Das Goethe-Institut gibt Millennials eine Bühne

Erste „Fokus Talk“-Diskussionsreihe endet mit einem Debattenmarathon

Der vom Goethe-Institut Bukarest veranstaltete Debattenmarathon hat viel Interesse unter den jungen Erwachsenen erregt. Die am meisten debattierte Problematik war die Unsicherheit heutzutage, die der geistreiche Gastsprecher und Schriftsteller Fabian Neidhardt zusammen mit der Moderatorin und Kommunikationsexpertin Monica Jitariuc besprach. Foto: Goethe-Institut

Das Goethe-Institut Bukarest veranstaltet seit letztem Jahr erfolgreich eine Diskussionsreihe mit dem Titel „Fokus Talk“, in deren Rahmen die Veranstaltung „Millennials im Fokus“ stattfand: Junge Journalistinnen und Journalisten aus Deutschland und Rumänien, die der Millennials-Generation angehören, sowie Fachleute aus verschiedenen Bereichen diskutierten mit dem Publikum aktuelle Themen. Mit diesem „Debattenmarathon“ schloss sich Anfang Oktober der im Herbst 2018 geöffnete Kreis, der die einjährige Veranstaltungsarbeit auf spannendste Weise krönte.

Das Projekt ist Millennials gewidmet, also den in der Zeitspanne zwischen 1980 und 2000 Geborenen. Diese Generation übernimmt die „Führung“ und wird ab 2020 ein Drittel der globalen berufstätigen Bevölkerung bilden. Dies bietet ihnen die Möglichkeit, die Zukunft neu zu definieren und zu gestalten. Dazu bietet das Goethe-Institut ihnen eine Bühne.

Bei den Fokus Talk-Debatten werden Fragen zu aktuellen Themen wie Migration, Grundeinkommen, Urbanität, Umwelt, soziale Medien oder künstliche Intelligenz thematisiert und besprochen. Interessierte reichten ihre Diskussionsvorschläge und Beiträge bei der Projektleiterin Lavinia Cazacu ein, der die einwandfreie Koordination des Forums zu verdanken ist; sie vermittelte nach sorgfältiger Auswahl den Kontakt zwischen Fachleuten aus den entsprechenden Bereichen und dem Journalismus-Nachwuchs.

Somit wurden Diskussionen mit den Titeln „Grenzlos“, „Das Kind von heute, der Erwachsene von morgen“, „Identität ICH“, „Baustelle Bildungssystem“, „Karriere und Gender“, „Spiele und Politik“, „Intimität“, „Millennials und die sozialen Medien“, „Zukunft der Arbeit“, „Macht 2 Räder wieder großartig“ und „Plastik-Planet“ geführt, zu denen neben dem Journalismus-Nachwuchs Fachleute wie Bergsteiger, Blogger, Schriftsteller, Schauspieler, Spieledesigner, Professoren, Zeitungsredakteure, Vorsitzende verschiedener NGOs und ein Bankdirektor als Sprecher eingeladen wurden.

Die Gastredner setzten zunächst dem Publikum das betreffende Thema auseinander, anschließend wurde die Diskussion eröffnet. Weil diese auch auf der Facebook-Seite „Fokus pe Germana“ live gesendet wurde, konnten Interessierte, die nicht dabei waren, online mit Fragen und Kommentaren ins Gespräch eingreifen.

Das Schirmthema der Veranstaltung lautete „Zukunft“ und das Interesse der Sprecher richtete sich in erster Linie auf bevorstehende Herausforderungen, nicht nur für Millennials, sondern für alle Menschen. In diesem Sinne behandelten Experten aus Rumänien und Deutschland aktuelle Themen wie Arbeitsplätze der Zukunft, Automatisierung, Grundeinkommen und die zunehmende Globalisierung. Fragen nach dem Einfluss der sozialen Medien auf unser Kommunikationsvermögen oder nach der Möglichkeit der Gestaltung unserer Umgebung – unseres Lebensraums oder auch der technischen Infrastruktur –, nach unseren Bedürfnissen wurden bei Debatten mit den Titeln „Wie die ‘Generation Vielleicht‘ kommuniziert“, „In wessen Dienst ist Design eigentlich?“ oder „Räume für Leute“ beleuchtet und erhielten dabei mögliche, aber keine endgültigen Antworten.

Zum Auftakt sprach Alexander Baumgardt, Professor für Designstrategie und Soziale Innovation am „California College of the Arts“ in San Francisco – eine Universität, die interessanterweise vor 140 Jahren von in die Vereinigten Staaten ausgewanderten deutschen Handwerkern gegründet wurde. Baumgardt führte die Anwesenden in eine neue Methode des Design-Denkens ein, welche design-typische Vorgänge für andere Bereiche als alternative Methode zum Planen und Gestalten anwendet. Dabei wurden als Merkmale von Design Personenorientierung, Intentionalität, Praktikabilität und Funktionalität genannt. Dem Credo des berühmten amerikanischen Architekten Buckminster Fuller – „Die Welt funktional zu gestalten, für 100 Prozent der Menschheit, in kürzestmöglicher Zeit, durch spontane Kooperation und ohne Umweltschäden oder irgendjemandes Nachteil“ – schien am Ende das ganze Publikum zuzustimmen.

Zum „Allgemeinen Grundeinkommen“ sprach Mihaela Mitroi, eine rumänische Steuerberaterin, die über umfangreiche Erfahrung in den Bereichen Umstrukturierung, Privatisierung, Steuerkonformität und Steuersparsystemen verfügt. Das Konzept bezieht sich auf einen auf Weltniveau gesetzlich geregelten Betrag, der jedem Menschen für Grundbedürfnisse wie Nahrung, Wasser, Heizung usw. ausbezahlt werden sollte. Dabei wären mögliche Finanzierungsquellen eine zu diesem Zweck erstellte globale Vermögensreserve, globale Steuern, eine allgemeine Grundeinkommenssteuer, oder ein dem Beispiel Alaska folgenden Gewinnanteil der Bürger an ihrem Grund. Außerdem wurde die Zukunft des Arbeitsmarktes angesprochen, vor allem das Verschwinden vieler Berufe aufgrund der Ersetzung menschlicher Arbeitskräfte durch Roboter. Mihaela Mitroi versicherte zum Schluss, dass in Zukunft neue Berufe benötigt würden – wie zur Zeit der industriellen Revolution, als die Menschheit die Automatisierung von Fabriken und Geräten erlebte.

Im Anschluss an das zweite Gespräch des Marathons und in enger Verbindung zum ersten sprach Oliver Heiss, Architekt, Stadtplaner und Leiter der Akademie für Fort- und Weiterbildung der Bayerischen Architektenkammer, über „Räume für Leute“, moderiert von Anca-Raluca Majaru, Architektin und Gründerin der „Arché“-Organisation zur Stärkung des gesellschaftlichen Inte-resses für Kultur und kulturelles Erbe. Ausgehend von der Idee, dass der Raum eine Projektion des Lebens sei, solle laut Heiss der Designvorgang umgedacht werden, um das Diskontinuum zwischen Stadt und Einwohnern zu versöhnen. Bei der Stadtplanung sollte in erster Linie das Interaktionsvermögen zwischen den Stadtbewohnern, dann der nötige Raum dafür und erst später der Entwurf von Gebäuden berücksichtigt werden. Weil der motorisierte Individualverkehr zu viel Raum einnimmt und durch Luftverschmutzung und Unfälle zu Todesopfern führt, müsste das Stadtzentrum dafür zumindest einen Tag der Woche gesperrt sein, wie das in Bologna der Fall ist, sodass Bewohner ihren Raum für kulturelle Aktivitäten und zwischenmenschliche Interaktion zurückgewinnen können. Auch was die Sicherheit anbelangt, sollte durch menschlichen Eingriff etwas an der gesellschaftlichen Dynamik und nicht an der urbanen Gestaltung geändert werden, wie es die Behörden in Australien erfolgreich ausprobiert haben.

Zum Thema „Klimawandel. Die Zukunft überleben“ stellte die Expertin für Klimavariabilität Prof. Dr. Roxana Bojariu viele aktuelle Statistiken sowie beunruhigende Prognosen vor, die spürbaren Effekt auf die Anwesenden hatten. Moderiert wurde das Panel von der Umweltaktivistin und Journalistin Irina Breniuc. Die Schlussfolgerung, der alle zustimmten, war, dass dringende Veränderung in der Wirtschaft im Sinne von Nachhaltigkeit und mehr Respekt der Natur und ihren Ressourcen gegenüber nötig sind, sowie die Zusammenarbeit von Entscheidungsträgern und Bürgern in dieser Hinsicht.

Darauf folgte eine von Sophie Engel, der stellvertretenden Direktorin des Goethe-Institutes, moderierte Podiumsdiskussion über die „Generation Wohin“ mit Vertretern derselben, die das Land oft zu Studienzwecken verlassen haben und zum Teil auch zurückgekehrt sind, und der Millennials-Generation. Mit einem dominanten Thema der Debatten, nämlich der Migration, befassten sich Lavinia Liță (19), Studentin an der Bukarester Fremdsprachenfakultät; Teodor Teleag˛ (21), Student der Soziologie und Politikwissenschaft in Bonn, sowie der Kulturreferent und Übersetzer Șerban Busuioc (25). Nicht nur die Zusammenarbeit beim Fokus Talk-Projekt verbindet die drei Sprecher miteinander, sondern auch, dass alle drei Schul- bzw. Universitätserfahrungen im deutschsprachigen Ausland haben. Eine weitere Gemeinsamkeit ist ihre Entschlossenheit, durch ihr Handeln die Lage Rumäniens zum Besseren zu ändern, auch wenn sie vorläufig nur Weniges bewegen können. Zu diesem Zweck veranstaltet Teodor Teleag˛ Debatten zur Demokratie und Redefreiheit an rumänischen Lyzeen, Lavinia Liță wirkt bei den Projekten des Goethe-Institutes mit und Șerban Busuioc trat einer politischen Partei bei. Die Zuhörer schienen sehr interessiert an den Deutschland-Erfahrungen der drei und an ihren Zukunftsprojekten, daher stellten sie diesbezüglich viele Fragen und erzählten von ihren eigenen Auslandserfahrungen.

Die am meisten debattierte Problematik war das aktuelle Phänomen der Unsicherheit, das der Gastsprecher und Schriftsteller Fabian Neidhardt unter dem Titel „Wie ‘Generation Vielleicht‘ kommuniziert. Wahrscheinlich.“ thematisierte. Das Gespräch leitete Moderatorin Monica Jitariuc mit viel Humor. Es ging dabei um eine allgemein empfundene Unsicherheit, die sich z. B. darin äußert, dass weniger Menschen Ehen eingehen oder Kinder in eine solche Welt setzen möchten; aber auch das Phänomen, online Bestelltes ohne triftigen Grund zurückzuschicken, weil man sich nicht festlegen kann oder will. Als Beispiel für seine Beobachtung erwähnte Neidhardt die Wechselwirkung zwischen der in unserer gegenwärtigen Gesellschaft beispiellosen Freiheit und Auswahlmöglichkeit und der gleichzeitig ständig steigenden Scheidungs- und Selbstmordrate sowie der zunehmenden Unzufriedenheit der Menschen. Dies widerspiegele sich auch im täglichen Entscheidungs- und Kommunikationsverhalten – nicht viele Personen könnten sofort eine entschiedene Antwort auf eine einfache Ja/Nein-Frage geben und sagen stattdessen erst mal „vielleicht“. Der wesentliche Unterschied liegt laut Neidhardt darin, ob die Menschen einfach noch unentschieden seien, wenn sie vage antworten, oder ob sie nicht über genügend Mut verfügen, ihre Meinung offen auszusprechen.

Das erinnert selbstverständlich an die Worte des aufklärerischen Philosophen Immanuel Kant zur Unmündigkeit: „Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt“. Dasselbe hat auch der Gastsprecher mit anderen Worten ausgedrückt und hinterließ dem Publikum drei Gebote zur Verbesserung des Verhältnisses zur Welt und den Mitmenschen: „Sei direkt“, „Habe Mut“ und „Traue dich, Fehler zu machen“, gemäß dem Sprichwort „Fehler machen und daraus lernen ist Erfahrung“.

Trotz eines langen Tages, an dem viele aktuelle Themen besprochen wurden, war diese demokratische Übung der Meinungsäußerung und des höflichen Streitgesprächs – wie einst auf der griechischen Agora – nicht ermüdend, ganz im Gegenteil: Man fühlte sich erfrischt, seine Meinung mit Gleichgesinnten geteilt zu haben, auch wenn die Ideen einander manch-mal widersprachen. Eben dies ist der Zweck dieser Diskussionen – dass man seine Einstellung offen und mutig ausdrückt und begründet, sodass eine Änderung der Haltung beim Gegenüber – oder bei einem selbst – ausgelöst wird, je nachdem, wessen Argumente überzeugender wirken. Am Ende stimmten die Teilnehmenden einander zu, oder – wie die deutsche Entlehnung für das englische „Let’s agree to disagree“ lautet: Sie waren sich zumindest einig, sich nicht einig zu sein.