Aufschwung einer Krise, Untergang einer Hochschule

Fachkräftemangel wächst, Branchen-Unterstützung für deutsche Mechatronik-Abteilung schwindet

So brach wie die alte Industrie? Der deutschsprachige Mechatronik-Studiengang blickt auf die erfolgreiche Ausbildung junger Menschen zurück, kämpft aber genau wie die rumänische Industrie um das Überleben.
Foto: Zoltán Pázmány

Es klingt wie eine kaputte Schallplatte: Westliche Industrieländer wie Deutschland brauchen dringend Fachkräfte. Laut der Studie „Fachkräftemangel 2013“ des Personaldienstleisters ManpowerGroup haben 35 Prozent der deutschen Unternehmen derzeit Schwierigkeiten, ihre offenen Stellen zu besetzen. Besonders unbeliebt sind inzwischen Berufe wie Facharbeiter (Handwerker) und Ingenieur. In einem Ranking der am schwierigsten zu besetzenden Positionen belegen diese Berufe die ersten beiden Plätze. Der Fachkräftemangel ist ein weltweites Problem. Seit 2009 ist die Quote jährlich um fünf Prozentpunkte gestiegen. Deutschland verzeichnete im Vergleich zum Vorjahr einen Rückgang von sieben Prozent. Das Ergebnis stimmt jedoch keinen optimistisch: Der deutsche Arbeitsmarkt hat sich lediglich dem internationalen angepasst. Viele deutsche Arbeitgeber wissen inzwischen, dass sie ihre Rekrutierungsstrategien ändern müssen. In Deutschland allein finden sich die notwendigen Fachkräfte nicht mehr. Darum seien immer mehr Personaler bereit, so ManpowerGroup, über den Tellerrand zu schauen und ihre Anforderungen zu überdenken.

Krisenländer wie Spanien gehören inzwischen zu den Exportländern von jungen Fachkräften. Die europäische Statistikbehörde Eurostat meldete für Spanien Ende 2012 eine Jugendarbeitslosenquote von 55,2 Prozent. Wer im eigenen Land keine Arbeit findet, sucht sein Glück im Ausland. Viele deutsche Unternehmen nehmen Spaniens junge Arbeitskraft mit Freude auf, besonders wenn sie über die dringend benötigten Kompetenzen verfügt. Doch nicht nur spanische Ingenieure füllen den deutschen Arbeitsmarkt. Auch immer mehr Rumänen werden von deutschen Firmen rekrutiert. Besonders im Westen des Landes, wo der Anteil deutscher Unternehmen groß ist und wo aufgrund deutschsprachiger Schulen und Studiengänge die deutsche Sprache so prominent vertreten ist wie die englische, wachsen die Chancen für junge Absolventen einer technischen Studienrichtung, einen Arbeitsplatz in deutschen Großunternehmen wie Robert Bosch, Continental oder Siemens zu ergattern. Deutsch ist meist der differenzierende Faktor, der bei einer Einstellung den Unterschied ausmacht.

Unbeliebter Studiengang

Ein deutschsprachiger Studiengang für Maschinenbau macht im Kontext der aktuellen Fachkräftekrise Sinn. Doch während die Branche nach Nachwuchs schreit, bleiben Hochschulen leer. Der hohe finanzielle Aufwand sowie die geringe Nachfrage seitens Abiturienten hat dazu geführt, dass zum Beispiel die seit 1992 bestehende Mechatronik-Abteilung in deutscher Sprache an der TU Politehnica vor der Auflösung steht. Jährlich schreiben sich rund 15 Studenten ein. Das sind etwas weniger als die Hälfte der erforderlichen Zahl, damit die Universität die Abteilung finanziell tragen kann. Darum bangt Erwin Lovasz, Leiter der Mechatronik, um die Zukunft der deutschen Studienrichtung. Seit drei Jahren konnte der Studiengang in deutscher Sprache nicht starten. „Es ist eine Frage des Geldes“, so Lovasz. „Wir bräuchten rund 30 bis 35 Studenten, um den Studiengang in einer anderen Sprache als der rumänischen anzubieten.“ Je weniger Studenten, desto größer sind die Erhaltungskosten. Um mit der Hälfte der Studenten ein neues Jahr starten zu können, müsste er Unterstützung von außen erhalten. Selbst das erfreuliche Ergebnis der diesjährigen Einschreibungen im Monat Juli ändern nichts an der prekären Lage: Zwar haben sich 21 Personen für das Wintersemester eingeschrieben, damit mehr als in anderen Jahren, aber immer noch unzureichend.

Deutsche Hochschulen haben für dieses stetige Problem längst eine Lösung gefunden. In Deutschland unterstützen Unternehmen durch Stipendienprogramme und Sponsoringverträge die Bildungseinrichtungen und füllen die finanziellen Lücken mit den zusätzlichen Geldern. Im Gegenzug werden diese Firmen von den Hochschulen bei der Rekrutierung junger, begabter Ingenieure unterstützt. Viele werden schon während ihres letzten Studienjahres von den Unternehmen angeheuert. Das Gleiche ist auch schon oft in Temeswar passiert. Viele Firmen haben sich öfters an Lovasz gewandt, er solle ihnen einige fähige Studenten nennen, die durchaus Potenzial zeigen. „Ein Kollege aus Deutschland hat mich irgendwann gefragt, ob ich denn mit den Firmen einen Partnerschaftsvertrag abgeschlossen hätte“, so Lovasz. „Ich verneinte natürlich.“

Die Bereitschaft von Unternehmen, die Hochschule zu unterstützen, besteht nur, solange sie selber etwas davon haben. Sobald die Personalabteilungen der jeweiligen Firmen ihre Norm erfüllt haben und die freien Stellen besetzt wurden, schwindet auch das Interesse. Dann steht Lovasz wieder allein da und muss sich erneut mit dem gleichen Problem herumschlagen. Werden die erforderlichen Studienplätze nicht besetzt, kommt der deutschsprachige Studiengang nicht zustande. „Diese Studenten müssen dann auf Rumänisch studieren. Sowieso handelt es sich um einen Parallelstudiengang. Was auf Rumänisch unterrichtet wird, wird auch auf Deutsch unterrichtet.“ Viele junge Abiturienten, die die Lenau-Schule besucht haben, nutzen die Deutschkenntnisse, um im Ausland zu studieren. Auch für diejenigen, die sich für die Studienrichtung Mechatronik in Temeswar nur entschieden haben, weil sie auch auf Deutsch angeboten wird, bleibt als Alternative ein Auslandsstudium. Den eigentlichen Verlust tragen die deutschen Unternehmen selbst, die Standorte in Temeswar betreiben. „Der große Nachteil, wenn die Studenten dann nur noch auf Rumänisch Mechatronik studieren, ist, dass sie zwar die technische Sprache beherrschen werden, jedoch nicht auf Deutsch“, erklärt Lovasz. „Wir bemühen uns zwar, unsere besten Studenten, die auch Deutsch können, im letzten Jahr mit verschiedenen Stipendienprogrammen nach Deutschland zu schicken. Doch auf lange Sicht reicht das nicht aus.“

Die Mechatronik-Abteilung an der TU Politehnica pflegt Partnerschaften mit wichtigen deutschen Bildungs- und Forschungseinrichtungen, wie etwa dem Frauenhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) Stuttgart. Im Studienjahr 2012-2013 besuchten zwei Studenten die Universität Dresden ein Semester lang als Gäste. Dort arbeiteten sie an ihrer Bachelorarbeit. Im Durchschnitt schickt die Abteilung vier bis fünf Studenten nach Deutschland zu Partnereinrichtungen. Die Fähigsten bleiben auch gleich dort, weil ein Unternehmen sie sofort anheuert.
Nicht nur der Mangel an Studenten ist ein Problem für einen Studiengang, der seit Jahren nicht mehr angeboten wird. Besonders wichtig sind auch kompetente Lehrkräfte, die auch der deutschen Sprache mächtig sind. „Das wird langsam ein großes Problem. Ein Teil der Lehrkräfte sind im Ruhestand. Jüngere rücken sehr schwer nach, weil das Gehalt nicht so hoch und die Karriereaussichten nicht so groß sind, wie wenn sie in einem Unternehmen arbeiten würden“, so der Leiter.

Fragwürdige Zukunft

Im nächsten Jahr könnte die deutsche Abteilung für Mechatronik an der TU Politehnica ihre Akkreditierung verlieren. Es wäre der erste Schritt in Richtung Auflösung. Die Zahl der Bewerber schwankt, ist aber in der Regel unzureichend. Die Lehrkräfte werden immer älter, die Nachfolge durch jüngere Kollegen kann die Universität nicht sichern. Währenddessen suchen Großunternehmen mit Standorten in Deutschland und EU-Ländern wie Rumänien nach jungen, kompetenten Arbeitskräften. Es klingt fast schon absurd, dass die deutsche Abteilung um ihr Bestehen bangt, obwohl sie eben das verspricht, was die Branche sucht. Trotzdem gibt es auch einen Silberstreifen am Horizont. Manche Unternehmen haben sich bereits an Lovasz gewandt und Partnerschaften angeboten. Doch nicht nur Geld benötigt die seit mehr als 20 Jahren bestehende Studienrichtung. Auch ordentlich Werbung müssten Branchenvertreter machen, um besonders die Jugend davon zu überzeugen, dass sie durchaus eine Zukunft im Bereich Maschinenbau haben könnten. „Was man als junger Mensch dafür braucht?“ fragt Lovasz rhetorisch. „Nun, für eine technische Ausbildung braucht man mathematische Kenntnisse, man muss Physik können und großes Interesse für Technik haben.“ Er ist zuversichtlich, dass es viele potenzielle Kandidaten gibt. Viele wissen es leider nur noch nicht. Und indessen läuft der einzigen deutschsprachigen Abteilung für Mechatronik aus West-Rumänien die Zeit davon.