Auf den Spuren der Vergangenheit

Steigendes Interesse an Friedhof- und Genealogietourismus

Die altösterreichische Säule der Treue auf dem Heldenfriedhof | Fotos: Zoltán Pázmány

Auf der Suche nach verschollenen Vorfahren wird so mancher auch nach Jahrzehnten noch fündig.

Die Grabmale ehemaliger Bürgermeister von Temeswar, wie János Török und Karoly Telbisz, sind auf dem Temeswarer Heldenfriedhof zu finden – leider verwahrlost.

Denkmal für die Märtyrer der Temeswarer Revolution, kurz nach der Wende errichtet.

„Sherlock Tours“ hilft bei der Suche nach Ahnen

Die Recherche beginnt schon vor der Anreise der Kunden in Archiven und Registern.

2014 machte sich Alexandra Irimia (Mitte) zum ersten Mal auf die Spurensuche nach den Vorfahren von Touristen.

Manchmal gibt es sogar ein Wiedersehen mit noch lebenden Verwandten. | Fotos: Timișoara Tour Guide-Archiv

Bei Adam Csonti im Billeder Heimathaus konnten Banatstämmige aus Argentinien mehr zu den früheren Banatern erfahren.

Geneaolgietourismus im Banat wird immer beliebter.

Grabstätten sind nicht nur Orte der Trauer, sie sind auch Touristenattraktionen. Der Friedhoftourismus im Banat vereint verborgene Stadtgeschichte, Kultur und Neugierde. Alexandra Irimia ist Reiseführerin in Temeswar/Timișoara und begleitet ihre Kunden auf eine spannende Reise durch die Geschichte des Banats. Seit mehreren Jahren begibt sie sich auch auf Spuren von aus dem Banat Stammenden und führt deren Nachfahren in eine für sie vergessene bzw. unbekannte Welt: Genealogietourismus.

Friedhofsreisen zu den römischen Katakomben waren bereits im 12. und 13. Jahrhundert Tradition. In den letzteren Jahrzehnten entwickelte sich eine neue Art von Friedhoftourismus. Grabstätten von verstorbenen Schauspielern, Politikern oder Musikern sind zu Sehenswürdigkeiten geworden, darunter u. a. die Gräber von Jim Morrison, dem Doors-Sänger, auf dem „Père Lachaise”-Friedhof in Paris oder von Rock ´n Roll-König Elvis Presley, die von ihren Fans aufgesucht werden. Auch Banater Grabstätten sind zu Zielen von Tourismusanbietern geworden. Der Temeswarer Heldenfriedhof ist einer der Orte, wo wichtige Persönlichkeiten der Stadt, darunter ehemalige Temeswarer Bürgermeister, Opfer des Ersten und Zweiten Weltkriegs sowie der rumänischen Revolution gegen den Kommunismus, begraben sind. 

Alexandra Irimia nimmt sich vor, ab diesem Jahr Touristen durch die engen Alleen des Friedhofs in unmittelbarer Nähe der Temeswarer Innenstadt zu führen. Alleine würden sich hier Touristen oder Bürger, die mehr zu den Persönlichkeiten, die hier ihre ewige Ruhe fanden, in Erfahrung bringen wollen, nicht zurechtfinden. Informationstafeln oder Schilder, so etwas gibt es vor Ort nicht. Während manche Gräber überwuchert und verborgen daliegen, gibt es auf dem Friedhof auch imposante Denkmäler, die auf den ersten Blick Neugierde wecken, wie die neugotische Kapelle. Rechter Hand des Haupteingangs im Friedhof führt eine der wenigen breiten Alleen direkt zur Kapelle. Hier ist Lorenz Kardinal Schlauch (1824 - 1902) beerdigt. Das gelbgestrichene Gebäude wurde im 19. Jahrhundert im Auftrag des Donauschwaben Lorenz Schlauch von Linden als Familiengruft erbaut. Lorenz Schlauch war ein rumänischer Bischof und Kardinal der römisch-katholischen Kirche. Er war sogar einer der persönlichen Berater von Papst Leo XIII. Im Jahr 1893 wurde Schlauch als Kardinalpriester mit der Titelkirche S. Girolamo degli Schiavoni ins Kardinalskollegium aufgenommen. Nach seinem Tod 1902 wurde Schlauch zunächst in der Barockkathedrale St. Ladislaus von Großwardein/Oradea bestattet. Seinem letzten Willen folgend wurde sein Leichnam später nach Temeswar überführt, wo er in der von ihm erbauten neugotischen Familiengruft neben seinem Vater Pál Schlauch, einem wohlhabenden Kirchenbaumeister, die letzte Ruhe fand. 

Heute dient die Schlauch-Familiengruft als Bestattungskapelle der Katholiken. Informationen zum hier beerdigten Kardinal oder zum Hauptzweck der Kapelle sind nur im Internet zu finden. Vor Ort erinnert keine einzige Informationstafel an das Leben von Lorenz Kardinal Schlauch. Allein auf seinem Grabstein links in der Kapelle kann man mit etwas Anstrengung die verwischten Inschriften in ungarischer Sprache erkennen. 

Temeswarer Bürgermeister im Heldenfriedhof

Unmittelbar in der Nähe der neugotischen Kapelle sind die Gräber zweier ehemaliger Bürgermeister von Temeswar zu finden. Verlassen, ungepflegt und vergessen stehen die Grabmale von János Török und Karl Telbisz da. Die Aufzeichnungen in ungarischer Sprache können nur wenige Temeswarer noch von den Grabsteinen ablesen und verstehen. Allein ihre Namen könnten vielleicht manchen Passanten bekannt vorkommen. 

Doch Reiseführerin Alexandra Irimia bietet diese Infos vor Ort. „János Török lebte zwischen 1843 und 1892 und war für zehn Jahre Bürgermeister von Temeswar (1876-85)“, erzählt sie. Török spielte eine wichtige Rolle für die Stadt. Als Bürgermeister trug er zur Gründung der Gewerbeschule sowie eines ständigen Schauspielensembles, zur Einführung der Stadtreinigung und Installation der elektrischen Beleuchtung in einigen Wohnhäusern und in einigen Straßen der Stadt bei.  Während seiner Amtszeit wurde das Gebäude des heutigen Nikolaus-Lenau-Lyzeums auf dem Fundament des ehemaligen Gemeindetheaters bzw. des ehemaligen serbischen Rathauses in der Gh.-Lazăr-Straße Nr.2 gebaut. János Török starb am 4. September 1892 in Barlangliget bei Budapest. Seine sterblichen Überreste wurden nach Temeswar gebracht und sind im heutigen Heldenfriedhof linker Hand in der Nähe der Zentralkapelle beerdigt. 

Rechter Hand der neugotischen Kapelle ist das Grab eines weiteren wichtigen Bürgermeisters von Temeswar zu finden. Auf dem großen Grabstein der ziemlich ungepflegten Ruhestätte kann man lesen: Karl Telbisz (1854 – 1914). Telbisz war Jurist und zwischen 1885 und 1914 Bürgermeister von Temeswar. Als er im Alter von 31 Jahren gewählt wurde, war Temeswar noch eine Festung. In den drei Jahrzehnten seiner Amtszeit ließ Karl Telbisz die Stadtmauern abtragen und das Stadtbild nach dem Vorbild der westlichen Metropolen gestalten. Zu seiner Zeit entstand der heutige Opernplatz mit seinen bekannten Gebäuden, sowie der Lloyd-, der Dauerbach- und der Postpalast und eine große Anzahl an Schulgebäuden, darunter das heutige C.D. Loga- und das Pädagogische Carmen-Sylva-Lyzeum. Unter ihm wurde auch die erste asphaltierte Straße Ungarns gebaut (1895) und die elektrische Straßenbahn eingeführt (1899). Karl Telbisz hatte eine der längsten Amtszeiten als Bürgermeister in Temeswar. 

Monumente für Revolutions- und Kriegsopfer 

Am Haupteingang des Temeswarer Heldenfriedhofs sind die Denkmäler für die Opfer der rumänischen Revolution von 1989 zu sehen. Auf dem Vorplatz der Ruhestätte wurde kurz nach der Wende ein Denkmalkomplex errichtet: ein großes Monument aus schwarz-weißen Marmorsteinen, wo die „ewige Flamme” zum Gedenken an die Märtyrer brennt; sowie einige Dutzend Grabsteine und eine Kapelle, ebenfalls aus Marmorsteinen. Im hinteren Teil des Friedhofs sind auch Denkmäler für gefallene Soldaten aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg und ein Denkmal für die Opfer des Zeppelin-Unglücks vom September 1916 zu finden. 

Ebenfalls im Heldenfriedhof steht seit Jahrzehnten das altösterreichische Denkmal der Treue. Das „Denkmal zur Erinnerung an die heldenmütige Verteidigung der Festung während der Belagerung im Jahr 1849“, Denkmal der Treue bzw. Kriegerdenkmal, wurde Januar 1853 im Auftrag des Kaisers Franz Joseph I. auf dem ehemaligen Prinz-Eugen-Paradeplatz, auf dem heutigen Freiheitsplatz, eingeweiht. Die Säule ist nach dem Entwurf des Wiener Architekten und Steinmetz Joseph Andreas Kranner im neugotischen Stil ausgeführt worden. Das 20 Meter hohe Denkmal wurde in der Mitte des Paradeplatzes auf dem Platz der Marien-Nepomuk-Säule errichtet. 1935 wurde der neugotische Baldachin des Denkmals der Treue auf den Heldenfriedhof verlegt.


Ahnentouren und Reisen zu den Banater Wurzeln ­

Manchmal wollen Menschen mehr zu ihren Vorfahren erfahren und begeben sich auf Genealogietourismus, auch Wurzeltourismus genannt. Dies ist ein Segment des Tourismusmarktes, der aus Reisenden besteht, die angestammte Verbindungen zu ihrem Urlaubsort haben: Genealogie-Touristen reisen in das Land ihrer Vorfahren, um sich mit ihrer Vergangenheit ausei-nanderzusetzen und „den Fußspuren ihrer Vorfahren zu folgen“. Genealogie-Tourismus ist häufig in Ländern, die irgendwann in der Geschichte eine Massenauswanderung erlebt haben.

Zum Portfolio der Temeswarer Reiseführerin Alexandra Irimia gehören zahlreiche thematische Touren durch die Bega-Stadt und die Region, darunter auch Wurzeltourismustouren. „Wenn Ihr Stammbaum nur noch ein paar Zweige vor der Blüte steht und das Schiffsmanifest in Ihrer Hand sagt, dass Ihre Vorfahren aus der alten Österreichisch-Ungarischen Monarchie, dem Banat (Kreis Temesch/Timiș, Arad, Karasch-Severin/Caraș-Severin und Hunedoara) stammen, möchten Sie vielleicht ein Flugticket in die moderne westrumänische Stadt Temeswar buchen und das Land Ihrer Vorfahren besuchen“ – so lautet die Einladung der Banater Reiseführerin Alexandra Irimia zu ihren „Sherlock Tours“. 

Die Reiseführerin unternimmt solche Entdeckungsreisen seit 2014. Ihr erster Genealogietourist war ein US-amerikanischer Jude mit Banater Abstammung, der sie vor Ort in Temeswar ansprach. Zusammen suchten sie nach Spuren der Familie seines Vaters im Temeswarer jüdischen Friedhof. Seither fuhr sie mit solchen Touristen quer durch das Banat. „Ein Großteil meiner Arbeit macht Ahnenforschung und Touren in diesem Bereich im Banat und manchmal auch in Siebenbürgen aus. In den letzten Jahren hatte ich die Gelegenheit, die Vergangenheit durch die Geschichten, Bilder und Erinnerungsstücke von Gästen aus den USA, Kanada, Argentinien, Brasilien, Mexiko, Europa und Australien zu entdecken, die alle von den alten Banatern oder Siebenbürgern abstammen, mit verschiedenen ethnischen Hintergründen, die vor einem Jahrhundert aus dieser Gegend ausgewandert sind. Jedes Jahr bekomme ich mehrere Anfragen, um Nachforschungen über die Besitztümer der verstorbenen Familie anzustellen, Gräber oder Schulen zu finden, die die Familienmitglieder besucht haben usw. Es ist definitiv eine Herausforderung und es fühlt sich an, als würdest du wirklich einen Unterschied machen, und zwar nicht nur im Leben meiner Gäste, sondern auch in meinem. Ich danke ihnen allen für ihr Vertrauen und dass sie ihre Familiengeschichte mit mir geteilt haben“, erzählt die Genealogiebegeiserte. 

In den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts wanderten Tausende von Banatern unterschiedlicher ethnischer und religiöser Herkunft aus ihrer Heimat aus. Angesichts des knappen Ackerlandes im Banat, damals Teil der österreichisch-ungarischen Monarchie, ließen sich Deutsche, Ungarn und Rumänen gleichermaßen vom Amerika-Fieber anstecken, das zu dieser Zeit ganz Mittelosteuropa erfasst hatte, und machten sich auf den Weg in die Vereinigten Staaten auf der Suche nach Wohlstand und einem neuen Leben. „Später, als das Ende des Ersten Weltkriegs politische und demografische Veränderungen mit sich brachte, wurden das Banat und Siebenbürgen Teil des neu gegründeten rumänischen Königreichs. Die Amtssprache änderte sich ebenso wie die Namen der Dörfer und Städte, die früher deutsche, ungarische oder andere Namen trugen. Eine weitere Auswanderungswelle folgte Ende der 1940er Jahre, als die Kommunisten auf dem damaligen rumänischen Gebiet an die Macht kamen. Mit dem Aufkommen des Kommunismus kam es zu weiteren Veränderungen, einschließlich neuer Hausnummernsysteme, die es schwierig machten, alte Familienhäuser zu identifizieren, die in den alten Zivilakten verzeichnet waren. Es ist unglaublich, dass trotz der zahlreichen Veränderungen, die die Geschichte dieses Landes mit sich gebracht hat, lebenswichtige Aufzeichnungen wie Geburts-, Heirats- und Sterbeurkunden sowie andere historische Dokumente sorgfältig von Institutionen wie dem rumänischen Nationalarchiv, den Rathäusern oder vom römisch-katholischen Bistum aufbewahrt wurden und diese stehen Forschern in Rumänien heute leicht zur Verfügung“, sagt Alexandra Irimia. 

Auf der Spurensuche nach den Familienmitgliedern geht die Reiseführerin erst mal durch Dokumente und Archive. Letztendlich findet sie Geburtshäuser der jeweiligen Vorfahren ihrer Kunden, Kirchen, wo Familienmitglieder getauft oder getraut wurden, und Begräbnisstätten, wo sie ihre ewige Ruhe fanden. Ihre Kunden sind meistens Menschen zwischen 55 und 65 Jahren, die infolge dieser Reise zu den Wurzeln manchmal sogar noch lebende Familienmitglieder und Verwandte entdecken. In den sechs Jahren, in denen sie diese Sherlock-Tours organisiert, hat Alexandra Irimia vieles erleben können und sich mit unzähligen Familiengeschichten vertraut gemacht. Etwa 70 Fälle hatte sie bereits bearbeitet. Für diesen Herbst ist Alexandra bereits ausgebucht. Touristen, die wegen der Pandemie nicht nach Rumänien reisen konnten, haben ihre Ankunft in diesem Jahr angesagt. 

„Es ist interessant, dass demnächst eine neue Art von Aus- und Einwanderung stattfinden wird. Ich wurde von Banatstämmigen aus Argentinien angesprochen. Da dort die finanzielle, aber auch die soziale Lage des Landes problematisch ist, möchten diese Bürger ihre Abstammung beweisen und eine rumänische bzw. ungarische Bürgerschaft beantragen. Somit werden sie zu EU-Bürgern und erneut nach Europa bzw. auch nach Rumänien kommen, für ein besseres, sicheres Leben. Diese Welle wird so etwa in zwei Jahren stattfinden“, schließt Alexandra Irimia. 

Informationen zu allen Touren, die von Alexandra Irimia angeboten werden, sind von ihrer Homepage www.timisoaratourguide.com in rumänischer, englischer und spanischer Sprache abrufbar.