Chopin auf Mallorca

Von einer Katastrophe zur Tourismus-Attraktion

Mittelalterliche Gassen schlängeln sich labyrinthisch durch die Berge Mallorcas.

Jedes Jahr besuchen Millionen Touristen das kleine Dorf. Eine Alternative zu den Party-Stränden Mallorcas. | Fotos: der Verfasser

In dem ehemaligen Kartäuserkloster verbrachten Chopin und George Sand fast zwei Monate im Winter 1838.

Es hat seine Zeit gebraucht, ehe sich die Mallorquiner mit dem Musikgenie Frédéric Chopin anfreundeten. Anders als es heute scheinen mag, behielten Chopin und seine damalige Geliebte das Bergdorf Valldemossa in schlechter Erinnerung. Wochenlang Regen machten dem lungenkranken Chopin zu schaffen und die Einwohner, alles strenge Katholiken, waren über das unkonventionelle Liebespaar empört. Der Komponist lebte unehelich mit der geschiedenen Amantine Aurore Lucile Dupin de Francueil zusammen. Die unter dem Pseudonym „George Sand” bekannte Schriftstellerin suchte 1838 die Flucht vor dem Winter, den Skandalen und den Krankheiten, die sowohl ihren Sohn als auch ihren Geliebten plagten. Darum suchte sie sich einen Ort im Süden aus, der abgeschieden lag. 

Mallorca 1838 war Hinterland: Keine Hotels, nicht einmal in Palma, die Einwohner lebten vorwiegend von der Landwirtschaft und das wichtigste Exportgut waren Schweine. Der ideale Ort für jemanden, der von Skandalen verfolgt wurde. George Sand hatte sich zwei Jahre zuvor von ihrem Mann scheiden lassen. Sie erhielt das Sorgerecht für ihre beiden Kinder. Chopin trat 1838 in ihr Leben, die Beziehung war frisch. Und die Reise auf Mallorca wurde zum Prüfstein. 

Schlecht für die Gesundheit

Es regnete wochenlang auf der Insel. Das Schlechtwetter machte dem an Tuberkulose leidenden Chopin ernsthaft zu schaffen. Sein ständiges Gehuste schürte das Misstrauen der Einheimischen ihm und seiner Geliebten gegenüber nur weiter. Chopin und George Sand hatten nicht nur die Sünde auf die Insel gebracht, sondern womöglich auch die Pest. Ihr Vermieter warf sie raus und die letzte Zuflucht war das verlassene Kartäuserkloster, wo sie den Winter mehr schlecht als recht überstanden. 

Chopin auf Mallorca war somit eine Katastrophe. George Sand würde später in ihrem Buch „Ein Winter auf Mallorca” von den schrecklichen Wochen auf der spanischen Insel berichten. Chopin erscheint darin als Randfigur. Denn nach einigen Wochen hatte sie von dem sich ständig beklagenden Musiker genug. 

Sein Missmut war nicht unbegründet: Schließlich schliefen sie in einer feuchten und kalten Klosterzelle, was seinen Gesundheitszustand deutlich verschlechterte.

Heute ist Valldemossa zur Pilgerstätte für Chopin-Liebhaber geworden. Das Bergdorf, etwa 20 Autominuten von Palma entfernt, umgeben von Bergen, wird jedes Jahr von Millionen Touristen besucht. Hauptattraktion ist das Chopin-Museum und das alte Kartäuserkloster, wo er gezwungen war, auszuharren, bis eine Fähre sie wieder zurück aufs Festland bringen könnte. Selbst die Schifffahrt zurück war mies: Er musste die Reise unter Deck verbringen, weil das Oberdeck den Exportschweinen reserviert war. 

Heilige und Sünder

Trotzdem beschreibt George Sand in ihrem Buch die Landschaft als malerisch. Im Sommer ist das Klima in Valldemossa angenehmer. Das soll auch der Grund sein, weshalb die spanischen Könige den Ort so schätzten und hier auch einen Palast errichten ließen. 

So sehr die Welt Chopin verehrt, so sehr verehren die Bürger Valldemossas ihre Heilige Catalina Thomás – die einzige Heilige Mallorcas. Bunte Kacheln im ganzen Dorf erzählen ihre Geschichte. 

Obwohl die Zeit in Valldemossa für Chopin unangenehm war, schrieb der Komponist während seines Aufenthalts auf der Insel große Teile seiner Préludes op. 28. Der Dauerregen dürfte keine unwesentliche Rolle gespielt haben, als Chopin das berühmte Regentropfen-Prélude komponierte. Auch die Beziehung der beiden blühte auf. Chopin und Sand waren neun Jahre lang ein Paar. 

Geschichten verkaufen sich. Eine kurze, gescheiterte Wellness-Reise eines großen Genies haben aus einem kleinen, unscheinbaren Dorf einen Tourismusfang gemacht. Was da ist, ist nicht viel. Eine Klosterzelle, Gegenstände des oder über den Komponisten. 

Aber mit Chopin als Anreißer wird man zumindest von den Party-Stränden der spanischen Insel weggelockt. Es ist ein Vorwand, mehr über Mallorca in Erfahrung zu bringen und die Insel nicht bloß auf den Ballermann zu reduzieren. 

Valldemossa hat den Flair eines mittelalterlichen südländischen Dorfes: Enge, sich schlängelnde Gassen, die labyrinthisch miteinander verwoben sind. Umzingelt von hohen Bergen, die Schutz vor dem Schirokko bieten. 

Auch Unterkünfte kann man inzwischen in dem Dorf finden. Viele haben sich in Valldemossa Häuser gekauft, um sie als Ferienhäuser zu nutzen. Von der Schweinzucht heute fast keine Spur mehr. Tourismus ist jetzt die Haupteinnahmequelle. 

Die Übernachtungsmöglichkeiten sind nicht nur vielfältig, sie locken auch mit diversen Erlebniswelten: von der alten Finka bis zum hochmodernen Hotel des 21. Jahrunderts. Nur die Klosterzelle kann man als Übernachtunsmöglichkeit nicht buchen. 

Chopin sei Dank

Würde man aber Chopin danach fragen können, er würde vermutlich davon abraten. Auch die Schweinefähre kann man inzwischen nicht mehr buchen. Obwohl die Schweinepopulation deutlich zurückgegangen ist, wird sie durch den Tourismusverkehr jährlich wieder aufgestockt. Zumindest für ein bis zwei Wochen. 

Ungeachtet also des schlechten Rufs, den Mallorca zumindest im Westen genießt, lockt die spanische Insel auch mit ihrer Geschichte. Das, obwohl sie noch vor über 170 Jahren als Hinterland galt. 

Frédéric Chopin würde sich heute auf jeden Fall besser auf Mallorca fühlen. Das würde zum einen etwas mit dem Fortschritt der Medizin zu tun haben, aber auch mit der Neuerfindung Mallorcas und Valldemossas. Auch gesellschaftlich wäre Chopin wohl längst nicht mehr das Skandalöseste, was es auf der Insel zu finden gibt.

Für ihn war die Reise ein Flop. Es hat aber – und das auch Dank seiner Geliebten und ihrem Erinnerungsbuch – den Weg geebnet für eines von Mallorcas interessantesten Tourismuspunkten.