Auf Kirchenburgen-Tour im Weinland

Mit dem Fahrrad durch das Zwischenkokelgebiet

Startpunkt der Tour: Der Komplex des Mediascher Kirchenkastells Fotos (6): Martin Rill

Fresken in der Margarethenkirche in Mediasch

Die Kirchenburg von Bogeschdorf aus der Luft Foto: George Gerster, aus„Einblicke ins Zwischenkokelgebiet“

Konstantin und Helene in der Kirchenburg von Durles

Kirchenburg von Kirtsch

Von einem italienischen oder süddeutschen Künstler stammt das heilige Abendmahl in Kirtsch.

Kirchenburg im modernen Badekurort Baaßen

Eigentlich hatte er diese viertägige Tour vor einigen Jahren deutschen Reisebüros vorgeschlagen, erzählt Martin Rill. Als kombinierte Flug-Busreise mit Ankunft in Hermannstadt/Sibiu, anschließend ging es mit dem Bus auf Kirchenburgentour über Mediasch/Mediaș, Durles/Dârlos, Kirtsch/Curciu, Bogeschdorf/Băgaciu und Baaßen/Bazna.

Theater, Orgelkonzerte, Heilbaden, kulinarische Highlights und Weinproben inbegriffen. Doch in diesem Jahr machte Corona den deutschen Siebenbürgenfans einen Strich durch die Rechnung. 2020 gab es in der Region – wenn überhaupt – nur noch Touristen aus Rumänien. Und dies wird sich so schnell nicht ändern. Des einen Leid, des andern Freud – für Einheimische jetzt die Chance, einen Kurzurlaub für die Zeit zu planen, wenn die ausländischen Besucher noch fehlen. Geheimtipp: Die Tour eignet sich auch hervorragend fürs Fahrrad!

Der Historiker muss es wissen, kennt er doch die Strecke aus der Zeit, als er für seinen 2018 mit Georg Gerster veröffentlichten Bildband „Einblicke ins Zwischenkokelgebiet“ häufig dort unterwegs war. „Sie führt durch herrliche Landschaft und ist bis auf vier Kilometer bei Kirtsch geteert, es herrscht wenig Verkehr.“ Traumhaft, das Panorama bei der Abfahrt von der Wasserscheide nach Bogeschdorf hinunter, direkt auf die Kirchenburg zu, ringsum Weinberge, schwärmt Rill. An Unterkünften stehen außer in Durles überall nette 3-Sterne-Pensionen oder Pfarrhäuser zur Verfügung. „In Kirtsch und in Bogeschdorf waren sie selbst diesen Sommer zu 55 Prozent belegt.“

Gruß des „Pitz“ vom schiefen Turm

In Mediasch fällt zuerst der schiefe Turm im Komplex des Mediascher Kirchenkastells mit seinen konzentrischen Mauerringen, fünf Verteidigungstürmen und der mächtigen Margarethenkirche ins Auge. Das Wahrzeichen der Stadt wird auch Trompeterturm oder „Tramiterturm“ genannt (von sächisch „de tramit“, Trompete). Schief ist er, weil er sich nach mehrmaliger Aufstockung auf dem sandigen Grund gefährlich neigte, bis er 1927 konsolidiert und 1972 erneut stabilisiert wurde. Die Abweichung der Turmspritze von der Senkrechten beträgt satte 2,32 Meter. Dort oben hatte einst der Stadttrompeter seinen luftigen Posten. Ihm leistete das hölzerne Stundenmännchen Gesellschaft, das zwischen den Turmuhren mit einem Glöckchen den Schlag der vollen Stunde vorankündigte: der „Turepitz“ oder Peter am Turm. Die ursprüngliche Figur aus dem 15. Jh. steht heute im Heimatmuseum, seine Position bezog 1984 ein neuer „Pitz“, geschnitzt von Kurtfritz Handel. Das Stundenmännchen stand dem gleichnamigen Cafe „Turepitz“ Pate.

In der Margarethenkirche (siehe ADZ-Online, 8. Oktober 2018: „Wo sich Glaube, Geschichte und Gegenwart treffen“) erschließen Wandmalereien die Geschichte der Kirche. Die Innenwände waren bis zur Reformation mit katholischen Fresken bedeckt, die zur Zeit der Bilderstürme und später übertüncht wurden. In den 70er Jahren hatte man sie freigelegt. Sie zieren das nördliche Seitenschiff und die Nordwand des Mittelschiffes. „Eine der wenigen Stadtkirchen, wo das ganze Ensemble erhalten ist“ , bemerkt Martin Rill.

Zwischen 1480 und 1490 wurde der kostbare spätgotische Flügelaltar geschaffen, mit dem die Sachsen ihre Dankbarkeit über den Sieg über die Türken 1479 Ausdruck verliehen. Acht Tafeln behandeln die Passion Christi. Auf der Kreuzigungsszene ist im Hintergrund die Stadt Wien dargestellt, deutlich kann man den Stephansdom erkennen.Daraus schließt man, dass der Altar von einem Meister der Wiener Schottenstiftschule geschaffen wurde.

Die Landschaft stellt jedoch die Kokelberge dar, so dass er hier vor Ort gearbeitet haben muss.  Drei weitere Altäre beherbergt die Kirche, sie stammen aus der Zeit von Johannes Stoß, dem Sohn von Veit Stoß, der sich in Schäßburg/Sighișoara niedergelassen hatte und die Altarkunst des Kokelgebiets entscheidend beeinflusste. Die Altäre von Schorsten/Șoroștin (1520), Nimesch/Nem{a (1520) und Tobsdorf/Dupuș (1470/80) kann man in der Sakristei, auf der Schneiderempore und im Kirchenschiff bewundern. Auch die Tobsdorfer Orgel befindet sich dort, sie soll in demnächst in Honigberg/Hărman restauriert werden, um dann mit der gewaltigen barocken Orgel von Johannes Hahn (1756) wieder in Konzerten zu erklingen.

Kirchenslawisch in sächsischer Kirche

Nur einen Steinwurf - eine Viertelstunde mit dem Auto - liegt Durles entfernt. In der dortigen Kirchenburg entdeckte man bei der Restaurierung in den 1970er Jahren ebenfalls vorreformatorische Fresken – katholische Heilige, auf Kirchenslawisch beschriftet! Wie war das möglich? „1486 hatte der ungarische König Matthias Corvinus dem Fürsten der Moldau, Stefan dem Großen, die Kokelburg/Cetate de Balta und mehrere dazugehörige Orte entlehnt“, erklärt dazu Martin Rill. „Der orthodoxe Fürst war der einzige gewesen, der die Osmanen mehrmals besiegt und damit das Christentum an der unteren Donau gerettet hat.“ Stefan hinterließ einige Spuren an den Gotteshäusern. In Bonnesdorf/Boian kann man das Moldauer Wappen mit dem Ur bewundern. In Durles ließ Stefans Enkel, Petru Rareș, für die katholische sächsische Gemeinschaft Moldauer Maler rufen. „Die Sachsen wünschten sich Maria mit dem Kind und ähnliche Motive – aber auf der Südwand macht der Maler ein bisschen was er will“, schmunzelt Martin Rill. „Denn dort finden wir die bei den Orthodoxen sehr beliebten Heiligen Konstantin und Helene. Und Konstantin ist mit dem Mantel von Stefan dem Großen dargestellt, denn der Maler kannte keine abendländische Tracht! Man sieht in dieser Kirche sehr gut die Überschneidung zwischen abendländischer und byzantinischer Kunst“, streicht der Historiker heraus.

Künstler aus ganz Europa auf der Walz

Von Durles aus gelangt man durch ein sehr schönes Tal nach Kirtsch. Auch in der dortigen Kirchenburg gibt es vorreformatorische Fresken. Herausragend ist eine Darstellung des heiligen Abendmahls, zum Unterschied von Durles von abendländischen Malern geschaffen, wahrscheinlich aus Norditalien oder dem süddeutschen Raum. „Die Jünger zeigen ganz andere Charakterzüge, ganz andere Kleider!“ Die Künstler und Handwerker kamen im Rahmen der Walz nach Siebenbürgen, „das war kein Problem, es war ein katholisches Europa“, erläutert Rill. Ihre Stationen könne man anhand der Stempel in den damals üblichen Wanderbüchern nachvollziehen. Ihre Wanderung orientierte sich danach, wohin sie eingeladen wurden, mit dem Lohn finanzierten sie ihre Reise. Die reichen Sachsen im Weinland konnten sich durchaus namhafte Künstler leisten. Einige heirateten und blieben für immer dort.

Wer nun selbst Lust aufs Wandern bekommen hat, kann dem Pfad von Kirtsch nach Bogeschdorf auf Schusters Rappen folgen, vorbei an üppigen Weinbergen, wo alte siebenbürgische Sorten wie Königsast und Riesling wieder wachsen. Einkehren kann man in der Dorfpension gegenüber dem Weingut „Terra Regis“ (ADZ-Online, 12. Juli 2018: „Der Abenteuer-Winzer aus Bogeschdorf“). Sie heißt jetzt „Sachsenhaus“ und bietet typische Speisen wie „Brodelauwend“, eine Suppe mit geräuchertem Bauchspeck, Kartoffeln, Lorbeer und vielen Kräutern, sowie lokale Weine. Auch eine Weinprobe oder ein Grillabend lässt sich organisieren, sobald man wieder darf…  Viel Zeit sollte man sich am nächsten Tag für die Kirchenburg nehmen. Ein Highlight ist der über 500 Jahre alte Flügelaltar und das Gestühl von Johannes Reichmuth aus dem süddeutschen Raum (siehe ADZ-Online, 10. Juli 2018: „Es ist ein großer Schatz, den wir in Siebenbürgen noch haben“).

Eine Glocke gegen Unwetter

An der nächsten Station, in Baaßen, kann man im salzigen Thermalwasser schwelgen, Schlammpackungen genießen oder eine Büffelmilchkur durchführen. In dem modernen Badekurort werden vor allem rheumatische Beschwerden behandelt. Ein Drittel der Gäste kommt aus Deutschland, verrät Martin Rill.

In der Kirchenburg wird man wieder daran erinnert, wie schwer das Land einst verteidigt werden musste: Sogar der Chorraum der Kirche ist zum Wehrgeschoss ausgebaut. Eine charmante Kuriosität ist die Wetterglocke aus dem 15. Jahrhundert. „Wein ist gegen Hagel empfindlich“, erklärt Rill. Den konnte man durch eine besonders große Glocke vertreiben. „Die Bewegung des Luftzugs durch das Tal, den ihr Schall erzeugte, bewirkte, dass die Wolken anderswo niedergingen.“ Den Glockenmantel ziert – wie könnte es anders sein - eine Rebe.

Wein ist auf dieser Reise omnipräsent – selbst um Kirchenportale und Grabsteine ranken sich Reben.  Denn die Rebe ermöglichte den Sachsen im Weinland, Künstler von Rang und Namen zu bezahlen, im Gegenzug zu den Regionen, wo nur Landwirtschaft betrieben wurde.  So lohnt es sich nicht nur wegen der herrlichen Landschaft, diese Tour mit dem Fahrrad zu unternehmen!