Bildungswesen und Kulturhauptstadt Europas 2021 im Mittelpunkt

Staatspräsident Klaus Johannis zu Besuch in Temeswar

Dem Kopfnicken und dem zustimmenden Lächeln der Akademiker war zu entnehmen: Er hat den Nagel auf den Kopf getroffen, als Staatspräsident Klaus Johannis bei der Debatte „Das gebildete Temeswar“ das rumänische Bildungswesen unter die Lupe genommen hat – etwa wenn es um die Plagiate ging oder um die niedrigen Gehälter der Professoren, um den Lehrerberuf, der in der Gesellschaft nicht mehr die Achtung genießt, die er früher einmal hatte. Um die Träume der jungen Menschen, um die Erwartungen der Eltern. Um die Unterfinanzierung, die schon Bürgermeister Nicolae Robu angesprochen hatte: „Als Rektor habe ich mir auch immer wieder sagen lassen, dass kein Geld da ist. Als ich dann in die Politik kam, erkannte ich, dass Geld eigentlich da ist, nur dass die Leute, die es verwalten, es nicht in diese Richtung schicken“.

Am Montag haben sich in der Aula Magna der West-Universität Temeswar Studenten, Professoren, die Rektoren und die Senatsmitglieder der vier staatlichen Universitäten der Stadt an der Bega eingefunden, um an der Debatte „Das gebildete Temeswar“ teilzunehmen. Präsident Klaus Johannis war nach Temeswar gereist, um die Stadt, die vor Kurzem den Titel einer Kulturhauptstadt Europas 2021 gewonnen hatte, zu besuchen und anlässlich der Eröffnung des neuen akademischen Jahres 2016/2017 mit den Repräsentanten der vier Universitäten und den Studenten zu sprechen.
 

Bildungswesen unter der Lupe

Nicht nur die Analyse, dem er das Bildungswesen unterworfen hatte, war korrekt, auch die Lösungen, über die er sprach, oder die Ziele, die man sich setzen sollte, fanden die Zustimmung des Publikums: „Wenn es um Plagiatsvermutungen geht, muss man eine klare, eindeutige Antwort haben, und das in einem vernünftigen Zeitrahmen“, sagte der Präsident. Politiker oder Professoren, denen Plagiate nachgewiesen werden, sollten nicht mehr in der Politik beziehungsweise an den Universitäten bleiben.

Für den Präsidenten, der auch das Projekt „gebildetes Rumänien“ initiiert hat, ist die Bildung eben eine nationale Priorität, er ist sich dessen bewusst, dass politisch viel mehr gemacht werden müsse: „Fragt man einen Politiker, ob die Bildung nationale Priorität ist, wird er auf jeden Fall antworten, dass das stimmt, aber oft kommt nichts mehr danach. Wir müssen sie zu einer reellen Priorität machen“.
Von den Studenten und den jungen Menschen wünscht sich der Präsident, dass sie sich mehr einbinden, aktiver werden in nichtstaatlichen Organisationen sowie auch in der Politik, denn „wie sonst sollen die Dinosaurier mit den rückschrittlichen Reden ersetzt werden?!“

Und die vielleicht wichtigste Antwort auf die Frage eines Studenten: Das Bildungssystem, vor allem im Schulbereich, ist nicht an den Arbeitsmarkt angebunden: „Es ist eine nationale Katastrophe. Die Investoren suchen gut qualifizierte Arbeitskräfte, das Schulsystem besteht aber aus theoretischen Lyzeen, wir bilden keine Handwerker aus“.
Auch das Hochschulsystem ist wenig an den Arbeitsmarkt angebunden: „Wir bilden viele Politologen und Ökonomen aus, aber man braucht Ingenieure. Und dann kommt die Antwort: Es gibt kaum noch junge Menschen, die Mathematik oder Physik studieren“.

Was der Präsident nicht für gut hält: „Die Bedingung, um heute ein Diplom zu haben, ist, dass man sich einschreibt an der Universität, es sind nicht die Kenntnisse“. Man setzt auf die Anzahl der Absolventen, nicht auf Qualität. Und auf den demografischen Rückgang müsse man sich einstellen. „Würden jetzt die besten sozialen Maßnahmen getroffen, könnte man erst in ein paar Jahrzehnten die Änderungen bemerken“.
Die Debatte hinterließ bei Studenten wie Professoren den Eindruck: Er versteht uns, unsere Probleme. Und die Hoffnung, dass sich die Sachen zum Guten wenden werden.
 

Aus der Erfahrung Hermannstadts lernen

Im Anschluss begab sich der Staatspräsidenten in das Kunstmuseum Temeswar. Nur eine kurze Strecke ließ sich der Präsident fahren. Von der Kathedrale ging er zu Fuß bis ins Kunstmuseum und passierte somit die Fußgängerzone in der Stadtmitte: Opernplatz, Freiheitsplatz und Domplatz: „Es hat sich vieles getan!“
Eine Gruppe von Journalisten vor ihm, rechts von ihm Bürgermeister Nicolae Robu, der erklärte, was in der Stadt durchgeführt wurde und was noch zu tun sei, links von ihm West-Uni-Rektor Marilen Pirtea. Und dann auf der Vasile-Alecsandri-Straße kam ihm eine Gruppe Schüler entgegen – wahrscheinlich der schönste Moment des Besuchs, denn an den kugelrunden Augen las man ab, dass sie ihn sofort erkannten. Ein kurzes Gespräch und einige Fotos ergaben sich von selbst.

Im Kunstmuseum Temeswar traf der Staatschef das zwölfköpfige Team des Vereins „Temeswar – Kulturhauptstadt Europas 2021“ sowie Vertreter von Kulturinstitutionen. Simona Neumann, die Geschäftsführerin, und andere Mitglieder des Vereins ließen die letzten fünf Jahre Revue passieren und stellten das Projekt vor, mit dem sie den Titel für die Stadt gewonnen haben. Dann wollten sie und alle Anwesenden so viel wie möglich aus der Erfahrung des Präsidenten im Jahr 2007 wissen, als Hermannstadt als erste Stadt Rumäniens den Titel getragen und er das Amt des Bürgermeisters bekleidet hatte, „die einzige Person aus Rumänien, die als Bürgermeister Erfahrung mit einem solchen Programm gesammelt hat“, wie die Redner hervorgehoben haben.

Präsident Johannis erklärte: „Wer der Meinung ist, dass es sich beim Kulturhauptstadtjahr um ein längeres Festival handelt, liegt falsch. Es ist ein Megaprogramm. Man muss sich nur vorstellen, dass eine Olympiade zwei Wochen dauert, dieses Programm aber 52 Wochen“.
Einige der Ratschläge, die Klaus Johannis den Temeswarern mit auf den Weg gegeben hat: Mit anderen Städten, die im selben Jahr den Titel tragen werden, zusammenzuarbeiten. Und auch: „Ich würde eine Diva einladen oder einen sehr bekannten Künstler. Es kann ein Schauspieler, ein Sänger sein – egal ob Oper, Jazz oder Rock, oder einen ganz berühmten Bildhauer, der dann ein Kunstwerk auf dem Opernplatz hinterlässt“. Das bringt Schlagzeilen, das bindet noch mehr an Europa. Denn man müsse lokal, regional, national und europäisch denken. Und in dem Programm sollten sich kleine Künstlergruppen wie auch große Kulturinstitutionen wiederfinden. So viele Menschen wie möglich sich eingebunden fühlen.

Gut habe das Team daran getan, dass es sich damit beschäftigt hat, welche Wirkungen das Programm auch nach dem Abklingen des Kulturhauptstadtjahres haben wird: So wollen die Veranstalter 20 Partnerschaften mit verschiedenen Ortschaften (Städte und Gemeinden) schließen und 20 Industriestätten, die brach liegen, als Räume für Kulturschaffende umdenken, das Kunstmuseum und das Banater Museum sollten renoviert werden, weitere Zahlen wurden genannt und dann auf das immaterielle Ziel hingewiesen: die steigende Zufriedenheit der Bewohner. Das Kulturhauptstadtjahr soll nachhaltig wirken.
Und was war der Erfolg in Hermannstadt? Der ehemalige Bürgermeister erinnerte sich: „Die gute Zusammenarbeit des Teams, das Zusammenhalten und eine hervorragende Kooperation mit Luxemburg“. Das sind nur einige der Details, die der Präsident erwähnte.

Zum Schluss hat er den Temeswarern Mut gemacht: „Temeswar erlebt jetzt das Schönste, was einer Stadt widerfahren kann, und das wird die Stadt von Grund auf verändern. Sie haben die Mission, die Stadt in eine Bühne zu verwandeln, und das so gut zu machen, dass dies, was Sie anbieten, für die lokale, die nationale Gemeinschaft, aber ebenso für die Europäer von Interesse ist, die den Kulturtourismus praktizieren“.