Berühmt bedeutet nicht unverwundbar

Baustellen in Hermannstadt trotz internationalem Spitzenwert

Hölzerne Balken zum Schutz vor Einsturz oder Schlimmerem sind auf der alten Lederergasse/Pielarilor in der Unterstadt abseits der zentralen, kulinarischen und touristischen Betriebsamkeit häufig anzutreffen. Foto: der Verfasser

Hermannstadt hat es wieder einmal geschafft, Europa und sogar die Welt von seinem touristischen Mehrwert zu überzeugen: Seit dem 10. Februar 2021 darf sich die siebenbürgische Vorzeigestadt mit dem rumänischen Namen „Sibiu“ laut Publikumsentscheid des in Belgien gemeldeten Vereins „European Best Destinations“ zu den fünf schönsten Reisezielen auf dem alten Kontinent zählen. Über 45.000 Menschen aus 192 Ländern weltweit stimmten nicht zum ersten Mal für die Beibehaltung Hermannstadts in einem illustren Werbeclub, von dem ab sofort auch Rom, Florenz, das kroatische Cavtat an der Adria und das portugiesische Braga profitieren sollen.

Allen Gästen und Einheimischen der deutschesten aller Städte Siebenbürgens voran hat auch Bürgermeisterin Astrid Fodor guten Grund, zu behaupten, dass „wir auf dem richtigen Weg sind“ (siehe Nachricht „Als beliebtes Reiseziel bestätigt“ in der ADZ von Dienstag, dem 16. Februar): „Es will nicht nur ein weiteres Reiseziel sein, sondern entscheidet sich dafür, in sein einzigartiges Kulturgut, in seine Geschichte zu investieren“, schlussfolgerte Maximilien Lejeune, Direktor des Vereins „European Best Destinations“, im Gratulationsbrief an das Rathaus am Großen Ring/Piața Mare in Hermannstadt.

Europäisch blühende Gesellschaft

Bald wird sich der 11. Mai 1981 zum vierzigsten Mal erfüllt haben. „Am Ende des 13. Jahrhunderts war Hermannstadt eine perfekt zusammenhängende Stadt, derweil sie auch – ich habe es euch irgendwann einmal gezeigt – ein ‘Altenheim’ hatte, das gemäß seiner Inschrift seit 1292 ununterbrochen funktioniert hat. Nicht nachvollziehbar dafür ist, warum eine derart blühende und dem übrigen Europa zugewandte Gemeinschaft acht Jahrhunderte lang keine einzige Form großer Kultur hervorgebracht hat“, wie Philosoph Constantin Noica (1909-1987) seinen beiden Geisteserben Andrei Pleșu und Gabriel Liiceanu an genau diesem Tag während einer Fahrt von der Hohen Rinne/Păltiniș nach Gura Râului, Rășinari und Michelsberg/Cisnădioara einschärfen zu müssen glaubte – nachzulesen im damals wie heute spannenden Schmöker „Jurnalul de la Păltiniș “ (Tagebuch von der Hohen Rinne, 1983) von Gabriel Liiceanu, Gründer des Humanitas-Verlages. Vier Stück Butter kostete dieser Band vormals auf dem Schwarzmarkt im unfreien Rumänien.

Der hoch oben im traditionsreichen Luftkurort des Zibinsgebirges/Munții Cindrel zurückgezogen seinen Lebensabend verbringende Altmeister hatte es faustdick hinter den Ohren: „Sooft ich heute einem deutschen Intellektuellen von hier, der nach Deutschland gehen möchte, begegne, frage ich ihn: ‘In welches Deutschland möchtest du gehen? In das Deutschland der Butter, oder in das Deutschland der Kultur?’ Und wenn er mir antwortet, ‘jenes der Kultur’, sage ich ihm, dass er sie paradoxerweise hier leichter finden kann.“

Nicht mehr und nicht weniger als „das Paradies der Kultur“ war es, was Constantin Noica im tief kommunistischen Rumänien der grauen und bitteren 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts vorschwebte. Er hielt es durchaus für möglich, entgegen aller unmenschlich harten Entbehrungen. Hermannstadt fing einige Jahre später auch tatsächlich an, kulturell nach Kräften von sich reden machen zu wollen.

Auch wenn man an der Lucian-Blaga-Universtität Sibiu (ULSB) nach wie vor nicht Philosophie studieren kann, obwohl die Keime für diesen Gegenstand nicht besser als um die Ecke auf der Hohen Rinne hätten gesetzt werden können. In der Öffentlichkeit des eigenen Lebensraumes hat es das akademische Hermannstadt verpasst, an die Epoche Noica anzuknüpfen. Dafür kann man heute an der ULBS immerhin Theaterwissenschaft studieren und sich für Schauspiel, Choreografie oder Kulturmanagement ausbilden lassen. Professor Constantin Chiriac, Intendant des Radu-Stanca-Theaters (TNRS) und des Internationalen Theaterfestivals Hermannstadt (FITS), macht´s möglich.

Er ist einer der Akteure, die jederzeit auf der Stelle Argumente zur Hand hätten, mit denen sich die Binnenkritik von Vorgängern der Geistesschärfe eines Constantin Noica nunmehr widerlegen ließe. Wenn in Hermannstadt ein Kulturschaffender lebt, dem dieser Ort auf der Landkarte Rumäniens das dauerhafte Mitmischen in der Weltszene verdankt, dann Theaterintendant Constantin Chiriac.  Anschließend im selben Atemzug zu nennen sind auch Dumitru Budrala, Gründer und bis heute unangefochtener Leiter des Astra-Filmfestivals, die Astra-Museumsvereinigung und das bereits 1817 eröffnete Brukenthalmuseum. Nicht zu vergessen der Verein für die Verschönerung Hermannstadts (Asociația pentru Înfrumusețarea Orașului Sibiu, AIOS), 2010 als Nachfolgeclub einer 1879 ins Leben gerufenen Mäzenen-Gesellschaft gegründet, die 1948 aufgelöst worden war.

Hölzerne Verkaufshäuschen der „Stadt der Künstler“ (Orașul Artiștilor) und gegen beliebige Spendenbeträge frei nutzbare Bibliotheksregale voll antiquarischer Ware auf der Nordseite des Ratsturmes/Turnul Sfatului stehen seit 2017 stets von Anfang Juni bis in den Herbst hinein Beweis für die Strategie des AIOS, kulturell verträgliche Angebote für die Entwicklung des urbanen Raumes zu machen.

Presse für Investoren oder Einwohner?

Die Menschen, das Wissen und die Absichten, die Hermannstadts innere Bewegungen ausmachen, sind wirklich nicht von schlechten Eltern. Aber sie sind trotzdem ausbaufähig und nicht selten auch verbesserungswürdig. Denn die mobile Materie der europäischen Kulturhauptstadt des Jahres 2007 bedeutet nicht die einzige Zutat des Gesamtbildes. Zu glauben, dass der lokale Haussegen allein  wegen Ehrungen wie der internationalen Auszeichnung durch den Verein „European Best Destinations“ nirgendwo mehr in der Stadt schief hängen kann, ist ein Irrtum. Hermannstadt muss sich und sein immobiles Erbe bereits gegen vermeidbare Angriffe verteidigen.

An den Nerven von Einheimischen zu sägen begonnen hat diese Gefahr spätestens im Sommer 2020, als Jungunternehmer Iancu-Sebastian Boncuț sein Vorhaben, den Grünstreifen zwischen der Fleischergasse/Mitropoliei und der Brukenthalgasse/Alexandru Xenopol mit einem langgestreckten Gebäudekomplex zuzubauen, publik machte und dafür heftige Kritik erntete. Dass die ADZ am 24. und 31. Oktober 2020 je einen ausführlichen Artikel über diese Dokumentation veröffentlichte, hat aller Wahrscheinlichkeit nach mit dazu geführt, dass die Affäre bald vom Rathaus auf Eis gelegt wurde und seither nicht wieder aufgeflammt ist. Spielt der Investor womöglich auf Zeit und hofft auf ein etwaiges Vergessen der Causa in den Reihen jener Anrainer, deren privater Grundbesitz von seinem Bauvorhaben bedroht wäre? Sollte Boncuț in der Tat eine solch hinterlistige Taktik verfolgen, wird sie ihm schwerlich zum erhofften Erfolg verhelfen. Denn die betroffenen und nicht mit seiner Dokumentation einverstandenen Anrainer haben längst Lunte gerochen. Im Ernstfall werden sie nicht zögern, gerichtliche Schritte gegen das Projekt von Boncuț einzuleiten.

Mitte November 2020 wiederum sahen sich Einwohner der Josef-Vorstadt/Cartierul Iosefin nahe am Erlenpark/Parcul Sub Arini, den die Vorgänger-Gesellschaft des Vereins AIOS 1882 eingeweiht hatte, genötigt, mediale Lobby gegen ein streitbares Neubauprojekt in direkter Nachbarschaft der idyllischen Theodor-Neculuță-Straße anzufordern (siehe Nachricht „Wohnblocks sollen Hermannstädter Altstadt verschandeln – Verstoß gegen Denkmalschutz“ in der ADZ vom 12. November 2020). Ein Projekt, das ebenfalls gegnerische Stimmen auf den Plan gerufen hat und seither genau so in Stillstand verharrt. Alles deutet darauf hin, dass sowohl der am Neubauprojekt in der Josef-Vorstadt interessierte Investor als auch der Auftraggeber der Dokumentation für das Bauvorhaben auf dem einladenden Grünstreifen zwischen der Brukenthalgasse und der Fleischergasse von ihrem Be-obachtet-Werden seitens der betroffenen Einheimischen Bescheid wissen. Dass eine freie und unabhängige Presse sich schützend vor Letztere zu stellen hat, ist Ehrensache.

Beschädigte Geschichte und Kulturgüter

Eine weitere dicke Sorgenfalte im Gesicht Hermannstadts geht vom Wohnhaus des Volkskunstsammlers und Geschichtsforschers Horst Klusch (1927-2014) unweit der 2019 eröffneten Promenada Mall aus, das in Gefahr steht, abgerissen zu werden. Noch 2013 war der Gründer des Hermannstädter Töpfermarktes/Târgul Olarilor din Sibiu durch Ex-Bürgermeister Klaus Johannis zum Ehrenbürger von Hermannstadt ernannt worden. Das Rathaus steht folglich in der moralischen Pflicht, den Abriss des Wohnhauses von Horst Klusch zu verhindern (siehe Nachricht in der ADZ vom 2. März).

Traurig prominent auch der mutwillig erzeugte Großschaden an einer Villa der Gründerzeit auf der Luarea-Bastiliei-Straße direkt am Erlenpark, über den die ADZ am 6. März informierte. Hier hat der eigenmächtig vorgehende Immobilienbesitzer am vorletzten Februar-Wochenende 2021 schlicht und einfach das Gegenteil von dem unternommen, was Direktor Maximilian Lejeune und der Verein „European Best Destinations“ noch zehn Tage zuvor an Hermannstadt gelobt hatten: Nicht die geringsten Anzeichen einer „Entscheidung für Investition in ein einzigartiges Kulturgut und Geschichte“!

Des einen Freud, des anderen Leid

2005 haben Ex-Bürgermeister Klaus Johannis und Kulturminister Adrian Iorgulescu der UNESCO eine Dokumentation zwecks Aufnahme der Altstadt von Hermannstadt in das Weltkulturerbe vorgelegt. Leider ist bis heute nichts daraus geworden, was manche Einheimische bereits als Nachteil empfinden, Investoren aber noch als Vorteil zu nutzen versuchen, der früher oder später verschwinden könnte. Denn Hermannstadts Kurs Richtung Aufnahme der Altstadt in das UNESCO-Weltkulturerbe hat durch den Aufschluss des Bündnisses der Union Rettet Rumänien (USR) und der Partei für Freiheit, Einheit und Solidarität (PLUS) in den Stadtrat wieder leichten Fahrtwind aufgenommen. Und am Nationalen Kulturtag, dem 15. Januar 2021, hat Architekt Eugen Vaida vom regionalen Verein „Monumentum“ aus dem Harbachtal/Valea Hârtibaciului Staatspräsident Klaus Johannis schriftlich um Lobby für diesen edlen Schritt Hermannstadts gebeten. Selbstverständlich zeigt sich der Weg in das UNESCO-Weltkulturerbe auch 2021 nicht kürzer als 2005.

Doch die Gefahr, mit ansehen zu müssen, wie Hermannstadt zu einem Sammelbecken für Immobilienhaie verkommt, wäre durch Aufnahme in das UNESCO-Weltkulturerbe zumindest in der Altstadt gebannt. „Das Paradies der Kultur“, wofür Constantin Noica so gern schwärmte, ist ein sensibles Konstrukt. Es aber für wertlos und nicht mehr zeitgemäß zu erklären, weil es sich nicht zum Verkauf eignet, ist unfair. Hermannstadt hat bestimmt mehr als nur das Werben um seine Auszeichnung als „European Best Destination“ drauf.