Contact-Tracing-Apps – warum haben die Apps nicht funktioniert?

Schutz der Privatsphäre scheint vielen wichtiger zu sein als Pandemie-Bekämpfung

Die deutsche Corona-Warn-App auf dem Apple App-Store. Die App wurde gemeinsam mit dem Robert-Koch-Institut (RKI) für die Bundesregierung entwickelt. In der Beschreibung heißt es: „Die App fungiert als digitale Ergänzung zu Abstandhalten, Hygiene und Alltagsmaske. Wer sie nutzt, hilft, Infektionsketten schnell nachzuverfolgen und zu durchbrechen. Die App merkt sich dezentral unsere Begegnungen mit anderen und informiert uns digital, wenn wir Begegnungen mit nachweislich infizierten Personen hatten. Dabei sammelt sie jedoch zu keiner Zeit Informationen zur Identität ihrer Nutzerinnen und Nutzer. Wer wir sind und wo wir sind, bleibt geheim – und unsere Privatsphäre bestens geschützt.“

Screenshot der deutschen Corona-Warn-App

Während sich Wissenschaftler weltweit um eine Impfung gegen Covid-19 bemühten, haben auch Softwareentwickler versucht, ihren Teil zur Pandemie-Bekämpfung beizutragen. Die zahlreichen Contact-Tracing-Apps sollten die aufwendige Arbeit tausender Mitarbeiter des Gesundheitssystems erleichtern oder sogar ersetzen – bzw. in weiterer Folge, durch die effizientere Pandemiebekämpfung, Menschenleben retten und eine schnellere Wiederbelebung der Wirtschaft ermöglichen. Jedoch scheinen diese Apps nach monatelangen Versuchen und Werbeaktionen mit wenigen Ausnahmen ihrem Ziel nicht einmal nahe gekommen zu sein, und zwar insbesondere wegen der geringen Akzeptanz seitens der Allgemeinheit: Um ihre Privatsphäre zu schützen, scheint ein Großteil der Bürger dieser Welt eher willig zu sein, andere Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung zu akzeptieren. 

Was ist Contact Tracing?

Erstens sollte der Begriff „Contact“ (englisch für „Kontakt“) nicht mit den eigenen Handykontakten verwechselt werden: Contact-Tracing-Apps beziehen sich auf den „Kontakt“ (eher die Annäherung) eines Handys mit anderen Handys, welche dieselbe App installiert haben. Falls einer der Nutzer der App eine Infektion mit dem Coronavirus meldet, erfolgt automatisch die Benachrichtigung an alle Handys, deren Besitzer sich in einer bestimmten Zeitspanne für eine bestimmte Zeitdauer in der Nähe des Infizierten aufgehalten haben, mit der Aufforderung zur Selbstisolation. Damit soll die aufwendige und zeitraubende Tätigkeit der Befragung von Infizierten zum näheren Personenkreis seitens Gesundheitsbehörden verkürzt werden, ja sogar unbekannte Personen, in deren Nähe man längere Zeit war (z. B. in der U-Bahn), könnten dadurch auf eine mögliche Infektion aufmerksam gemacht werden. Dadurch könnten Infektionsherde viel schneller lokalisiert und dementsprechend das Gesundheitssystem durch Minderung der Infizierten entlastet werden. So weit, so gut.

Bedenken

Anfang 2020 führte China das erste Contact-Tracing-System der Pandemie ein, welches aber in ein komplexeres Personenüberwachungssystem eingegliedert war (bzw. noch ist). Kurz danach kam auch die erste heftige Kritik: „Die Regierung Chinas verfolgt seine Bürger per App“ meinte der amerikanische Sender CNN im April. Aber auch andere Staaten haben ähnliche ortungs- und personenbezogene Apps eingeführt und dadurch für große Diskussionen gesorgt. Amnesty International hat sogar eine Liste der „intrusivsten Covid-19-Contact-Tracing-Apps“ aufgestellt und auf die „große Gefahr für die Privatsphäre“ für deren Nutzer hingewiesen, da die Apps fast in Echtzeit sämtliche Bewegungen und Begegnungen aufzeichnen würden. Über 300 Wissenschaftler und IT-Spezialisten aus 25 Ländern haben Ende April einen offenen Brief veröffentlicht, in dem sie ihre Regierungen aufgefordert haben, die eigene Bevölkerung nicht auszuspionieren oder, mit anderen Worten, nicht in Richtung Überwachungsstaat zu wandern. Als beispielsweise im August das Albion College in Michigan, USA, die Teilnahme am Unterricht von der Nutzung der eigenen Corona-App abhängig machte, sorgte das für großen Widerstand unter Studierenden. 

Obwohl in China die Pandemie unter Kontrolle zu sein scheint, klagen zahlreiche Organisationen bereits seit Monaten, dass der chinesische Überwachungsstaat durch die verpflichtende Einführung der Contact Tracing-App noch mächtiger gegenüber den eigenen Bürger geworden wäre: „Der Coronavirus-Ausbruch zeigt sich als einer der historischen Meilensteine zur weitläufigen Einführung der Massenüberwachung in China“, meinte etwa Maya Wang, Forscherin für Human Rights Watch.

Eine mögliche Lösung

Insbesondere in Anbetracht der chinesischen Erfahrung, aber sicherlich auch der unterschiedlichen Skandale zum Eingriff in die Privatsphäre seitens Facebook, Google und anderer Internet-Giganten wurden im Sommer 2020 zahlreiche Apps mit sogenannter „pseudonymisierten“ Datenübertragung entwickelt: Dies bezeichnet eine Verschleierungsmethode, bei der der Name einer Person durch ein anderes Merkmal – ein „Pseudonym“ – ersetzt wird. Der Bezug zwischen den Daten und einer Person wird so unterbrochen und kann nur noch mithilfe weiterer Informationen hergestellt werden. 

Im Falle der Contact Tracing-Apps ist dieses Pseudonym der Bluetooth-Schlüssel: Basierend auf einem von Apple und Google erstmals gemeinsam entwickelten App-Code „kommunizieren“ die Smartphones über Bluetooth, aber eben ohne oder eher mit nur geringer personenbezogenen Daten-übertragung: Man kann die Daten einem Telefon, aber nicht einem Namen und damit einer Person zuordnen – was dem Prinzip der Mindestdatenerfassung entspricht. 

Ein soziales Dilemma

Diese Lösung hat aber ein neues Problem aufgezeigt: Wo würden die gesammelten Daten (zeitweise) gespeichert werden? Den staatlichen Datenbanken wurde eine „chinesische“ Herangehensweise vorgeworfen, den Privatunternehmen eine anderweitige Nutzung als zur Pandemiebekämpfung.

Die größte Herausforderung schien die Vertrauensfrage zu sein. Solange die Nutzer den Applikationen und deren Betreibern nicht trauen, werden sie diese auch nicht herunterladen – und vice-versa: Solange nicht genügend Nutzer die Applikationen benützen, kann deren vertrauenswürdiger Charakter nicht bewiesen werden, ganz abgesehen davon, dass das Konzept nur bei Nutzung durch viele Personen funktioniert. 

Falls dieses Vertrauen nicht bereits allgemein besteht – so wie in Finnland, wo die „Koronavilkku“-App von fast 50 Prozent der Bevölkerung auf Aufforderung der Regierungsexperten freiwillig binnen wenigen Stunden nach Veröffentlichung heruntergeladen wurde – so muss dieses geschaffen werden, um die Akzeptanz der Nutzer zu erlangen. Deutschland und Irland, zeitlich auf Platz zwei in Europa, was die Veröffentlichung der Applikationen angeht, haben deren Quellkode öffentlich zur Verfügung gestellt, um den Vorwurf einer etwaigen unsachgemäßen Datenübertragung und -nutzung zu widerlegen und die automatische Löschung der Datensätze nach einer bestimmten Zeit zu beweisen. Und trotzdem verweigern über die Hälfte der Deutschen die Nutzung ihrer Corona-Warn-App (gemäß einer im November veröffentlichten Studie des Meinungsinstituts Infratest Dimap), und nur rund die Hälfte der Iren haben ihre App heruntergeladen; auch in New York und in Frankreich wird die Corona-App von weniger als zehn Prozent der Bevölkerung benützt. Obwohl die Oxford Universität im Frühjahr die allgemeine Bereitschaft der Nutzer sogar auf 60 Prozent schätzte, gibt es in vielen Ländern, wie z.B. Bulgarien, Rumänien und einem Großteil der US-Bundesstaaten, überhaupt keinen konkreten Plan zur Einführung einer Contact Tracing-App. 

Andererseits wurde noch nicht nachgewiesen (und es ist wahrscheinlich auch überaus schwierig nachzuweisen), inwieweit die Nutzung der Contact Tracing-Apps zur Eindämmung der Pandemie beigetragen hätte, da es zur Zeit keine weitläufigen Studien gibt über Corona-Infizierte, die sich über solche Apps gemeldet haben. Im US-Staat Nevada beispielswei-se, wo im Dezember nur vier Prozent der Bevölkerung die App benutzte, haben sich insgesamt nur 142 Personen per App als infiziert gemeldet, während die Behörden bis zu 2700 neue Fälle pro Tag meldeten.

Apps vs. Impfung

Seit immer mehr Corona-Impfstoffe genehmigt werden, scheinen sämtliche Problemstellungen zu Contact Tracing-Apps verschwunden zu sein. Millionen Euro scheinen in den Wind geschossen zu sein für Apps, deren Nutzung bei Weitem nicht ihrem Potential nahe kommen. 

Obwohl auch die Impfungen aufgrund diverser Fehlinformationen und Verschwörungsmythen auf Proteste gestoßen sind, scheinen die Impfkampagnen größere Wirkung auf die Bevölkerung zu haben als diejenige zur Nachverfolgung der Kontakte. Anders gesagt, scheinen die Menschen eher eine Nadel zu akzeptieren, als eine Zustimmung zur möglichen Überwachung ihres Privatlebens – obwohl diese bereits durch die Internet-Konzerne existiert. 

Zukunftseinsichten

Ob Contact Tracing-Systeme (außerhalb Chinas oder einem weitläufigen Personenüberwachungssystem) in Zukunft nützlich sein werden steht noch in Frage, insbesondere in Anbetracht der zahlreichen Stimmen gegen die Überwachung durch Internet-Konzerne wie Facebook, Google, Yahoo, Twitter, usw.  und für deren Regulierung.

Inzwischen wird die Vorweisung eines negativen Corona-Tests – oder bald auch einer Art „Impfpasses“, siehe Bestreben in Israel, Ungarn, Island oder Griechenland – bereits gefordert: bei Grenzübergängen, von Reiseveranstaltern (etwa TUI Cruises), Behörden (beispielsweise in den Vereinigten Arabischen Emiraten), Unternehmen (ebenfalls in den VAE, aber auch bei Casinobetreiber wie Cae-sars Holdings aus Nevada, USA, oder Walmart in seinen Supermärkten) oder aber von Bildungsanstalten (z. B. die stichprobenartigen Tests der Studierenden an der West Virginia University). Das alles scheint aber eher zeitlich begrenzt zu sein und wird höchstwahrscheinlich nach Beendung der Pandemie der Vergangenheit angehören, wenn auch die Corona-Impfung in Rumänien etwa Teil des jährlichen Impfprogramms werden könnte.

Zu überdenken sind jedenfalls die Fragestellungen der Privatsphärenadvokaten zur Datenerhebung, -speicherung und -nutzung, und zwar unabhängig davon, ob es um bestimmte Apps oder eine einfache Internetnutzung geht. Denn insbesondere das heutige digitale Zeitalter bietet die entsprechenden Mittel, um ganz leicht in Richtung eines „privaten Überwachungsstaates“ zu gleiten, wie Shoshana Zuboff, Professorin an der Harvard University, in ihrem Buch „Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus“ erklärt. 

Denn letzten Endes sollte das Privatleben jedes Einzelnen auch privat bleiben.