Aus der Sicht russischer Archive

Übersetzte Fragmente aus dem Buch zur Deportation in die Sowjetunion (III)

Der Friedhof des Sonderkrankenhauses Nr. 2658 in Ljublino/Moskau

Teil 1 und Teil 2

(...)Am 5. November 1945, stellte Generalmajor S. I. Schemen, der stellvertretende Leiter des GUPVI (Hauptverwaltung für Angelegenheiten von Kriegsgefangenen und Internierten) des NKWD, dem stellvertretenden Innenminister der UdSSR, Generaloberst I. I. Kruglow, einen detaillierten Bericht über den Zustand der im Jahre 1945 mobilisierten und verhafteten Deportierten in der UdSSR zu. Dieser Unterlage zufolge befanden sich am 1. November 1945 noch 158.461 Internierte und Mobilisierte in der UdSSR, da in den vorangegangenen Monaten 29.119 Personen (davon 9861 Polen) repatriiert und andere 19.258 Deportierte, arbeitsuntauglich geworden, entlassen worden waren und weitere ca. 6000 Internierte Prozeduren von Entlassung und Repatriierung unterworfen waren. Die arbeitstauglichen Internierten befanden sich in folgenden Sowjetrepubliken: 28.207 in der Sozialistischen Föderativen Russischen Sowjetrepublik, 127.072 in der Sozialistischen Ukrainischen Sowjetrepublik und 5963 in der Sozialistischen Weißrussischen Sowjetrepublik. (...)

Die Krankheitsrate betrug im August 1945 7,7 Prozent und im September 1945 7,0 Prozent, die Sterblichkeitsrate hatte in den letzten sechs Monaten folgenden Verlauf gehabt: April – 1,6 %; Mai – 1,8 %; Juni – 1,4 %; Juli – 1,8 %; August – 1,9 %; September – 1,3 %. Der Grad der Nutzung der zur Arbeit Internierten (errechnet aus dem Verhältnis der Anzahl der Personen, die an jedem Kalendertag gearbeitet haben) lag im August 1945 bei 89,9 Prozent und im September bei 89 Prozent, während die Arbeitsproduktivität von 87,8 Prozent im Juni auf 93,7 Prozent im Juli, bzw. 94,8 Prozent im August 1945 stieg. (...)

Bis zum 1. März 1947 wurden über die Hälfte (genauer gesagt 115.098) der zur Zwangsarbeit in die UdSSR gebrachten Zivilpersonen aus den Evidenzen des NKWD gestrichen – 69.263 repatriiert, 34.626 gestorben und 11.209 aus anderen Ursachen (geflüchtet, befreit mit der Bedingung, sich endgültig in der UdSSR niederzulassen, als Agenten angeworben, in die Zuständigkeit anderer Ministerien oder sowjetischen Militärstrukturen geschickt, usw.) – und in den Arbeitsbataillonen des NKWD wurden noch 93.141 fremde Zivilpersonen (49.770 Männer und 43.371 Frauen) festgehalten, von denen über 45 Prozent rumänische Staatsbürger waren. (...)
Sowohl die zusammenfassenden Dokumente (Berichte, statistische Angaben, operative Synthesen, usw.) als auch die auf Details eingehenden (Protokolle als Begleitschreiben von Namenslisten bei der Überstellung der repatriierten Zivilpersonen an die rumänischen Behörden), die seinerzeit von den spezialisierten Strukturen des NKWD bzw. Innenministeriums verfasst worden sind, beweisen, dass die sowjetischen Behörden bis Januar 1950 etwas über 61.000 der Deportierten aus Rumänien repatriiert hatten.

Ein derartiges Dokument, das den Rhythmus und die Zahl der Heimführung in die Herkunftsstaaten der Zivildeportierten aus den Jahren 1945-1949 wiedergibt, ist der von General Petrow am 17. Januar 1951 verfasste Bericht (Tabelle 1): 
Eine einfache, logische Rechnung aufgrund der in den russischen Archiven gefundenen Urkunden ergibt, dass die reelle Zahl der in den sowjetischen Arbeitsbataillonen und Spezialkrankenhäusern verstorbenen deportierten Zivilpersonen aus Rumänien während der Deportation die 8000 überschreitet (ca. 70.000 deportierte rumänische Staatsbürger – 61.072 Repatriierte = ca. 8000 Verstorbene).

Die Repatriierung der Deportierten 

In der Zeitspanne 1945-1949 wurden 213.418 von den sowjetischen Truppen oder den Strukturen des Sicherheitsapparates deportierte oder verhaftete Personen aus mehreren europäischen und asiatischen Staaten entlassen und heimgeführt. 
Im Falle Rumäniens war der Rhythmus der Repatriierungen der Zivilpersonen in den ersten Nachkriegsjahren sehr viel geringer als der im Falle Deutschlands oder Ungarns verzeichnete, so dass über ein Drittel der Deportierten erst im letzten Jahr der Zeitspanne 1945-1949 entlassen worden ist (Tabelle 2):
(...) Am 1. November 1950 befanden sich in der UdSSR noch insgesamt 12.304 Bürger Rumäniens, Ungarns, der Tschechoslowakei und Jugoslawiens, Staaten, die dem „sozialistischen Lager“ angehörten. Darunter befanden sich fast 1000 rumänische Staatsbürger und davon waren 181 im Januar-Februar 1945 deportierte Zivilpersonen, die in 12 Regionen der UdSSR festgehalten wurden.

Über 90 Prozent der nach über fünf Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges nicht repatriierten rumänischen Staatsbürger waren Kriegsgefangene oder von sowjetischen Militär- oder Zivilgerichten verurteilte Zivilinternierte und befanden sich – am 1. November 1950 – in Gefängnissen, sowjetischen Lagern oder Sonderkrankenhäusern.
Aufgrund des Ministerratsbeschlusses der UdSSR Nr. 4.287/1.804ss vom 17. Oktober 1950 und des Geheimbefehls Nr. 00643 des Innenministers, Generaloberst S. Kruglow, wurde angeordnet:

„1. In der UdSSR sollen (...) 543 Kriegsgefangene und internierte Zivilpersonen, Staatsbürger Rumäniens (...) bis zum Abbüßen der von den Richtern festgelegten Strafen festgehalten werden (...). 
5. Es sollen aus den Lagern des Innenministeriums und den Sonderkrankenhäusern (...) 5192 Kriegsgefangene und internierte Zivilpersonen, rumänische Staatsbürger, entlassen und repatriiert werden, davon: 
a) (...) 1629 Kriegsgefangene und internierte Zivilpersonen, rumänische Staatsbürger, gegen die kein kompromittierendes Material vorliegt;
b) (...) 3139 Kriegsgefangene, rumänische Staatsbürger – ehemalige Mitarbeiter der Spionage- und Gegenspionagedienste der Gendarmerie, Polizei, Waffen-SS-Truppen, anderer Repressionsdienste (...) sofern es keine Unterlagen betreffend ihre gegen die UdSSR gerichteten Kriegsverbrechen gibt; 
c) (...) 424 Kriegsgefangene und internierte Zivilpersonen, rumänische Staatsbürger, vor Gericht gestellt wegen Verstoß gegen die Lagerordnung, kleinen Diebstählen aus dem sozialistischen Eigentum, Diebstählen aus dem Privateigentum von Bürgern, Arbeitsverweigerung und Verstöße gegen das Gemeinwohl, deren Strafen vom Gericht festgelegt wurde, die aber in Ausweisung vom Gebiet der Sowjetunion umgewandelt worden sind. (...) 

Verurteilt, geflüchtet und verstorben

(...) In der Abteilung Evidenz/Übersicht der Hauptverwaltung für Angelegenheiten von Kriegsgefangenen und Internierten des NKWD (GUPVI) wurden monatlich Syntheseberichte über die fremden Zivilinternierten, „gegen die es kompromittierende Materialien gibt“, verfasst, darunter – im August 1946 – auch Hinweise auf vier rumänische Staatsbürger:
1.„KLIPSCH Gustav Ferdinand, geboren 1919, aus Reschitza stammend, deutscher Herkunft, festgehalten im Arbeitsbatallion Nr. 1652, verhält sich bei der Arbeit unehrlich, erfüllt seine Norm nicht, hat sich geweigert zur Arbeit zu gehen, simuliert und hat zu flüchten versucht. (…)
4. KELL Iosif Iosif, geboren 1909, stammt aus der Stadt Saimlos (?) – Amerika, deutscher Herkunft, festgehalten im Arbeitsbataillon Nr. 1652, verhält sich unehrlich bei der Arbeit. Von 1933 bis 1940 hat er der Gendarmerie angehört, Tatsache die er in den offiziellen Dokumenten verheimlicht hat.“
Die Identifizierung der während der Haft in der UdSSR – als Deportierte, Festgenommene, Verurteilte oder Umgesiedelte – verstorbenen Zivilpersonen aus Rumänien kann nur in den russischen Archiven vorgenommen werden, die einzigen, die Informationen über das tragische Ende dieser Kategorie von Opfern des vor fast 75 Jahren beendeten Krieges verfügen. Das Erforschen dieses Themas, das nicht nur für die rumänische Geschichtsschreibung sondern auch für die Nachfolger jener, die aus den sowjetischen Arbeitslagern und -batallionen nicht heimkehrten von Interesse ist, gehört zu den komplexesten, schwierigsten und arbeitsaufwendigsten Arbeitsvorgängen in den Moskauer Archiven. 

Der Grund hierfür ist, dass in den Unterlagen, in denen der Tot der deportierten Zivilpersonen registriert wurde, in der ersten Zeit (insbesondere in den ersten beiden Jahren) die Staatsbürgerschaft der Verstorbenen nicht eingetragen ist, und sie nur mit dem Namen und Vornamen (manchmal auch Vaternamen), Geburtsjahr, Volkszugehörigkeit/Nationalität und Sterbedatum registriert worden sind. Folglich erscheinen die während der Deportationszeit in der UdSSR verstorbenen Zivilpersonen sowohl in den Namenslisten (die in den Mappen der Arbeitsbataillonen, Spezialkrakenhäuser oder Gefangenenlager) als auch in den statistischen Berichten (gewöhnlich monatlich an GUPVI gesandt) als „Deutsche“ (im Sinne deutscher Herkunft). 

In einigen Registern sind jedoch auch die Staatsbürgerschaft und die ethnische Herkunft/Nationalität der Verstorbenen verzeichnet worden. So konnte ich zig Fälle von rumänischen Staatsbürgern deutscher Herkunft identifizieren, die zwischen 30 und 90 Prozent der Gesamtsumme der Toten darstellten, wie es Beispiele in der Tabelle 3 zeigen.

(Schluss)