Das Leben im Standby

Wenn Kopfschmerzen das Alltagsleben stark beeinträchtigen

Der Cluster-Kopfschmerz dauert zwischen 15 Minuten und drei Stunden. Er kann sogar acht Mal täglich auftreten.

Triptane lindern den Schmerz, haben aber oft starke Nebenwirkungen.

Stellen Sie sich drei sehr dicke, scharfe Nadeln vor, die blitzartig in Ihren Schädel eindringen. Nur auf einer einzigen Gesichtshälfte, direkt ins Auge, direkt in die Nase und direkt ins Ohr hinein. Sie stechen einmal vernichtend. Dann noch einmal und noch einmal, im Sekundentakt. So geht das bis zu einigen Minuten mehrmals am Tag, mehrere Wochen lang. Der Schmerz ist so zerstörend, dass Körper und Geist nach so einer Episode zu nichts mehr taugen. Völlig erholt sind Sie erst wieder nach mehreren Wochen.

Rund zehn von 100.000 Menschen, davon mehr Frauen als Männer, müssen sich das gar nicht vorstellen: Sie erleben den Schmerz regelmäßig. Denn sie leiden an Trigeminusneuralgie, auch als „Selbstmordkrankheit” bekannt. Auch der Cluster-Kopfschmerz trägt diesen makabren Spitznamen. Beide zählen zu den stärksten Kopfbeschwerden überhaupt.

Die häufigsten Schmerzarten

Kopfschmerzen sind ein globales Phänomen, gelten vielerorts als Volkskrankheit. Seit Anfang der 1980er Jahre erfasste und definierte die „International Headache Society“ systematisch mehr als 350 Arten von Kopfschmerz. Einige davon sind harmlos, andere können einem das Leben zur Hölle machen. Migräne und Spannungskopfschmerzen sind die häufigsten Leiden. Letztere werden als leicht bis mittelstark eingestuft und treten bei jedem Menschen irgendwann einmal im Leben auf, fast die Hälfte aller Menschen erlebt sie episodisch. Bei einem Prozent der Menschen aber verschwinden sie nicht mehr. Der Stirnbereich oder der gesamte Kopf tun dann weh, als würde man einen zu engen Hut tragen, die Schmerzen werden als dumpf und drückend beschrieben.

Migräne-Kopfschmerzen hingegen sind mäßig bis stark und schränken den Alltag beachtlich ein. Hierbei handelt es sich um plötzliche Anfälle, bei denen meist nur eine Kopfseite pulsiert oder pocht. Die Schmerzen werden von weiteren Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen, Licht-, Geruchs- oder Geräuschempfindlichkeit begleitet. Selten kommt es auch zu Ausfallerscheinungen wie Seh- oder Sprachstörungen oder sogar zu Lähmungssymptomen. In den meisten Fällen tritt nur ab und zu eine solche Episode auf, manche leiden monatlich für mehrere Tage daran.

Während die Spannungskopfschmerzen mit Ruhe, frischer Luft, dem Auftupfen von Pfefferminzöl auf Stirn, Schläfen oder Nacken oder etwa mit rezeptfreien Schmerzmitteln behandelt werden können, sind bei starken Migräne-Anfällen sogenannte Triptane notwendig. Das sind gefäßverengende Wirkungsstoffe, die auch entzündungshemmend agieren und auch für die Behandlung von Epilepsie eingesetzt werden. Sie unterdrücken die Schmerzen, verringern die Intensität und Häufigkeit der Attacken, eine Heilung erfolgt allerdings nicht.

Warum tut der Kopf weh?

Forscher teilten Kopfweh in „primäre Kopfschmerzen“ und „sekundäre Kopfschmerzen“ ein. Sekundäre Kopfschmerzen haben klare Ursachen, wie Unfälle, entzündete Blutgefäße, kranke Zähne oder Augen, Hirntumore, Infektionen. Die Ursache für primäre Beschwerden sind nicht eindeutig geklärt, es gibt aber verschiedene Risikofaktoren und Auslöser für die Schmerzattacken, wie beispielsweise Kälte, Lärm, Flüssigkeitsmangel, Wetterumschwung, Auslassen von Mahlzeiten, Schlafmangel oder Stress. Zu den bekanntesten primären Kopfschmerzarten zählen Migräne, Spannungs- und Clusterkopfschmerzen.

„Bei wiederkehrenden starken Kopfbeschwerden, etwa an mehr als zehn Tagen monatlich, muss unbedingt ein Arzt aufgesucht werden“, erklärt Mihaela Bustan, Neurologin an einer großen nationalen Privatklinik. „Es gibt Leute, die ihre Kopfschmerzen jahrelang nicht behandeln. Sie müssen aber wissen, dass es Lösungen gegen diese Krankheit gibt“, betont die Fachärztin. Immer wieder hat sie Patienten, die erst nach Jahrzehnten eine medizinische Lösung suchen. Dabei kann man Kopfschmerzen effektiv und nachhaltig behandeln. Es gibt Medikamente für die Prophylaxe und Medikamente für Krisen. Vorbeugen kann man unter andern mit Cortison. Bei den akuten Attacken halten Triptane die Krankheit in Schach, am wirkungsvollsten sind sie in Form einer Injektion oder als Nasenspray. 

Trigeminusneuralgie

„In den über zwei Jahrzehnten, seit die Diagnose feststeht, habe ich neun Neurologen aufgesucht. Keine verschriebene Behandlung hat gewirkt, alle Antiepileptika hatten Nebeneffekte“, erzählt Marta Piper (Name geändert). Seit ihrer Kindheit treten die Trigeminusneuralgie-Attacken auf, die Diagnose hat sie aber erst im Erwachsenenalter erfahren, als sich diese gehäuft und an Intensität zugenommen haben. Wegen den Nebeneffekten hat Marta die Einnahme von Medikamenten lange verweigert und sich lieber dem Schmerz gestellt. In Krisenzeiten war ihr Alltag komplett zerstört, sie konnte während der zweiwöchigen Attacken meist nur flüssige Nahrung zu sich nehmen. Konzentration war unmöglich und Arbeiten kam nicht in Frage, sie hatte Panikattacken und trübe Gedanken, wollte niemanden treffen. „Ich lag immer im Dunkeln und weinte. In den Stunden, in denen die Stiche im Kopf nicht zu spüren waren, versuchte ich, für die Familie zu sorgen, zu arbeiten, meine Pläne und eine lange To-Do-Liste zu erfüllen. Es klappte nicht. Wenn der Kopf schmerzte, war alles im Standby. Mein Leben war im Standby. Während der Krisen dachte ich manchmal daran, mein Leben zu beenden. Ich erinnere mich aber an den erschrockenen Anblick meiner Kinder, wenn ich so kaputt war“, sagt Marta.

Die chronische Schmerzerkrankung des Drillingsnervs, des sogenannten „Fühlnervs”, der zum Riechen, Schmecken oder für die Gefühlswahrnehmung des Gesichts und der Hornhaut verantwortlich ist, macht sich blitzartig bemerkbar. Kurze Schmerzattacken sind in einem oder mehreren Ästen des Nervs im Stirn-, Oberkiefer- und Unterkieferast zu spüren. Meist erscheinen sie nach Phasen völliger Beschwerdefreiheit, immer zur selben Uhrzeit, sogar mehrmals an einem Tag und ständig auf derselben Gesichtshälfte. Vor allem im Frühling und Herbst sind die Leidenden davon betroffen. Die Schmerzintensität ist extrem stark und mit Übelkeit, Erbrechen oder Sehstörungen verbunden.

„Erst die Neurologin im Ausland hat ein passendes Medikament für mich gefunden: Topiramat, das einzige von mir verträgliche Triptan”, erinnert sich die Mittvierzigerin. Nach einigen Jahren hat sie auch eine Neurologin gefunden, die ihr in ihrer Heimatstadt Kronstadt/Brașov die korrekte Dosierung für die Krisen verschrieb. „Bis dahin war ich in Krisen mehrmals in der Notaufnahme gelandet, weil mir zu starke Medikamente oder zu hohe Dosen verschrieben worden waren. Ich hatte Herzrasen, Blutungen und war extrem erschöpft. In einem Jahr habe ich davon Nierenprobleme entwickelt”. Nun bietet Marta Piper der Krankheit die Stirn. Dass ihr Alltag bei Anfällen weiterhin beachtlich beeinträchtigt ist und alles verschwommen und unklar wirkt und das Leben sehr ermüdend ist, vergeht nach einigen Wochen. Die Patientin ist erleichtert, keine akuten Schmerzen zu haben. Trotzdem verfolgt sie ständig die Angst einer neuen plötzlichen Attacke. Sie hat ständig Triptane und Schmerzmittel dabei – für alle Fälle.

Cluster-Kopfschmerz 

Der Cluster-Kopfschmerz schlägt alle Rekorde, er ist der schlimmste von allen. Der Folterschmerz tritt jedoch selten auf, etwa einer von 1000 Menschen ist von dem einseitigen Schmerz im Augenbereich betroffen. Er tritt bis zu 8 Mal am Tag auf, meist nachts, und dauert 15 Minuten bis drei Stunden. Solche Episoden können zwischen vier und zwölf Wochen anhalten und treten ebenfalls im Frühling oder Herbst auf. Dazwischen kann sich bis zu Jahren eine Pause einstellen. Bei chronischen Beschwerden allerdings kann das Leiden für länger als ein Jahr ohne Pause andauern. Dann fühlen die Patienten, als würde ein Messer durch ihr Auge in den Kopf gestochen. Das Auge tränt und ist gerötet, das Augenlid hängt herab. Man würde es am liebsten samt Schläfe, Stirn, Kiefer und Wange aus dem Kopf entfernen, um den Schmerz loszuwerden. Triptane hemmen auch diesen Schmerz. Sie blockieren aber auch jegliche Lebensfreude und -kraft. Man zieht sich zurück. Das Gesicht sieht wie eine trockene Rosine aus, der Körper scheidet alles aus und ist lahmgelegt. Man ist langsam, gereizt und ängstlich. Die psychische Belastung ist extrem groß, es kommt manchmal auch zu Sprechstörungen.

„Während und nach solchen Episoden wasche ich meine Haare wochenlang nicht, die Zähne putze ich sehr sorgfältig, nur auf der einen Gesichtshälfte, die nicht schmerzt und nur mit der manuellen Zahnbürste, die elektrische fühlt sich wie ein Presslufthammer an. Ich rasiere mich nicht, auch wenn ich immer ungepflegter aussehe”, erzählt Sebastian Antohi (Name geändert). „Nach Anfällen hilft mir auch die psychologische Begleitung, ich bin so ängstlich und fühle mich zerbrechlich“. Schon öfter hat er überlegt, sich operieren zu lassen, doch wird eine OP nur bei chronischen Beschwerden empfohlen und eher bei jenen, bei denen Medikamente nicht wirken. „Wenn es extrem heftig ist, gehe ich zur Notfallaufnahme und bekomme Sauerstoff. Das wirkt schnell.“

Hilfe, aber keine Heilung

Fachärzte empfehlen den Betroffenen, über Wochen oder Monate ein Kopfschmerztagebuch zu führen, in dem sie Beschwerden, Symptome und mögliche Auslöser festhalten. Das bietet einen besseren Überblick über die Krankheit.

Des Weiteren sollten Patienten lernen, mit ihrem gesundheitlichen Problem zu leben, zumal es nie heilt. Auf Foren und in Gemeinschaften wie auch von Ärzten hört man, wie wichtig die Änderung des Lebensstils ist. Man braucht regelmäßige Pausen und feste Schlafzeiten, regelmäßige gesunde Mahlzeiten, regelmäßigen Ausdauersport und gezielte Entspannungsübungen. In ihrer Verzweiflung probieren Kranke oft alternative Methoden aus. Homöopathische Mittel, Salben, ätherische Öle, Wärmekissen, aber auch glutenfreies oder veganes Essen sind nur einige davon. Kuren mit Silizium, Plasma oder Kurkumin, Vitamin B und Nahrungsergänzungsmittel gegen Angststörungen sind andere. Auch Bioresonanz, Akupunktur oder psychotherapeutische Behandlungen werden ausprobiert. Medizinische Beweise für deren Wirkung gibt es zwar nicht, sie können allerdings zum Wohlbefinden beitragen und Stress reduzieren. Bei Marta wirkt zusätzlich zu den Antiepileptika die Behandlung mit Cannabidiol (CBD). Das aus Hanfpflanzen gewonnene Mittel wirkt entzündungshemmend und hält vaskuläre Krämpfe unter Kontrolle. Dank des Tagebuchs hat sie auch einige Auslöser für den Schmerz entdeckt und ist besonders aufmerksam, diese zu vermeiden: „Ich muss mehr auf mich achten, dann wird es wohl besser.”