Covid-19 – Der Medienvirus

Journalismus in Südost- und Mitteleuropa zwischen finanziellem Notstand und politischer Kontrolle

Symbolbild: pixabay.com

Den Medienschaffenden in Südost- und Mitteleuropa ergeht es schlecht in der Corona-Krise. Im allgegenwärtigen Kampf gegen die Pandemie drohe unterzugehen, dass aktuell „das Überleben“ großer Teile der regionalen Medienlandschaft „in Gefahr ist“. So heißt es in einem Bericht mit dem vielsagenden Titel „A Lockdown for Independent Media?“, den die Friedrich-Ebert-Stiftung Budapest gemeinsam mit dem journalistischen Netzwerk n-ost kürzlich veröffentlichte. Die Krise habe die bestehenden Probleme bedeutend verschärft, so die Kernaussage des Papiers. In ihm kommen Journalistinnen und Journalisten aus neun Ländern der Region zu Wort. Sie berichten, dass in den vergangenen Monaten der steigenden Nachfrage nach verlässlichen Informationen schwerwiegende Beeinträchtigungen ihrer Arbeit gegenüber stehen.

Diese seien sowohl finanzieller Natur, als auch staatlichen Maßnahmen geschuldet. Die neun Länder – Polen, Tschechien, Ungarn, Slowenien, Kroatien, Serbien, Bulgarien, Nord-Mazedonien und Rumänien – sind ohnehin nicht für ihre Pressefreiheit bekannt. So rangieren sie zwischen den Plätzen 32 (Slowenien) und 93 (Serbien) der weltweiten Rangliste der Pressefreiheit, die jährlich von Reporter ohne Grenzen herausgegeben wird. Mit Ausnahme von Nord-Mazedonien, das sich um einen Platz verbessern konnte, haben zudem seit 2013 alle Länder Plätze eingebüßt.

So auch Rumänien, das inzwischen nur noch auf Platz 48 steht. In dem Bericht schildert Cristina Lupu, Leiterin des Zentrums für Unabhängigen Journalismus Rumänien (CIJ), die aktuelle Lage in der Medienlandschaft. Die Krise, so Lupu, bedeute nach der Finanzkrise 2008 bereits die zweite große Verwerfung in der Branche innerhalb weniger Jahre. Schon damals resultierte die Krise im Wegfall wichtiger Einnahmen, einer Zunahme der politischen Kontrolle und einer Abnahme des öffentlichen Vertrauens in die Arbeit der Medienschaffenden. Dieser Trend setze sich aktuell in verschärftem Tempo fort.

In der Krise würden hierzulande Unternehmen einerseits ihre Werbebudgets zusammenkürzen – so kündigten auch große Konzerne, wie Coca Cola, die Einstellung aller Werbemaßnahmen an – oder anstatt in Print- vermehrt in TV-Formate investieren. Andererseits stünde Leserinnen und Lesern weniger Geld zur Verfügung, das sie für Nachrichtendienste ausgeben können. Während Online-Medien im April 2020 einen leichten Umsatzzuwachs von 0,7 Prozent verzeichnen konnten, nahm der Monat für traditionelle Medien einen verheerenden wirtschaftlichen Ausgang: Das Fernsehen verlor 36,6 Prozent, das Radio 60,5 Prozent und der Printbereich 60,3 Prozent ihres Umsatzes. So wundert es nicht, dass die meisten Zeitungen ihre Sonntagsausgaben und einige wöchentlich erscheinende Magazine, wie „Newsweek România“ und „Dilema Veche“, ihre Printausgabe zeitweilig einstellten.

Wie auch in den anderen im Report betrachteten Ländern, konstatiert Lupu für Rumänien einen beträchtlichen Zuwachs der Nutzung des Internets. Die Nachrichtenseite Digi24.ro beispielsweise wurde im März 16 Millionen Mal aufgerufen, gegenüber nur 9,2 Millionen Aufrufen im Februar. Die Zeitungen, die seit Jahren nach tragfähigen Finanzierungswegen für Online-Journalismus suchen, konnten finanziell von dieser gesteigerten Aufmerksamkeit jedoch nicht profitieren. So erlebte die Branche eine Welle von Entlassungen, Gehaltskürzungen und Kurzarbeit. Dass die Krise auf Kosten der Angestellten geht, zeigt ein Bericht der Gewerkschaft MediaSind, aus dem Lupu zitiert: Der Fernsehsender RealitateaTV hielt Angestellte, die er zuvor in die staatlich geförderte Kurzarbeit geschickt hatte, dazu an, „freiwillig“ weiterzuarbeiten.

Zu den finanziellen Schwierigkeiten, die die Krise für den Journalismus in Rumänien bedeutet, kommen arbeitserschwerende Maßnahmen von staatlicher Seite hinzu. Gemäß der Corona-Notstandsgesetzgebung ist die rumänische Regierung erst innerhalb von 60, anstatt wie zuvor 30 Tagen, verpflichtet, Presseanfragen zu beantworten. Zudem zirkulierten alle Informationen nur noch ausgehend von Bukarest, was es Lokaljournalisten im Rest des Landes nahezu unmöglich macht, rechtzeitig an relevante Informationen zu gelangen. Auch der Informationsfluss bei Pressekonferenzen droht zu versiegen: Sie finden sehr viel seltener und ohne die Möglichkeit für Nachfragen statt. Staatsbediensteten, die diese Hürden umgangen haben und eigenmächtig Informationen weitergaben, wurde mit strafrechtlicher Verfolgung gedroht, so der Bericht.

Dementsprechend sehen viele Journalistinnen und Journalisten die Informationsfreiheit in Gefahr. Anfang April brachten 97 Medienorgane und 165 Journalisten diese Sorge in einem Schreiben gegenüber der Regierung zur Sprache – mit vorsichtigem Erfolg, da sich die Regierung seitdem wieder transparenter zeige. Die Verbesserung der Informationslage sei auch insofern notwendig, als in Bezug auf die Corona-Krise vielfach Verschwörungstheorien über soziale Medien und Internetseiten Verbreitung fänden. „Rumäniens Medien kämpfen von daher auch gegen eine Epidemie der Fehlinformation“, schreibt Lupu. Die staatliche Zensur, wie sie während des Notstands Anwendung fand, erscheint diesbezüglich wirkungslos.

Doch wie sollen die rumänischen Medien in Zukunft ihrer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft gerecht werden und nicht nur über Covid-19 sondern auch all die anderen kaum mehr Beachtung findenden, aber dennoch wichtigen Themen verlässlich berichten? Cristina Lupu ist der Meinung, dass in einem ersten Schritt die Finanzierungslücken geschlossen werden müssten. Dies müsse schnell und nicht zulasten der Unabhängigkeit gegenüber dem Staat oder einzelnen wirtschaftlichen Interessenträgern gehen. Denn diese Unabhängigkeit sei in Rumänien ohnehin zunehmend bedroht.

Im Moment scheint eine Lösung in der Sache jedoch weit entfernt. Lupu hält die Fortsetzung der Vorkrisenentwicklung für wahrscheinlich: hin zu einer Medienlandschaft, in der nur diejenigen überleben, die sich zugunsten staatlicher oder privatwirtschaftlicher Fördergelder der Zensur oder Selbstzensur unterziehen. „Trotz der vielen Änderungen, die die Zeit nach der Pandemie mit sich bringen wird, werden wohl einige Dinge gleich bleiben“, zeigt sie sich konsterniert. Auf die im Titel des Berichts gestellte Frage, ob sich der unabhängige Journalismus im Lockdown befinde, lässt sich mit Blick auf Rumänien wohl nur mit einem eindeutigen „Ja“ antworten – und das nicht erst seit der Corona-Krise.