„Blasendorf in einer Minute“

Eine Einladung zur persönlichen Vorbereitung auf den Papstbesuch

Lyzeumsschüler beteiligen sich auch am Projekt von Anca Berlogea Boariu (Mitte), drehen manchmal eigene Einminüter. Foto: privat

Anhand von Theaterworkshops über die beiden Weltkriege lernen die Schüler des Lyzeums hautnah über Geschichte. Foto: Anca Berlogea Boariu

Die katholische Kathedrale der Heiligen Dreifaltigkeit im Zentrum der Stadt. Foto: Adina Costea

Papst Johannes Paul II. küsst Alexandru Kardinal Todea (1912-2002), Erzbischof von Fogarasch und Karlsburg für die Rumänische Griechisch-Katholische Kirche, auf die Stirn. Foto: Archiv der Römisch-Katholischen Erzdiözese Bukarest (ARCB)

Anca Berlogea Boariu, Doktor der Theaterwissenschaften und der Theologie, freischaffende Theater- und Filmregisseurin und Produzentin, wohnt seit drei Jahren in Blasendorf/Blaj. Tag für Tag entdeckt sie Neues in der „fabelhaften Stadt”, wie sie diese selbst nennt. Blasendorf war einst ein bedeutendes kulturelles Zentrum in Siebenbürgen. Heute ist die Kleinstadt immerhin noch Hauptsitz der mit Rom vereinten Rumänischen Griechisch-Katholischen Kirche. Anfang Januar begann Berlogea Boariu ein Projekt namens „Blasendorf in einer Minute“, das bis zum Papstbesuch am 2. Juni 2019 laufen soll. Es rückt das sympathische Städtchen anhand von täglichen einminütigen Kurzfilmen ins Blickfeld der Bürger und Besucher. 


Im Zusammenhang mit dem Rumänien-Besuch von Papst Franziskus, der vom 31. Mai bis zum 2. Juni stattfinden soll, wurde auch der Name Blasendorf in letzter Zeit immer wieder erwähnt. Die Kleinstadt ist neben Bukarest, Jassy/Iași und Schomlenberg/Șumuleu Ciuc eines der vier Ziele, die das Oberhaupt der Römisch-Katholischen Kirche besuchen wird. Um den Bürgern dieses Ereignis näher zu bringen, hat sich die gebürtige Bukaresterin vorgenommen, durch ihr Herzensprojekt „Blasendorf in einer Minute“ eine freundliche und, wie sie meint, notwendige „Radiographie“ ihrer Adoptivstadt zu erstellen.

Blasendorf kurz und knapp

Seit Anfang dieses Jahres postet sie täglich auf der Facebook-Seite, die den Titel des Projekts trägt („Blaj într-un minut“, www.facebook.com/blajminute), einen einminütigen Film über das „Kleine Rom“, wie Blasendorf auch genannt wird, oder dessen Umgebung. Die Themenwahl ist breit gefächert. Jeder Wochentag ist einem anderen Aspekt gewidmet: Montags folgt sie den Spuren ihrer Mutter, die aus Blasendorf stammt. Dienstag werden Schulen besucht. Mittwoch ist der Tag der Stadt, Donnerstag der Tag der Geschichte. Die Freitage sind Treffen mit Menschen gewidmet. Am Samstag wird die nahe Umgebung vorgestellt und am Sonntag kann man die Erzbischöfe Blasendorfs von einst und heute kennenlernen.

In den meisten Kurzfilmen stellt die Regisseurin selbst in lockerem Erzählstil das Thema vor, stellt Fragen, lacht herzlich. In manchen Clips sind Schüler des Lyzeums zu sehen, ehemalige Teilnehmer an den Theaterwerkstätten der Regisseurin, die über ihren Alltag und was sie bewegt berichten. Gelegentlich gestalten die Schüler auch selbst Einminüter. In lebendigen Filmen mit einfachem Schnitt und ohne große technische Ansprüche fassen sie kurz und knapp - „so, wie es die Gesellschaft in dieser eiligen Welt braucht“ - einzelne Aspekte zusammen, die sich am Ende zu einem Gesamtbild ergänzen sollen. Was zunächst wie ein Selfie-Spaß wirken könnte, stellt sich als komplexes Projekt heraus, das Bereiche wie Geschichte, Geographie, Sozialleben, Gesellschaft, Religion oder Kultur unter die Lupe nimmt.

Alltag und Außergewöhnliches

Der erzieherische Aspekt ist der Regisseurin wichtig - doch wünscht sie sich auch, dass die Bürger in Blasendorf einander und „die Energie, die hier herrscht“ durch diese Clips wahrnehmen und sich daran erfreuen. Die eigenen Nachbarn, Freunde oder Bekannte um vier Uhr morgens beim Backen von Hanklich zu beobachten, oder beim Malen von Ikonen, die Jugendlichen bei der Zumba-Stunde, auf dem Basketballfeld oder beim Lesen in lateinischer Sprache zu erleben, kann gewiss interessant sein und wirkt verbindend. Spannend sind auch die Besuche in den umliegenden sächsischen Dörfern, deren Geschichte und die Menschen, die dort immer noch leben.

„Der von Deutschland aus meistbetrachtete Film war jener über Seibert/Jidvei“, in dem auch über die einst von Siebenbürger Sachsen bewohnten Dörfer wie Schönen/Șona, Marktschelken/Șeica Mică, Donnersmarkt/Mănărade oder Wurmloch/Valea Viilor erzählt wird, stellt Berlogea Boariu auf Facebook fest. Auch die Präsentation der Deutschlehrerin Cristina Mathe aus Seibert, die in Blasendorf unterrichtet, und die wie ihre Schwester den Beruf der Mutter übernommen hat, wurde oft angeklickt. Beeindruckend ist sicherlich auch der Einminutenfilm über den einzigen Kardinal der katholischen Kirche aus Rumänien, Lucian Mureșan, Großerzbischof der mit Rom vereinten Rumänischen Griechisch-Katholischen Kirche, der 2012 von Papst Benedikt XVI. ernannt wurde. „Der Film, in dem ich Blasendorf von einem Ende zum anderen zu Fuß durchquere, wurde am meisten angeschaut“ wundert sich die Projektleiterin lachend. Über 60.000 Mal wurden ihre Kurzfilme bislang angesehen, wobei die meisten Zuschauer aus dem Inland stammen, aber auch unter anderem aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Großbritannien, der Ukraine oder sogar aus Japan.

„Hier gefällt es mir besonders gut”

Ihrer Offenheit und dem freundlichen Stil, sowie ihrem Entdeckungsgeist, verdankt Anca Berlogea Boariu die vielen Bekanntschaften, die sie in kurzer Zeit in Blasendorf gemacht hat. Jeder in der Stadt scheint die hochgewachsene Frau mit den kurzen grauen Haaren und dem breiten Lächeln zu kennen.
„Diese Stadt ist fabelhaft” sagt sie mit ansteckender Begeisterung, betont jede Silbe, als wolle sie singen. Dass die Bewohner der Stadt sich dieser Besonderheiten nicht gleichermaßen bewusst sind, dass sie gar nicht erkennen, wie „besonders sie sind”, so Berlogea, scheint sie traurig zu stimmen.
Dabei ist Blasendorf aus so vielen Gründen erwähnenswert: Im 18. und 19. Jahrhundert spielte die Stadt als kulturelles Zentrum Siebenbürgens eine wichtige Rolle und trug zur Bildung der modernen rumänischen Sprache und des rumänischen Nationalbewusstseins bei. Die Bibel von Blasendorf (1795) stellt die zweite ins Rumänische übersetzte gedruckte Version der Heiligen Schrift dar. Auch Timotei Ciparius‘ erste (moderne) rumänische Grammatik ist in Blasendorf erschienen. Nicht zuletzt hat dort die mit Rom vereinte Rumänische Griechisch-Katholische Kirche ihren Hauptsitz. Auf dem Freiheitsfeld/Câmpia Libertății bei Blasendorf fanden im Revolutionsjahr 1848 zwei bedeutende nationale Versammlungen der Siebenbürger Rumänen statt, an einer davon nahm auch Stephan Ludwig Roth teil.

Zudem „haben die Leute in Blasendorf ihre eigenen Gärten, essen selbst gezogene Tomaten; Eier, Fleisch und Milch holen sie vom Land aus den benachbarten Dörfern” hat Berlogea Boariu erfahren und selbst ausprobiert. Hier kann man ein ruhiges, gesundes Leben führen und trotzdem mit den neusten Theaterstücken oder Filmen auf demLaufenden sein, was für die Regisseurin wichtig ist. In rund anderthalb Stunden erreicht man Klausenburg/Cluj-Napoca, Hermannstadt/ Sibiu oder Târgu Mureș/Neumarkt; um nach Mediasch/Mediaș oder Karlsburg/Alba Iulia zu kommen, braucht man weniger als 60 Minuten.

Die Einladung angenommen zu haben, die Anca Berlogea Boariu in einem Cafe bekommen hatte, hier Deutsch zu unterrichten, bereut sie bisher nicht. Am Lyzeum „Sfântu Vasile“ hat sie ein Jahr lang Goethes Sprache gelehrt, aber auch den Jugendlichen anhand von Theaterworkshops Geschichte beigebracht.

Die Mutter und die Päpste

Nun aber dreht sich für Berlogea Boariu, die auch als Medienberaterin des Großerzbistums von Karlsburg und Fogarasch fungiert, erst einmal alles um den Papstbesuch. Drei Jahre hatte sie darauf gewartet, seit erstmals über die Möglichkeit gesprochen wurde.
Bereits 1999 hatte sie vom Besuch von Papst Johannes Paul II., den sie als kleines Mädchen im Vatikan erlebt hatte, Liveübertragungen für ProTV gemacht. Dieses Ereignis hat ihren Lebensweg geprägt, „weil ich damals Näheres über die Verfolgung der griechisch-katholischen Kirche in Rumänien durch die Kommunisten erfahren habe“, erklärt Anca Berlogea Boariu.

Bis vor 1989 hatte sie nicht viel darüber gewusst. Ihre Mutter, die die griechisch-katholische Schule in Blasendorf besuchte, hat nie über die damaligen Geschehnisse oder ihre Erlebnisse gesprochen, hat Blasendorf nie erwähnt. Nie hat sie die Schließung ihrer Schule oder das Verbot der mit Rom vereinten rumänischen Kirche thematisiert, nie über die Verfolgung ihrer ehemaligen Lehrer, der Erzbischöfe, berichtet. Ileana Berlogea zog nach Bukarest, studierte Theaterwissenschaften, wurde Parteimitglied, um ihrer Karriere ungehindert nachgehen zu können, heiratete den damaligen Vize-Minister für Soziale Vorschriften. Die innere Verbindung zu ihrer Heimatstadt hat sie jedoch tief im Herzen immer wach gehalten. Ihre Tochter hat sie übernommen.
Die Montage widmet Anca Berlogea Boariu in den einminütigen Filmen auf Facebook daher ihrer Mutter. Wie auf einer Entdeckungsreise folgt sie ihren Spuren, um sie und die Geschichte zu verstehen. Die Aufarbeitung von Geschichte kann uns weiterbringen, weiß sie.

Das Projekt „Blasendorf in einer Minute“ will seine Initiatorin weiterentwickeln und die Provinzstadt auch für Touristen attraktiv machen, durch eine App für Smartphones, die für jede Sehenswürdigkeit ein einminütiges Video bereitstellt. „Heutzutage will niemand mehr lange Vorträge hören über dies und jenes, da muss alles freundlich, knapp und kurz serviert werden“ erläutert die Kommunikationsexpertin. Bis dahin lädt sie Interessierte dazu ein, auf der Facebookseite des Projekts Neues und Altes aus Blasendorf zu erfahren.