„Das unbeschreibliche Gefühl, dass man zusammen ist, trotz Trennung“

ADZ-Gespräch mit Frank Thomas Ziegler, Pressesprecher der Evangelischen Kirche A.B. Kronstadt

Zur Eindämmung der Verbreitung des Coronavirus ist die Bewegungsfreiheit im öffentlichen Raum weiterhin eingeschänkt. Auch die Schwarze Kirche, eine der meistbesuchten Sehenswürdigkeiten landesweit, hat ihre Pforten geschlossen. Doch die Kommunikation mit der Gemeinde bleibt weiterhin aufrecht. Seit ein paar Wochen werden die Gottesdienste per Internet übertragen und das hat viele Vorteile. Zum Beispiel wurde der Gottesdienst vom Sonntag Judika, dem 22. März 2020, bisher schon von mehr als 1000 Youtube-Nutzern verfolgt. Das ist viel mehr als bei einem „üblichen” Gottesdienst. Außerdem gibt es den Vorteil, dass ein Internet-Beitrag verbreitet werden kann, sodass er Leute aus aller Welt erreicht. Eine Frau schreibt zum Beispiel in einem Facebook-Kommentar, dass sie den Gottesdienst aus Washington D.C. verfolgt hat. Auch die Facebookseite der Honterusgemeinde ist sehr aktiv und hält die Mitglieder auf dem Laufenden mit Neuigkeiten aus dem Gemeindeleben. Doch virtuelle Begegnungen können nie die wahren Begegnungen ersetzen. Über die Herausforderungen, die diese schwierige Zeit mit sich bringt, sprach ADZ-Redakteurin Elise Wilk mit Frank-Thomas Ziegler, Pressesprecher der Evangelischen Kirche A.B. Kronstadt.


Herr Ziegler, eigentlich war ein Gespräch mit Ihnen schon vor der Coronakrise geplant. Es wären ganz andere Fragen gewesen, die wir Ihnen gestellt hätten. Doch nun ist auf einmal alles anders geworden. Wie hat sich Ihre Arbeit in den letzten Wochen verändert?
Seit Jahresbeginn treiben wir den Ausbau eines großzügigen Verkaufsstandes für die Schwarze Kirche voran. Er soll auf dem Honterushof, im Nachbarhaus des „Café CH9“, entstehen. Wie letzteres wird auch er ein gemeindeeigenes Unternehmen. Die Konzeption des Ladens hatte weitreichende Diskussionen ausgelöst: Wie könnte ein Business nicht bloß christlicher Wirtschaftsethik gerecht werden, sondern auch evangelischen Geist vermitteln? Nun zwingt uns die Krise dazu, das Projekt zunächst hinter den Kulissen fortzuführen. Andere Vorhaben, wie das Projekt der ehrenamtlichen Kirchenführer, mussten wir diesmal aufgeben. Wir haben unseren Arbeitsplan revidiert. Jetzt steht die Sorge um die Gemeinde an erster Stelle.

Wegen des Coronavirus wurden in allen Kirchen die Gottesdienste abgesagt. Deshalb bieten die Kirchen aus der ganzen Welt immer mehr digitale Angebote wie Online-Gottesdienste an. Auch die Honterusgemeinde überträgt ihre Gottesdienste im Internet. Wie empfinden Sie diese plötzliche Umstellung?
Als blanke Provokation für unsere Kreativität. Die Herausforderung besteht weit weniger in den Hürden der Foto- und Filmtechnik als in dem Problem, die ermutigende und durchaus persönliche Erfahrung einer Glaubensgemeinschaft bei verschlossenen Toren zu gewährleisten. Wir machen uns Illusionen, wenn wir glauben, dass dies allein per Internet zu schaffen sei. Die Anstrengung, Antworten zu finden, lohnt sich aber. All die Formate, die wir jetzt testen und entwickeln, werden uns auch nach der Krise zur Verfügung stehen.

Ein per Internet übertragener Gottesdienst hat auch Nachteile, weil für viele ältere Mitglieder der Honterusgemeinde Facebook und Youtube als Kommunikationsmittel nicht selbstverständlich sind. Viele besitzen keinen Computer und kein Smartphone und befinden sich zurzeit in Isolation. Wie kann die Botschaft dieser Gottesdienste auch ältere Menschen erreichen?
Gerade für die älteren Menschen trägt das Pfarramt besondere Sorge. Es hat hier frühzeitig proaktiv reagiert. Pfarrerin Adriana Florea und ihr Team haben nicht erst die Telefonanrufe der Gemeindeglieder abgewartet, sondern selbst angerufen und neben seelsorgerlichen Gesprächen auch das Hausabendmahl angeboten. Besonderer Wert wurde darauf gelegt, dass die Osterausgabe des Gemeindebriefs unsere Mitglieder trotz logistischer Beschwernisse doch noch erreicht. Sie beinhaltet auch eine Anleitung zur Hausandacht, die speziell auf die bestehende Notsituation zugeschnitten ist. Aber wir müssen noch weiter denken. Wenn mir Zeit bliebe, hätte ich große Lust zu einem Postkartenmarathon, mit dem wir uns alle auf dem Postwege da-ran erinnern könnten, dass auch die Reformatoren in Krisenzeiten Geistreichtum und Mut zum Witz bewiesen. Auf die Postkarten könnten scharfsinnige Aussprüche ganz verschiedener, höchst eloquenter Reformatoren notiert werden, aber der Lorbeer der Beredsamkeit gehört natürlich Martin Luther: „Anfechtungen sind Umarmungen Gottes“. Oder: „Christen, die beten, sind wie Säulen, die das Dach der Welt tragen.“ Solche Glanzlichter sind jedem Menschen zugänglich. Man pinnt sie sich an die Wand, lässt sie in der Seele gerinnen und pinnt sie erst wieder ab, wenn die Druckertinte verblichen ist.

Die Honterusgemeinde hat nach Ausrufung des Notzustands in Rumänien auch eine Dringlichkeitstelefonnummer für die Gemeindemitglieder eingerichtet. Welche anderen Hilfsmaßnahmen wurden noch ergriffen?
Stadtpfarrer Christian Plajer, Pfarrerin Adriana Florea und unsere Diakoniestation arbeiten eng zusammen. Christiane Lorenz, Leiterin des Bereichs Diakonie, ist zwar bei ihrer Familie zuhause in Malmkrog, hat aber in Kronstadt gemeinsam mit Pfarrerin Adriana Florea ein Netzwerk der Fürsorge geschaffen. Alle Angestellten der Diakonie bleiben von zuhause aus mit ihren Betreuten in Verbindung. Andere haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter schwärmen aus und erledigen Einkäufe, holen Medikamente ab, bezahlen Rechnungen u. v. m. Tatsächlich fährt das Pfarramt in der Stille damit fort, essentielle Aufgaben mit gesteigertem Nachdruck wahrzunehmen.

Auch mit den jungen Gemeindemitgliedern wird anders kommuniziert. Findet jetzt auch der Konfirmandenunterricht oder der Kindergottesdienst online statt?
Online-Kindergottesdienste an sich gab es noch nicht – vielen Dank für die Idee! Aber unsere Konfirmandengruppe war bereits vor der Krise eng zusammengewachsen und trifft sich jetzt dienstags zum Online-Unterricht im Internet. Es geht natürlich auch darum, an den Unterrichtsthemen dran zu bleiben, aber noch bedeutsamer für die Gruppe sind die Beziehungspflege und dieses unbeschreibliche Gefühl, dass man zusammen ist, trotz Trennung. Dieselbe Form des Unterrichts wurde auch mit den erwachsenen Konfirmanden aufgenommen, und hier findet der Unterricht zweiwöchentlich statt. Auch die Jugendstunden werden vorläufig online gehalten.

Kommunikation ist für die Kirche ein zentrales Thema, weil es um die Kommunikation zwischen Gott und Menschen geht und auch um die zwischenmenschliche Kommunikation. Inwiefern kommuniziert die Kirche heute anders als beispiels-weise vor 20 Jahren?
Unsere Gemeinde ist längst nicht mehr so einheitlich wie vor zwanzig Jahren. Es gibt immer mehr engagierte Familien, in denen sich deutsches, rumänisches und/oder ungarisches Erbgut verbindet. Nicht wenige Rückkehrer wurden aufgenommen, die nach Jahren in Deutschland einen neuen Erfahrungsschatz einbringen; zu ihnen gehöre auch ich. Eine besonders begeisterte und geistvolle Gruppe sind die erwachsenen Konfirmanden, die aus unterschiedlichen Muttersprachen schöpfen. In den meisten „Gruppen“, etwa in der Krabbelgruppe, im Teenie-treff oder in den Chören, sind Gemeindeglieder gemeinsam mit Nichtgemeindegliedern tätig. All diese Menschen sind für die Verkündigung des göttlichen Wortes, so, wie es bei uns geschieht, viel mehr als nur aufgeschlossen. Gleichzeitig wächst das Bedürfnis nach Gottesdiensten und Andachten, die für die gesamte Familie geeignet sind und bei denen man in irgendeiner Form mitmachen kann. So werden im Austausch auch neue Veranstaltungsformate entwickelt. Darüber hi-naus verfügt die Gemeinde über eine riesige Berührungsfläche mit der Außenwelt. Im Jahr 2019 besichtigten erstmals mehr als 300.000 Menschen die Schwarze Kirche oder wohnten ihren Konzerten bei. Der Erwartungshorizont unseres Publikums ist innerhalb von zwanzig Jahren einem dynamischen Wandel unterlegen: Dank Internet verfügt man jetzt vorab über zahlreiche vage Informationen, sucht aber das echte Erlebnis. Brücken zwischen unserer Gemeinde und den heutigen Besuchern können gestiftet werden, wenn wir uns als Glaubensgemeinschaft authentisch zu erkennen geben und Gastfreundlichkeit einüben.

Vor wenigen Wochen haben Sie zusammen mit Dr. Ágnes Ziegler die Broschüre “Osmanische Teppiche in der Schwarzen Kirche” herausgebracht. Was können Sie uns über das Buch verraten?
Die hübsche Broschüre ist ein Eisenfäustchen im Samthandschühchen. Zuletzt hatte der Kronstädter Albert Eichhorn in den 1960er Jahren seriöse kulturhistorische Forschungen zu den osmanischen Teppichen Siebenbürgens vorgelegt. Von ihm erfuhren wir Grundlegendes über den Handel mit den Teppichen und ihre Nutzung in öffentlichen und privaten Räumen. Unser Buch ergänzt seine Forschungen durch Beantwortung zentraler Fragen: Warum und wie wurden die Teppiche an der Schwarzen Kirche benutzt? Und wieso blieben sie hier in so großer Zahl bis heute erhalten? Unsere Erkenntnisse beruhen zum Großteil auf den Quellenstudien von Ágnes. Nebenbei widerlegen sie die kuriosen Mutmaßungen einiger zeitgenössischer Teppichkundler. Zudem sind sie allgemein auf andere siebenbürgisch-sächsische Gemeinden übertragbar. Ja, das Buch ist wunderschön, elegant zu lesen und für jedes Bücherregal ein Schmuckstück. Aber es verfügt über einen Anmerkungsapparat, sodass es auch durch die Wissenschaft rezipiert werden kann. Und es bietet einen Ausblick darauf, wie die neuen Publikationen der Schwarzen Kirche in der Zukunft aussehen könnten.

Alle Veranstaltungen in der Schwarzen Kirche, darunter auch Konzertreihen mit internationalen Gästen, wurden vorerst abgesagt. Planen Sie schon die Veranstaltungen für den Sommer und Herbst? Oder ist es noch zu riskant, etwas zu planen?
Diese Apfelbäumchen sind längst gepflanzt, und nur wenn der Sturm bleibt, kann er sie entwurzeln. Zwischen Mai und August sind außer den Konzerten des Orgelsommers noch immer beinahe zwanzig Veranstaltungen mit Musik geplant, und am 7. Juni sollte unser beliebtes Gemeindefest stattfinden! Wir sind lutherisch standhaft; wir stehen hier und können nicht anders und wollen die Hoffnung noch gelinde hegen, dass das alles stattfinden kann.

Die Schwarze Kirche bietet interessante Programmangebote für Kinder und Jugendliche, wie zum Beispiel das Angebot für ehrenamtliche Kirchenführer. Welche anderen Initiativen gibt es, um junge Leute für die Kirche zu begeistern?
Wer wünscht sich nicht eine Gemeinschaft, die für den Einzelnen Raum schafft, damit er Kraft schöpfen und wachsen kann? Unsere Gemeinde bietet Räume, in denen jedes Alter und jedes Temperament Lebensqualität und Geborgenheit in Gott finden kann. Wir möchten Kinder und Jugendliche auch außerhalb des Religionsunterrichts für den Glauben begeistern und erfahren lassen, wie er im Alltag lebbar ist. Bereits in der Krabbelgruppe machen die Jüngsten auf spielerische Weise Bekanntschaft mit Gesang und Gebet. Wir feiern zahlreiche Kindergottesdienste. Unser zweistufiger Kinderchor bereichert viele Gottesdienste und Feiern. Innerhalb der letzten Jahre haben wir das Angebot für Kinder zwischen neun und zwölf Jahren dadurch erweitert, dass wir eine Jungschar aufgebaut haben. Seit mehreren Jahren fahren wir mit Kindern aus unserer Gemeinde in das Ferienheim in Techirghiol am Schwarzen Meer. Jedes Mal gibt es dort heitere Bibelarbeiten, gemeinsames Singen und viele Spiele. Wir erleben dabei ein Zusammenwachsen der Generationen, das sich anschließend auch auf die Atmosphäre in der Schule positiv auswirkt. Immer freitags treffen sich die Teenies. Noch bevor sie das Konfirmandenalter erreichen, bilden sie eine lebendige Gemeinschaft, sodass sie nach der Konfirmation auch in unserer Jugendgruppe zusammenbleiben wollen. Diese älteren Jugendlichen treffen sich freitag-abends. Legendär geworden sind die Gottesdienste, die sie für den zweiten Advent, für die Osternacht und für Pfingsten selbst vorbereiten. Dabei erleben sie dann auf natürliche Weise: Ich bin Teil einer evangelischen Gemeinschaft, ich übernehme darin Verantwortung und ich bin angekommen.

Wir danken für das Gespräch!