„Auseinandersetzung mit Geschichte bedeutet einen Schritt der Integration“

Ein Interview mit Paul Morbach, dem aktuellen ifa-Kulturmanager in Fogarasch

ifa-Kulturmanager Paul Morbach vor dem Eingang zum Kirch- und Pfarrhof der evangelischen Kirchengemeinde A.B. in Fogarasch | Foto: Hantzy Kessler

Brigitte Dumitru und Bianca Nedelcu vor der Synagoge ihres Wohnortes Fogarasch. Architekt Eugen Vaida und das Freiwilligen-Team des Vereins „Ambulanța pentru Monumente“ werden hier vom 5. bis zum 31. Juli 2021 ganze vier Wochen Arbeitszeit verbringen. Andrei Morar vom Forschungsinstitut Fogarasch / Institutul de Cercetare Făgăraș (ICF) hat einen Artikel über die Synagoge und die jüdische Vergangenheit der Stadt recherchiert, der seit Mitte August 2020 als Download auf icf-fri.org/ro/sinagoga-si-comunitatea-evreiasca-istorie-pierduta-a-fagarasului/ zur Verfügung steht. | Foto: Paul Morbach

Für Paul Morbach war die Anreise nach Fogarasch aus Deutschland Anfang Juli 2020 nicht der Erstkontakt zu Rumänien. Nachdem er bereits im Sommer 2008 mit einem Interrail-Ticket von Berlin nach Istanbul gereist war und sich Zeit für einen gemütlichen Zwischenhalt in Siebenbürgen genommen hatte, bewarb er sich auf die zeitlich befristete Kulturmanager-Stelle im Auftrag des bundesdeutschen Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa) in Fogarasch. Paul Morbach (Jahrgang 1988), der an der Universität Heidelberg das Lehramtsdiplom für Deutsch und Religion erlangt und dort auch Vorlesungen des Romanischen Seminars besucht hat, wurde bis Ende August 2021 an den zunehmend selbstbewussten Ort unweit der größeren Nachbarstädte Kronstadt/Bra{ov und Hermannstadt/Sibiu entsandt.
In Fogarasch arbeitet Paul Morbach eng mit Pfarrer Johannes Klein und Kantorin Christiane Neubert von der evangelischen Kirche A.B. in Rumänien zusammen. Die Freizeitangebote der Kinderuni Bekokten/Bărcuț und des Jugendzentrums Seligstadt machen einen wichtigen Teil seiner Aufgaben vor Ort aus. Dem vorerst für die Dauer eines Jahres hier schaffenden ifa-Kulturmanager hat es auch die Synagoge der ehemaligen Jüdischen Gemeinde Fogarasch angetan. Ende Januar hat Paul Morbach in Hermannstadt Fragen von Klaus Philippi beantwortet.

Sie haben sich einer Initiative zum Erhalt der Fogarascher Synagoge angeschlossen – was hat es mit dem Projekt auf sich?
Es ist eine neologische Synagoge aus dem 19. Jahrhundert, die seit längerer Zeit leersteht. Sie ist direkt an der Hauptverkehrsader von Fogarasch zu finden und eines der wenigen alten Gebäude im Stadtzentrum, weil rundherum Wohnblocks und Einkaufszentren aus jüngerer Zeiten das urbane Bild beherrschen. Eine lokale Initiative aber möchte diese Synagoge erhalten, renovieren und zu einem Kulturzentrum ausbauen. Ich schließe mich der Initiative an und möchte zusammen mit einer Jugendgruppe herausfinden, wie es um die jüdische Geschichte von Fogarasch steht. 
Ein Jugendlicher hat bereits eine kleine Arbeit zur Synagoge, zum jüdischen Viertel und zu den Häusern, die vormals rings um die Synagoge standen, geschrieben (siehe Link unter dem Bild anbei). Seit etwa den 1980er-Jahren gibt es keine Jüdinnen und Juden mehr in Fogarasch.

Und welche Aspekte interessieren Sie im Fogarasch der Gegenwart?
Die evangelische Kirchengemeinde A.B. Fogarasch, von wo aus ich als ifa-Kulturmanager tätig bin, betreibt auch das Jugendzentrum Seligstadt. Sie ist nicht nur aktiv, was Freizeiten und außerschulische Bildung angeht, sondern möchte sich auch in die Schulbildung einbringen und hat Unterrichtsmaterialien erstellt, die dem Konzept des Jugendzentrums Seligstadt entsprechen: Die Schülerinnen und Schüler sollen ausprobieren und experimentieren können und so weit wie möglich einen Unterricht erhalten, der ihre eigenen Erfahrungen und eine Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand in den Vordergrund rückt. 
Uns ist natürlich klar, dass die Genehmigung von Lehrbüchern sich in Rumänien restriktiver als andernorts im Ausland gestaltet. Aber Unterrichtshilfen können wir anbieten. Auch Workshops bei Lehrertagungen haben wir vermittelt. Im Jugendzentrum Seligstadt habe ich von einer Arbeitsgruppe für Bildung und Schule erfahren, die lokale Initiativen in Fogarasch unterstützen möchte, sich aber gerade erst formiert.

Mit der Vorerfahrung eines in Deutschland abgeschlossenen Lehramt-Studiums für Religion und Deutsch in Siebenbürgen unterwegs zu sein – wie fühlt sich das an?
Auch wenn ich nach der Schulzeit anfangs dachte, bloß nicht Lehrer werden zu wollen, hat mich das Pädagogische und das menschliche Zugewandt-Sein dennoch interessiert und bei meiner Wahl eine Rolle gespielt. Fasziniert hat mich Theologie, und das hat bis heute nicht nachgelassen. Dieses Fach ist einfach Gegenstand für sehr spannende Auseinandersetzungen. 
Weil ich mich auch für Literatur und deutsche Sprache interessiert habe, lag es nahe, Deutsch und Religion im Doppelpack zu studieren. Nach dem Lehramt-Studium in Deutschland habe ich zuallererst Deutsch als Fremdsprache unterrichtet, aber bald freie und projektbezogene Arbeitsfelder gesucht und beispielsweise jungen Menschen durch Sprachkurse und gezieltes Wortschatztraining geholfen, ihre Ausbildung zum Koch abschließen zu können. Die Kombination von Projektarbeit und Deutsch als Fremdsprache hat bei mir die Neugierde an Fogarasch geweckt. 
Dass mein Aufgabenfeld auch Berührungspunkte mit Kirche hat, macht die Stelle in Fogarasch noch eine Spur interessanter, zumal ich mitten im Corona-Jahr 2020 zur evangelischen Gemeinde und zum vielfältig engagierten Jugendzentrum Seligstadt gekommen bin. Es geht wirklich sehr abwechslungsreich zu und ist im Alltag mit vergleichsweise mehr körperlicher Arbeit als in Deutschland verbunden, da oft große Zelte aufgebaut oder schwere Materialien abgeladen und umgeschichtet werden müssen. 
Aber die Mitarbeit an Freizeiten und pädagogischen Konzepten kommt nicht zu kurz. In Fogarasch ist das wichtig, weil die Stadt für Jugendliche leider nicht viel zu bieten hat.

Wie kommt Rumänien, wo man noch heute einen ruppigen Ton an den Tag legt und mitei-nander nicht gerade übervorsichtig umgeht, bei jungen deutschen Muttersprachlern aus dem Westen an?
Prinzipiell mag ich eigentlich diese Art und Weise der Offenheit und Auseinandersetzung, die einem Deutschen aus Deutschland beim ersten genauen Hinhören auch mal brüsk vorkommen kann. Ich bin aber gerne hier und fühle mich in Rumänien wohl – in der deutschen Minderheit, der ich in Fogarasch angedockt bin, als auch in der rumänischen Mehrheitsgesellschaft, an die ich mich bereits wie jemand von innen heraus gewöhnt habe. 
Klar ist mir bewusst, dass Deutsch und Religion gerade für die Siebenbürger Sachsen den Kern der Identität ausmachen. Auch mit dem sächsischen Dialekt der Region habe ich mich schon beschäftigt. 
Und natürlich tritt der Protestantismus hier weitaus stärker als ein identitätbildendes Merkmal auf, stärker jedenfalls, als wir es aus Deutschland kennen. Die Kirchengemeinden bedeuten den Menschen nicht einfach nur religiöses Bekenntnis, sondern richtig Heimat. Darum ist es für mich sehr spannend, hier zu sein und so einen intensiven Bezug zu Deutsch und Religion zu erleben.

Ein wenig Binnenkritik kann Rumänien nicht schaden. Wobei uns einleuchtet, dass die Aufgabe von Dauergästen wie Ihnen nicht darin bestehen kann, von außen zu einem bestimmten Rezept für interne Erinnerungskultur zu zwingen. Dennoch haben Sie sich mit dem Projekt über die Synagoge Fogarasch ein spannendes und vielleicht auch nicht ganz unproblematisches Themenfeld vorgenommen! Über den Holocaust wird in Rumänien noch nicht so offen wie beispielsweise in Deutschland gesprochen... 
Ich freue mich, weil es von Jugendlichen Interesse am Thema gibt. Dann begebe ich mich also mit ihnen zusammen auf Spurensuche. Ich bin mir durchaus bewusst, dabei auch auf Dinge stoßen zu können, die für verschiedene Seiten unangenehm sind. Aber aus meiner Wahrnehmung heraus denke ich, dass es wichtig ist, bei Jugendlichen diesen Sinn für eine wirklich fundierte historische Auseinandersetzung zu fördern. Wenn sie das tatsächlich interessiert und von ihnen nicht einfach nur zu polemischen Zwecken missbraucht wird, dann will ich das gerne unterstützen. 
Es ist ein schwieriges Feld, ja. Im Nachhinein jedoch wirkt sich eine korrekte Art und Weise der Auseinandersetzung mit Geschichte, die historische Wahrheiten aufdeckt, letztlich fördernd auf das Zusammenleben aus. Davon bin ich überzeugt. Ich möchte die Jugendlichen anleiten, sich mit Geschichte auseinanderzusetzen, weil das einen Schritt der Integration bedeutet. Es ist bestimmt unterstützenswert, deutschsprachige und rumänischsprachige Jugendliche gemeinsam etwas über Geschichte herausfinden zu lassen.

Wo erkennen Sie in Fogarasch, wo die Zeit etwas weniger rasch als in den größeren Städten Siebenbürgens voranschreitet, die Schatten- und Sonnenseiten des rumänischen Alltags?
Obwohl ich nur für eine begrenzte Zeitspanne da bin, freut es mich, genau hier in Fogarasch zu leben. Zu sehen, dass es eine sehr durchschnittliche Stadt ist, die ihre ganz eigenen Probleme sozialer Art hat, bedeutet mir eine nützliche Erfahrung. Vor allem das Angebot für Jugendliche könnte viel besser sein. 
Aber ich fühle mich bei der evangelischen Kirchengemeinde am richtigen Ort, weil sie sehr umtriebig ist. Unter ihrem Dach wohnen stets auch Freiwillige des Ökumenischen Friedensdienstes (FÖF).
Die Stadt Fogarasch wächst gerade erst langsam aus sich heraus. In Hermannstadt und Kronstadt hat sich dagegen schon viel verändert. Wir leben zwar auf halber Strecke zwischen diesen beiden größeren Städten, sind aber stolz auf das nahe Jugendzentrum Seligstadt und die Kinderuni Bekokten. Die Freizeitangebote beider Orte sind sehr wichtig für die Region.