatzunterricht. Wenn es um die Frage Integration versus Identität geht, scheinen Sprachenklaven aus Pragmatismus oft ersteres zu bevorzugen.

Reschitza

Blumen wachsen zwischen den Rädern der gezähmten Stahlrosse: 16 Dampfloks - 14 davon in Reschitza erbaut - kann man in dem einzigartigen Freiluftmuseum bestaunen. Auch Reschitza war immer multikulturell - mit starkem deutschem Einfluss. Den Ursprung der Banater Berglanddeutschen erklärt uns Schulleiter Boris Vatzulik vom Lyzeum „Diaconovici-Tietz“: Angesiedelt wurden Fachleute für Bergbau, Hüttenwesen und Metallurgie. 1720 gab es eine Einwanderungswelle aus Tirol, weil lokale Landherren ihre Bauern nicht für die Bergarbeit freigaben und somit Bedarf existierte. Im 19. Jahrhundert brachte man Tschechen und Deutsche her, um die Grenze in großer Höhe zu schützen - Rumänen wollten dort nicht siedeln, weil kein Mais mehr wächst. So entstanden vier deutsche und sieben tschechische Dörfer. 1848 sorgten Einwanderungswellen für Aufschwung in Reschitza und Anina; 1870 folgten Waldarbeiter.

Nur die Donau kennt alle Geschichten, verwebt sie zur Geschichte in einem blauen Band, das keine Ländergrenzen kennt. Ein Band, das Menschen verbindet.