Basteln und Entdecken für das seelische Gleichgewicht

ASTRA-Museum begegnet Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Kinder mit Outdoor-Aktivitäten und Workshops

Jugendliche lernten, lederne sandalenartige Schuhe der rumänischen Volkstracht, genannt „Opanken“, selbst herzustellen.

Das Zubereiten der Krapfen erfordert manchmal Zusammenarbeit.

Ostereier muss man höchst sorgfältig mit traditionellen Mustern bemalen. | Fotos: ASTRA-Museum

Am 11. März 2020 wurde der Unterricht in den Online-Bereich verlagert und die Wirklichkeit änderte sich von Stunde zu Stunde für die Kinder in Rumänien. Heute, mit mehr als 19 Monaten Online-Kursen hinter sich, die Schulen wurden für ein paar Wochen wieder geöffnet und danach geschlossen, Regeln, Einschränkungen und ständiger Anpassung, fühlen sich über 90 Prozent der Schüler landesweit von der Covid-19-Pandemie zutiefst gestresst und verwirrt. Die  meisten Kinder vermissen Geselligkeit und den umittelbaren Kontakt mit Gleichaltrigen in einer sicheren Umgebung. Darüber hinaus fand im Vorjahr eine Explosion an Fällen von Kindermisshandlung statt, so der Verein „Telefonul Copilului“. Um die Auswirkungen der Isolation und der Online-Schule zu bekämpfen, hat das ASTRA Museum im Naturpark Dumbrava Sibiului bei Hermannstadt/Sibiu im Sommer über 260 interaktive Workshops mit mehr als 11.000 Kindern durchgeführt.

Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Kinder weltweit

Mehr als anderthalb Jahre sind vergangen, seit Covid-19 zur Pandemie erklärt wurde. Die neuesten Daten von UNICEF, dem Weltkinderhilfswerk der Organisation der Vereinten Nationen, veröffentlicht am 21. März diesen Jahres, reflektieren eine erschreckend neue Normalität für die Kinder der Welt. 

In den Entwicklungsländern wird ein Anstieg der Kinderarmut um etwa 15 Prozent erwartet. Zusätzlich leben in diesen Ländern bereits jetzt 140 Millionen Kinder in Haushalten unterhalb der Armutsgrenze.

Für mehr als 168 Millionen Lernende weltweit sind seit fast einem Jahr die Schulen geschlossen. Mindestens eins von drei Schulkindern konnte während der Schließung nicht am Fernunterricht teilnehmen, geht aus der Statistik hervor.

Darüber hinaus hat eines von sieben Kindern die meiste Zeit des letzten Jahres im Lockdown gelebt, was zu Gefühlen von Angst, Depression und Isolation führte. Die meisten hatten keinen Zugang zu professioneller psychologischer Betreuung, denn bis November 2020 waren im Kontext des Lockdowns mehr als zwei Drittel der psychischen Gesundheitsdienste für Kinder und Jugendliche unterbrochen.

Der UNICEF-Statistik ist weiter zu entnehmen, dass 2020 zusätzlich sechs bis sieben Millionen Kinder unter fünf Jahren an Auszehrung oder akuter Mangelernährung litten, eine Zunahme um 14 Prozent, vor allem in den Ländern Afrikas südlich der Sahara und in Südasien.

„Die Fortschritte in praktisch allen wichtigen Bereichen der Kindheit sind rückläufig“, erklärte in der Mitteilung die Geschäftsführerin der UNICEF, Henrietta Fore. „Die Zahl der Kinder, die hungern, isoliert sind, missbraucht werden, Angst haben, in Armut leben und zur Heirat gezwungen werden, ist gestiegen. Gleichzeitig hat sich ihr Zugang zu Bildung, Sozialisation und wichtigen Dienstleistungen wie Gesundheit, Ernährung und Schutz verschlechtert. Die Anzeichen dafür, dass Kinder die Narben der Pandemie noch jahrelang tragen werden, sind unübersehbar. Kinder müssen im Mittelpunkt der Wiederaufbaubemühungen stehen“, so Henrietta Fore. Dies bedeute, dass Schulen in den Plänen zur Wiedereröffnung Vorrang haben müssen, sozialer Schutz muss geboten werden, einschliesslich Geldtransfers für Familien, um die am meisten gefährdeten Kinder mit wichtigen Dienstleistungen zu erreichen. „Nur so können wir diese Generation davor bewahren, eine verlorene Generation zu werden“, schlussfolgerte die Geschäftsführerin der UNICEF.

Julian Reichelt, der jüngst wegen Machtmissbrauchs abgesetzte Chefredakteur der deutschen Zeitung „Bild“, bat am 27. Mai dieses Jahres durch einen offenen Brief im Namen der deutschen Gesellschaft alle Kinder um Verzeihung für anderthalb Jahre einer Politik, die sie zu Opfern von Gewalt, Vernachlässigung, Isolation und seelischer Einsamkeit gemacht habe. Den Entschuldigungsbrief schrieb er infolge der am Vortag von den deutschen Behörden veröffentlichten Polizeistatistik über kindliche Gewaltopfer 2020, die landesweit Erschütterung und Aufregung auslöste, weil während der Ausgangssperre um 10,8 Prozent mehr Kindermisshandlungen verzeichnet wurden und Kindermorde um 36 Prozent stiegen. Julian Reichelt beendete seinen Brief mit dem eindringlichen Satz „Wir haben Euch zu schützen, nicht Ihr uns“. 

In Rumänien stehen die Dinge auch nicht besser. Laut Angaben des Vereins „Telefonul Copilului“ stiegen die Anrufe bei der kostenlosen Notrufnummer wegen Missbrauches oder Familiengewalt von knapp 19 Prozent für 2019 bis auf 46 Prozent im Jahr 2020.  

Den erschreckenden Zahlen stehen private Initiativen zur psychologischen Betreuung, aber auch von staatlichen Institutionen, vor allem in der Kulturbranche, wie Museen, gegenüber. Der Einsatz des ASTRA-Museums in Hermannstadt für das Wohlbefinden der Kinder half ihnen über den vergangenen Sommer und darüber hinaus, sich mit den neuen Herausforderungen auseinanderzusetzen und sie in einer gemütlichen dörflichen Umgebung zu bewältigen. Als Freilichtmuseum ist es hierfür besonders geeignet.

„Schule im traditionellen Dorf“

Über 11.000 Kinder und Jugendliche nahmen an den Workshops, Ausstellungen und Theaterstücken des Hermannstädter Museums der traditionellen Volkskultur ASTRA im Rahmen des Programms „Schule im traditionellen Dorf“ teil.

Seit mehr als 8 Jahren finden im ASTRA-Museum während der Sommerferien zahlreiche Workshops für alle Altersgruppen statt, welche Kreativität und Geschicklichkeit  anregen und auf die Probe stellen. Allerdings richten sich jene Werkstätten besonders an Kinder, um ihnen das örtliche Brauchtum zu vermitteln und dem traditionellen Dorf seine Geheimnisse zu entlocken. Neben Töpfern, Krapfen backen, Fräsen, Puppen aus Stoffresten und Lumpen basteln, Holzspielzeug herstellen, Armbänder flechten und Möbel bemalen, können die Kinder unter sorgsamer Anleitung von Museographen und Handwerkern unzählige Spiel- und Experimentierstunden genießen.

Gleichzeitig gab es im Sommer interaktive Theateraufführungen, die bei den Kleinen sehr erfolgreich waren, wie das Stück „Piraten, Handwerk und Schätze“ oder eines mit der Steinzeit-Zeichentrickfilmfamilie Feuerstein, die Ende September im Gemüsegarten des Museums gespielt wurde.

Insgesamt fanden allein in diesem Jahr mehr als 260 museumspädagogische Workshops und interaktive Theateraufführungen statt, sowohl im Bereich des Ethno-Techno-Parks, in einem Kinderbereich mit Funktionsmodellen und Spielplatz, sowie an der Schule des Dorfes Ticera im Kreis Hunedoara. Das Programm begann in der letzten Schulwoche im Juni und dauerte über den Sommer bis zum 26. September. Mehr als 11.000 Kinder beteiligten sich dieses Jahr an den Workshops, oft zusammen mit ihrer Familie, ihren Eltern oder den Großeltern, und besuchten das ASTRA-Museum sogar mehrmals in der Woche.

Museumspädagogik für jedes Alter

Das Angebot der Museumspädagogik, das sich an Kinder jeden Alters richtet, ist nach Angaben der Vertreter des ASTRA-Museums für Ferienlager besonders attraktiv, vor allem im aktuellen Kontext. Das Freilichtmuseum verfügt über eine riesige Fläche von 96 Hektar und zählt zu den größten ethnografischen Museen der Welt. Kinder und Lehrer aus dem ganzen Land kommen auf Tagesausflügen, besuchen das Museum mit über 400 Häusern, Nebengebäuden und technischen Anlagen, nehmen an Workshops teil, begehen eine der Entdeckungsrouten oder machen sich auf Schatzsuche in verschiedenen Bereichen des Komplexes. Dabei geht es darum, zusammen mit einem Museographen einer Route in der ländlichen Abteilung, im Töpfersektor oder im Mühlenbereich zu folgen und dadurch Kenntnisse über Bräuche und Handwerk mittels eigenen Mitwirkens zu gewinnen. Zur Arbeitsunterstützung bekommen die Kinder lustig aufbereitete Fragebögen, die ihnen bei der Identifikation der Ziele und zur Orientierung dienen.

Gleichzeitig ist das ASTRA-Museum einer der beliebtesten Orte der Hermannstädter Schüler und Lehrer, die oft Unterricht im Freien,  Naturabenteuer, sportliche oder gesellschaftliche Aktivitäten wie Treffen, Feiern und Schulfeste organisieren, manche unter Beteiligung der ganzen Familie.

Projekte auch während des Schuljahrs

Obwohl das Projekt „Schule im traditionellen Dorf“ hauptsächlich in den Ferien stattfindet, laufen die Aktionen des ASTRA-Museums für den Rest des Jahres weiter. „Während des Schuljahres bereiten wir jedes Wochenende interaktive Aktivitäten für Familien vor und jeder Museumsbesuch wird zu einem Vorwand für Erziehung und Bildung. Während der Pandemie war unser Museum für solche Aktivitäten der sicherste und begehrteste Ort in der Stadt“ sagte Ciprian Ștefan, Direktor des Museumskomplexes ASTRA. Auch weiterhin werden Kinder, Jugendliche und ihre Familien an jedem Wochenende für gemeinsame Workshops in einer stressfreien ländlichen Umgebung erwartet.