Das Problem ist die Bankenregulierung

„Die Volksbank kurz vor dem Krach“: Das Gemälde (1877) von Christian Ludwig Bokelmann zeigt die Schlange vor dem Zusammenbruch der Volksbank Wien im Gründerkrach 1873.

Bankensturm vor der Northern Rock Bank in London, 2007 | Foto: Alex Gunningham/Wikimedia

Sind neuerliche „Bailouts“ für die Banken ein zusätzlicher Beweis, dass der Kapitalismus nicht funktioniert? Einige Kommentatoren scheinen das zu denken. Doch von was für Kapitalismus reden sie? Es ist lange her, dass es im Bankensektor – einer der am stärksten regulierten Branchen überhaupt – auch nur eine Spur von Marktdisziplin oder Kapitalismus gegeben hat. Der sich an die Probleme der Banco Popular und anderer Banken anschließende Zusammenbruch der Silicon Valley Bank ist ein weiterer Fall, wo ein Finanzinstitut über Nacht zusammengebrochen ist, ohne gegen eine der vielen prudenziellen Regeln verstoßen zu haben, denen es unterlag.

Die globale Finanzkrise von 2008 hat die grauenhaften Fehler aufgezeigt, die die Bankenaufsichten in den Jahren zuvor gemacht hatten. Doch statt diese zu korrigieren und ein echtes Verständnis davon zu entwickeln, warum diese Fehler begangen wurden und wie man sie künftig vermeiden könnte, verlangten Politiker und Öffentlichkeit damals schlicht, dass die Aufsichtsbehörden die Regulierung verschärfen sollten. Das taten sie, und nun sehen wir die Folgen.

Zombiebanken?

Der wichtigste Fehler bei der heutigen Bankenregulierung ist, dass sie nur ein rasierklingendünnes Kapitalpolster vorschreibt. Dies ist ein Überbleibsel einer früheren Ära. Es beruht auf dem Eigenkapital, das die japanischen Zombie-Banken Mitte der 1990er Jahre aufwiesen, und spiegelt den Wunsch der Verfasser der Baseler Regeln (des internationalen Rahmenwerks zur Bankenregulierung) wider, ihre Kollegen bei der Bank von Japan nicht in Verlegenheit zu bringen.

Nach der globalen Finanzkrise war es erneut zu peinlich, das Ausmaß dieses Fehlers einzugestehen; daher beließen es Politik und Regulierungsbehörden bei einem allmählicheren Ansatz. Infolgedessen ist der Eigenkapitalanteil an den Bilanzsummen seit 2007 in Europa und den USA um nicht einmal 30 Prozent gestiegen. Und während es bei den Kernkapitalquoten (dem Anteil der durch Eigenkapital und Reserven gedeckten Risikopositionen) etwas besser aussieht, wurde das weitgehend durch eine leichte Anpassung der Regeln für die Berechnung von Zähler und Nenner erreicht. Müssten die Banken dieselbe Kapitalquote einhalten, wie Hedgefonds das bei gleichem Risikoniveau freiwillig tun, hätte sich das Eigenkapital verdreifacht.

Betrachten wir die SVB. Sie hatte eine Bilanzsumme von 200 Milliarden Dollar, von der 86 Milliarden Dollar in mit Wohnungshypotheken unterlegten Wertpapieren mit einer Laufzeit von mindestens zehn Jahren steckten, die als „Held to maturity“ ausgewiesen wurden (d. h., bis zur Fälligkeit gehalten werden sollten). Der Zeitwert dieser Anlagen jedoch lag bei nur 71 Milliarden Dollar, was einen Verlust von 15 Milliarden Dollar implizierte. Das allein war mehr als genug, um das Eigenkapital der Bank (zwölf Milliarden Dollar) aufzuzehren, und das war im Jahresbericht der Bank für 2022 schwarz auf weiß zu lesen.

In der Praxis erlaubten die bestehenden „prudenziellen“ Regeln der SVB, ihr Eigenkapital bei diesen riskanten Wertpapieren in ihrem Effektenkonto mehr als zehnfach zu hebeln. Das ist Wahnsinn angesichts der Schwankungsanfälligkeit der gehaltenen Vermögenswerte. Selbst ein aggressiver Hedgefonds hätte ein derartiges Konto höchstens um das Dreifache gehebelt. Doch der SVB gestattete man eine veröffentlichte Kernkapitalquote von 12 Prozent – was deutlich innerhalb der „prudenziellen“ Grenzwerte liegt.

Nicht der einzige Fehler

Das bringt uns zum zweiten großen, nicht korrigierten Fehler bei der Bankenregulierung: Die Solvenz einer Bank wird auf Basis der Endfälligkeit der gehaltenen Aktiva eingeschätzt. Selbst „konservative“ Bankexperten wie der ehemalige Chefökonom der Bank von England John Vickers scheinen dies zu akzeptieren. Aber würde Vickers Geld bei einer Bank anlegen, die auf der Basis des aktuellen Marktwerts insolvent ist? Natürlich nicht. 

Und für die Einleger der SVB galt dasselbe. Als sie endlich merkten, was seit vielen Monaten hätte klar sein sollen, versuchten sie daher, ihr Geld schnellstmöglich abzuziehen. Auf den ersten Blick scheint dieses Problem nur die USA zu betreffen. In Europa sind Schulden (über die strukturelle Liquiditätsquote – NSFR) und Vermögenswerte (über die Liquiditätsdeckungsquote  – LCR) reguliert, sodass diese Art von Missverhältnis nicht auftreten sollte. Doch so beruhigend diese Regelung sein mag: Sie bedeutet auch, dass die Behörden den Interbanken-Kreditmarkt aus dem Geschäft reguliert haben – und vermutlich die Banken gleich mit. 

Wer wird sein Geld noch bei einer Bank anlegen, die nur Renditen erreichen kann, die unter denen hochwertiger liquider Vermögenswerte liegen, in die die Banken und die Einleger selbst investieren können? Die Banken werden so auf das Zahlungsgeschäft beschränkt – zumindest bis zur Einführung von digitalem Notenbankgeld, mit der auch dieses Geschäft an die sie in den Ruin treibenden Notenbanken übergehen wird.

Bankenstürme ließen sich vermeiden

Wollen wir Kapitalismus oder nicht? Wenn ja, müssen wir die gescheiterte Regulierung (und die Regulierer gleich mit) loswerden und den Status quo beenden, bei dem die Notenbanker über eine Geldpolitik mit langen, wechselnden und zeitverzögerten Folgen präsidieren – mit für sie unvorhersehbaren Auswirkungen auf die künftige Wirtschaftslage.

Wir müssen uns zudem von der Idee verabschieden, dass Bankeinlagen als einzige Finanzwerte einen staatlich festgelegten und garantierten Nennwert haben. Würden sich die Banken über handelbare Einlagenzertifikate finanzieren, wären Krisen wie die jetzige ausgeschlossen. Einlagenzertifikate der SVB würden dann aufgrund der Unsicherheit über eine Liquidierung oder Rekapitalisierung der Bank womöglich mit 85 Prozent ihres Nennwerts gehandelt werden, aber es hätte nie einen Bankensturm gegeben. Bankenstürme passieren nur, weil die ersten 85 Prozent, die Schlange stehen, den Nennwert bekommen, und die letzten 15 Prozent leer ausgehen. (© Project Syndicate)

Aus dem Englischen von Jan Doolan