Beben, zittern, flackern, schlottern

Unter dem Damoklesschwert des Sars-CoV-2-Virus rätselt man über eine Aussage von Napoleon, nachdem er die Eindrücke des ersten Botschafters von England in China, Lord George Macartney (1737-1806), gelesen hatte: „Quand la Chine s´éveillera, le monde tremblera.” Der erste Teil der Aussage Napoleons ist klar: „Wenn China aufwachen wird...”.

Napoleon machte die Aussage 1816, im Exil auf der Insel Elba. Macartney hatte 1792 seine Beglaubigungsschreiben Kaiser Qianglong (aus der Quing-Dynastie) überreicht, der damals über ein Völkergemisch von 330.000.000 Menschen absolutistisch herrschte. Während des dreijährigen diplomatischen Aufenthalts in China konnte Lord Macartney die englischen Hoffnungen auf Öffnung Chinas für den Handel nicht erfüllen, hat aber mit der Akribik des Spionenblicks China und sein Volk erkundet und ... Napoleon zu seinem Ausruf veranlasst.

Das Rätseln um Napoleons Sorgen vor 200 Jahren setzt beim zweiten Teil ein. „Trembler”, das Verb, ist mehrdeutig. Erdbeben heißt französisch „tremblement de terre”, also würde die Welt erbeben, wenn China erwacht. „Trembler” heißt auch „zittern”, die Welt würde erzittern, da ist auch „erschüttert werden” nicht weit; auch „flackern” und „schlottern” kann es bedeuten. Letztlich meinte wohl Napoleon, dass nach dem „Erwachen” Chinas die Welt nicht mehr sein kann wie vorher. Näher zu uns hat der Schriftsteller und Politiker Alain Peyerfitte Napoleons Aussage 1973 zum Titel eines erfolgreichen Buches gemacht (fast eine Million verkaufte Exemplare). Dass heute alle vor dem Sphinxlächeln chinesischer Führer zittern, wie vor Vertretern einer unmöglich aufzuhaltenden Machtwalze, die sich auf dem Durchmarsch zur Weltspitze befindet – Ähnliches könnte Bonaparte vorausgesehen zu haben.

Die Globalisierung hat Napoleon nicht vorausgesehen, doch in seiner Zukunftsvision könnte trotzdem die Gefahr mitgeschwungen haben, die ein auf dem Durchmarsch befindliches China für die Welt bedeuten kann, etwa das, was wir heute erleben und wovor wir zittern: die Pandemie mit Sars-CoV-2, die – und das ist keine Verschwörungstheorie! – von China ausgegangen ist. Die Europäer (und auch die Amerikaner, an der Spitze mit ihrem bizarren Präsidenten) müssen nun in den in Wuhan fabrizierten chinesischen Weltspiegel blicken.

Und was sehen sie? Naivlinge! Die 30 Jahre lang geglaubt hatten, die Globalisierung sei der Weg zum Triumph der Demokratie und der Menschenrechte. Und nun, in der coronaerschütterten Welt, feststellen müssen, dass die Globalisierung genau das Gegenteil geweckt hat: das Grinsen der Autokratie, den Triumph autoritärer Methoden (machen wir uns nichts vor, glauben wir auch den „Unseren” nicht: Die Notstandsverfügungen Rumäniens hebeln hemmungs- und skrupellos jede Demokratie aus und öffnen weit die Tore für den Totalitarismus in jedwelcher Erscheinungsform, Orbán- oder Putinscher Prägung, sogar für den kleinen Innenminister Rumäniens, der sich erdreistete, eigenmächtig mit dem Patriarchen zu paktieren – wofür er zwar zurückgepfiffen, nicht aber durch Absetzung bestraft wurde. Ein Schuldgefühl zeigt er überhaupt nicht: Er fand sein Vorpreschen nicht einmal einer Entschuldigung wert...).

Trump, der Wortführer des Weltpolizisten USA, der konsequent vom „chinesischen Virus” spricht, ist ein Anhänger der internationalen (pekuniären) Ahndung Chinas wegen dessen Verantwortung für die aktuelle kollektive Katastrophe. Religiöse Führer (Kardinal Charles Bo), Meinungsmacher (Journalisten) stimmen dem bei und bedauern, dass es keinen „adäquaten” Internationalen Gerichtshof dafür gibt.

Im Grunde aber würde es schon reichen, wenn wenigstens die Europäer zitternd und bebend, aber klaren Kopfes aus der sich anbahnenden Weltkrise der Wirtschaft, der menschlichen Psyche, der Kommunikation und des Selbstverständnisses hervorgehen.