Chaos an Flughäfen, stornierte Flüge, verpasste Ferien

Wie konnte es dazu kommen und was sollten Flugreisende dieses Jahr erwarten

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Bilder, wie man sie diesen Sommer häufig sieht: Chaos auf den Flughäfen, stornierte Flüge
Fotos: der Verfasser

Glück gehabt: Flug nicht storniert, aber voll gebucht
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In den letzten Wochen berichten die Medien immer öfter über Verspätungen oder Stornierungen an Flughäfen, über Gedränge und blanke Nerven, Chaos mit vermissten Gepäckstücken und verpassten Flugverbindungen. Was steckt dahinter und wie kann man sich als Fluggast helfen?

Nachfrage übersteigt Angebot


Es scheint, als ob die Flugindustrie sich später als die Tourismusbranche von den Folgen der Pandemie erholt. Sowohl Fluggesellschaften als auch Flughäfen und Dienstleister in der Branche scheinen stark unterbesetzt und damit der plötzlich erhöhten Nachfrage nicht gewachsen zu sein. Bereits im Monat Mai waren deswegen rund zehn Prozent der Flüge weltweit verspätet, und dieser Prozentsatz hat sich im Juni verdreifacht, zitiert Mediafax eine Analyse von vola.ro. „Die Nachfrage kehrt zurück… viel schneller aber im Vergleich zu der Fähigkeit der Branche, dieser nachzukommen“, erklärte auf einer Pressekonferenz John Holland-Kaye, CEO des Londoner Flughafens Heathrow. Allein am Großflughafen Berlin ist die Anzahl der Passagiere im ersten Quartal des Jahres um 214,6 Prozent gestiegen im Vergleich zum Vorjahr, auch wenn dieser Wert erst ein Drittel der Fluggäste aus dem Jahr 2019 darstellt, wie aus den Daten der deutschen amtlichen Luftfahrtstatistik hervorgeht.

Flugpreise explodiert

Gleichzeitig sind auch die Flugpreise geradezu explodiert, was die Fluggesellschaften mit der Erhöhung der Treibstoffpreise erklären. Böse Stimmen meinen, dass damit die während der Pandemie aufgenommenen Schulden schneller abgeschrieben werden sollen. Andererseits schieben zahlreiche Fluggesellschaften die Schuld der erhöhten Flugtickets auch auf die Umweltauflagen, laut Flugbranchenexperte Gerald  Wissel, zitiert von capital.de.

Falls die Flugzeuge doch fliegen, sind sie häufiger als vor der Pandemie voll besetzt. Während des Fluges gibt es immer seltener kostenlose Verpflegung, sogar bei den großen Fluglinien wie Austrian Airlines oder Lufthansa. Gleichzeitig setzen die Fluggesellschaften immer mehr auf eine kontaktlose Online-Beziehung, bei welcher der gesamte Check-In-Prozess, die Gepäckabgabe sowie sonstige Formalien am Flughafen automatisch abgewickelt werden – was zu zusätzlichen Kostenersparnissen und weniger Personaleinsatz führt. Billigflieger haben dieses System bereits vor Jahren begonnen einzuführen, die traditionellen Fluggesellschaften ziehen erst jetzt nach.

Wegen Corona kaum Neueinstellungen

Um das Ausmaß des Problems zu verstehen, sind die internationalen Statistiken im Flugverkehr hilfreich: Laut Bloomberg haben allein in den USA über 400.000 Angestellte der Flugbranche ihren Job verloren. Auch die Lufthansa hat ihr Personal weltweit um knapp ein Drittel gekürzt, laut capital.de. Und das auch mit gutem Grund: Die deutschen Fluggesellschaften haben im Jahr 2021 rund 68 Prozent (zwei Drittel) weniger Passagiere transportiert als im Jahr 2019, d. h. weniger Flüge und demzufolge auch weniger Personalbedarf. Und die regelmäßigen Corona-Wellen, welche die steigende Anzahl der Flugreisenden immer wieder reduzieren, veranlasst die Fluggesellschaften ebenfalls, mit Neueinstellungen noch zu warten.

„Das Ergebnis (der Kündigungen) sehen wir heute… den Verlust von über zwei Millionen erfahrener Mitarbeiter bei Fluggesellschaften, Flughäfen, Dienstleister der Flugbranche und der globalen Lieferkette, genau wenn die Branche sie am meisten braucht“, erklärte Stephen Cotton, Generalsekretär der Internationalen Föderation der Mitarbeiter in der Verkehrsbranche.

Dementsprechend sollten auch die Daten der internationalen Statistiken mit Vorbehalt betrachtet werden: Die Anzahl verspäteter Flüge im Jahr 2022 beträgt nur 89 Prozent der im demselben Zeitraum im Jahr 2019 verspäteten Flüge – das aber, wie vorher veranschaulicht, bei einer stark reduzierten Anzahl an Flügen und an Personal.

Aufgrund dieses Personalmangels und der rasant steigenden Anfrage verbucht Lufthansa europaweit die höchste Anzahl an verspäteten oder stornierten Flügen. Den Billigfliegern wie Wizz-Air, RyanAir oder BlueAir geht es ähnlich. Aber die Auswirkungen des erhöhten Drucks durch die entstandene Mehrarbeit auf die bestehenden Mitarbeiter der Flughäfen, auf Dienstleister im Flugverkehr, Gepäckträger, Piloten und Flugbegleiter zeigte sich bereits an zahlreichen Flughäfen: Entweder wird gestreikt (siehe etwa in Paris, London oder Frankfurt), oder die Flughäfen verlangen von den Fluggesellschaften eine Reduzierung des Arbeitsvolumens (EasyJet). Zahlreiche unerwartete Kündigungen erfolgen, wohl aufgrund von Stress (Beispiel: ein Pilot von Wizz-Air vor dem Abflug vom Flughafen Otopeni).

Auch häufige Corona-Infektionen der  Mitarbeiter sind ein Problem.  Lufthansa musste etwa zahlreiche Überseeflüge im Winter auf Grund steigender Corona-Fälle unter den Piloten streichen. Insgesamt seien über Weihnachten über 5600 Flüge aus demselben Grund ausgefallen, laut Daten vonFlightAware.com.

Für die Mitarbeiter führt all dies zu schwerer Belastung: „Seitdem das Chaos begonnen hat, existiert mein Privatleben einfach nicht mehr; ich kann überhaupt nichts mehr planen“, erklärte erst neulich ein Flugbegleiter der Lufthansa gegenüber insider.com. „Oft steige ich in den Flieger ein und weiß nicht, wo mein letzter Flug landen wird, wohin ich fliege oder wie lange ich von daheim weg bleibe“, fügte er hinzu. An Bord, vor genervten Fluggästen und mit knappen, falsch oder überhaupt nicht mehr gelieferten Produkten könne er seine Rolle als Gastgeber  nicht mehr wahrnehmen, was ihn wütend, aber auch traurig macht. Es sei „kaum erträglich zu sehen, wie ein renommiertes Unternehmen auf ganzer Linie an den Fehlentscheidungen der Chefetage scheitert“.

Kontraproduktiv: Overbooking

Ein anderer Grund für die Verspätung oder Stornierung der Flüge liegt im Überverkauf der Fluggesellschaften. Grant Shapps, Verkehrsminister des Vereinigten Königreichs, warf bereits vorigen Monat den Fluggesellschaften vor, viel mehr Tickets verkauft zu haben als es ihre tatsächliche Kapazität erlauben würde.

Laut einer Studie des rumänischen Portals FlightClaim.ro schätzen 55 Prozent der Befragten, dass ihr künftiger Flug dieses Jahr nicht rechtzeitig abfliegen wird und 65 Prozent der an der Studie teilnehmenden Flugreisenden hatten dieses Jahr bereits eine Flugverspätung oder -stornierung. Trotzdem begnügen sich über zwei Drittel der Teilnehmenden mit der von der Fluggesellschaft angebotenen Lösung, sprich Rückerstattung des Geldes oder einen neuen Flugtermin, und nur 21,4 Prozent der Teilnehmenden haben versucht, einen Schadenersatz für die womöglich verpassten Ferien oder die stundenlange Wartezeit zu beantragen. Nur 3,6 Prozent haben den Verbraucherschutz involviert.

Auch wenn die Preise der Billigflieger pro Person vielleicht nicht hoch scheinen, rechnen sich die Beträge bei der hohen Anzahl Fluggäste sehr schnell. BlueAir hat beispielsweise seit dem 30. April 2021, als die meisten Covid-19-Restriktionen für Fluggesellschaften aufgehoben wurden, knapp 11.200 Flüge storniert und keinen Cent Schadenersatz bezahlt, laut Daten des rumänischen Verbraucherschutzes, zitiert vom Nachrichtenportal DcNews.ro. Ebenfalls sei der Wert der knapp 180.000 Flugtickets von insgesamt rund 66,5 Millionen Lei noch nicht returniert worden. Das Flugunternehmen könne nur auf offizielle Informationsanfragen oder Anschuldigungen diesbezüglich antworten und würde bis dahin keinerlei Stellungnahme anbieten können, so der Rechtsanwalt der Fluggesellschaft, Bogdan Năstase.

Was tun?

Fluggästen wäre empfohlen, sich unbedingt über ihre Rechte zu informieren und bei Flugverspätungen, insbesondere aber bei der Stornierung ihrer Flüge, sich von den Fluggesellschaften nicht abwimmeln lassen, sondern die Rückerstattung ihres Geldes und auch entsprechenden Schadenersatz  zu fordern – entweder direkt oder über eines der zahlreichen Unternehmen, welche diesbezüglich ihre Dienstleistungen anbieten (wenn auch für eine rund 20-prozentige Provision des Ticketpreises). Vielleicht würden viele derartige Schadenersatzansprüche die Fluggesellschaften zum Überdenken ihrer derzeitigen Arbeitsweise und vielleicht zu einer rascheren Verbesserung der angebotenen Dienstleistungen verleiten.

Unter den momentanen Umständen kann Flugreisenden nur sehr sehr viel Geduld empfohlen werden, sowie ein gut ausgestattetes Handgepäck, mit extra Kleidung, Zahnbürste und den nötigen Medikamenten. Es schadet wohl auch nicht, ausgeschlafen und mit vollem Magen den Flughafen zu betreten und auf das Beste zu hoffen.