„Den Mut haben, anders zu sein“

Ein Gespräch mit Generalinspektorin Alexandra Tudor

Foto: privat

Alexandra Tudor ist Generalinspektorin für Deutsch als Muttersprache in der Minderheitenabteilung des Bildungsministeriums, deren Leiter Dr. Alexandu Szepesi ist, und Vizepräsidentin des Deutschlehrerverbandes Rumäniens. Frau Tudor besuchte die Klassen I-VIII der Deutschen Schule aus Zeiden/Codlea und hat anschließend das Johannes-Honterus-Nationalkolleg abgeschlossen. Es folgte die Fakultät für Europastudien in deutscher Sprache an der Babe{-Bolyai-Universität in Klausenburg, dann ein Germanistik- und Anglistikstudium an der Kronstädter Transilvania-Universität und zeitgleich ein Masterstudium in Deutscher Philologie.

Das folgende Interview hielt Gerold Hermann mit ihr per E-Mail.


Frau Tudor, wir wollen natürlich Details über ihre Arbeit im Unterrichtsministerium erfahren. Ich möchte aber mit eher persönlichen Fragen beginnen: Woran erinnern Sie sich aus Ihrer Schulzeit?

Ich denke immer gern an die Zeit zurück, an den Unterricht, an meine Lehrkräfte, meine Aktivität im Kinderchor der evangelischen Kirche und aus der Theatergruppe. Ich war immer sehr aufmerksam während des Unterrichts, damit ich zu Hause nicht mehr zu lernen hatte und Zeit für Lesen und für außerschulische Aktivitäten bleibt. Meine Mutter dachte dauernd, dass ich durchfallen werde, da sie mich nie beim Lernen sah. Stattdessen kam ich immer mit guten Noten nach Hause – sie wundert sich immer noch darüber. Meine Eltern sprechen kein Deutsch, somit musste ich mir in der Kindheit selber helfen – und das war mein Glück, denn das hat mich autonom gemacht.

Dann folgten Europastudien...

Ja, ich habe das Studium in Klausenburg absolviert, und es sollte ein Job in diesem Bereich in Bukarest folgen. Ich hatte schon einen gefunden, doch der Gedanke, dass ich jeden Tag acht Stunden im Büro verbringen soll, hat mich dazu gebracht, mich umzuentscheiden. Ich muss jetzt darüber lachen, denn nun erledige ich vorwiegend Büroarbeit... Damals hatte ich jedoch das richtige Gefühl.

Büroarbeit, aber für das deutschsprachige Unterrichtswesen. Wie kam es zum Schwenk?

Meine Mutter hat sich immer gewünscht, dass ich Lehrerin werde, ich mir nie. Ich habe aber als frische Uniabsolventin Helmut Wagner getroffen, den damaligen Leiter der Honterusschule. Als er gehört hat, dass ich etwas Neues suche, meinte er, ich solle den Lehrberuf ausprobieren, denn er würde zu mir passen. Ich war skeptisch, dann habe ich angefangen, Geschichte und Geschichte der Deutschen Minderheiten in Rumänien zu unterrichten. Und tatsächlich, schon in der ersten Woche wusste ich, dass ich der richtige Mensch am richtigen Ort war, nämlich in der Schule. Meine wahre Liebe war jedoch Deutsch. Und so habe ich zwei Jahre lang Geschichte unterrichtet und parallel am Bachelor und Master gearbeitet. Es folgten zwei Jahre Biologieunterricht mit halbem Deputat an der Honterusschule und der Abschluss des Studiums.

Sie konnten so das deutschsprachige Schulsystem aus ganz verschiedenen Perspektiven kennenlernen.

Und das war noch nicht alles! Ich habe auch am Deutschen Kulturzentrum Kronstadt Deutsch als Fremdsprache unterrichtet. Hier wurde mir die Möglichkeit geboten, am Grünen Diplom des Goethe Instituts teilzunehmen. Es hat zwei Jahre gedauert, bis ich mit diesem Bereich vertraut war. Ich musste wieder richtig lernen, an Präsenzseminaren teilnehmen, Klausuren und Hausarbeiten schreiben, hospitieren… und bei mir musste hospitiert werden. Es hat mir sehr viel gebracht.

Sie haben also auch Erfahrungen in der Erwachsenenbildung...

Ja, am Deutschen Kulturzentrum hatte ich vor allem Erwachsenenkurse. Ich war meistens die jüngste Person im Kurs. Im staatlichen System konnte ich mich nämlich in Zeiden als Lehrkraft für Deutsch als Fremdsprache verbeamten lassen. Um ein volles Deputat zu haben, musste ich auch  zwei Jahre lang im Gefängnis unterrichten. Das war eine Erfahrung! Wir haben dann im Lyzeum Klassen mit Deutsch intensiv eingeführt, und so verwandelte sich ein Deputat, das kaum da war, in zwei.

Aus Zeiden kamen Sie dann nach Bukarest?

Nein. Als ich gefragt wurde, ob ich mit vier Stunden Deutsch an der Honterusschule aushelfen kann, habe ich natürlich ja gesagt, es war eben meine Schule, mein Herz war immer dort. So wurden aus vier Stunden 20, und ich habe den Arbeitsplatz gewechselt. Für mich hat es sich angefühlt wie eine Rückkehr nach Hause. Ich war sehr glücklich dort.

Ich bin nie den bekannten und sicheren Weg gegangen. Ich habe immer alles anders als „normal“ gemacht, und das finde ich gut. Ich sage auch meinen Schülerinnen und Schülern immer: Wenn ihr Großartiges leisten wollt, dann müsst ihr lieben, was ihr tut und den Mut haben, anders zu sein. Es gibt eine Menge junge Menschen, die gute Noten haben, ein gutes Studium, intelligent sind usw. Was hebt euch aus dieser Menge hervor?

Dann doch ein Job in der Hauptstadt?

Ich habe mir gewünscht, im Unterrichtsministerium zu arbeiten aus einem Drang heraus, mich weiterzuentwickeln, aus Neugier, aber auch aus Gemeinschaftsgefühl. Ich bin dankbar für die Chancen im Leben, die mir die deutsche Schule gegeben hat, und damit meine ich nicht nur die Sprache.Ich habe die Werte der deutschen Minderheit kennengelernt und übernommen. Wir wurden ermutigt, eigene Meinungen zu haben, für was wir uns wünschen zu kämpfen, frei zu denken und vor allem wurde uns eine sehr gute Arbeitsethik vermittelt. Nicht zu unterschätzen sind die interkulturellen Kompetenzen, die wir während der Schulzeit entwickeln konnten.

Die jetzigen Schülerinnen und Schüler der Honterusschule, die Lehrkräfte und die Absolventen bilden eine starke Gemeinschaft, und wir setzen uns für unsere Schule ein. Das gilt für die meisten Schulen der deutschen Minderheiten in Rumänien. Ich hatte nun die Chance, der Gemeinschaft etwas zurückzugeben, und die habe ich ergriffen. Am 1. September 2020 fing ich meinen Job im CNPEE (Centrul Național de Politici și Evaluare în Educație) an.

Das war aber wohl nicht langfristig geplant?

Ich habe an einem Donnerstag die Zusage bekommen, und am Montag musste ich anfangen. Somit musste ich fast über Nacht nach Bukarest umziehen. Ich hatte keine Wohnung, war absolut unvorbereitet. Die ersten zwei Monate waren aus diesem Grund sehr schwer. Im CNPEE war ich für das Curriculum und alle Prüfungen der Fächer Deutsch als Muttersprache (DaM) und Deutsch als Fremdsprache (DaF) verantwortlich. Die Verantwortung war riesig. Ein kleiner Fehler in den Prüfungsthemen konnte verheerende Konsequenzen für alle Beteiligten haben.

Es war insgesamt eine facettenreiche Arbeit und deshalb bin ich sehr dankbar für den Einsatz meiner Kollegen aus dem ganzen Land, die in den Arbeitsgruppen sehr professionell, pünktlich und verlässlich sind. Sie nehmen diese Arbeit und große Verantwortung für das Wohl unserer Schülerinnen und Schüler der deutschen Schulen in Rumänien auf sich. Im CNPEE habe ich tolle Menschen kennengelernt. Profis! Intelligente, offene und erfahrene Menschen, von denen ich sehr viel gelernt habe.

Derzeit sind Sie Generalinspektorin für DaM in der Minderheitenabteilung des Bildungsministeriums, oder?

Ja, als dieser Beamtenposten veröffentlicht wurde, habe ich mich zur Prüfung gestellt und sie bestanden. Nur schweren Herzens habe ich das CNPEE verlassen, ich wollte es aber, da man von diesem neuen Posten aus deutlich mehr für DaM machen kann.

Also wieder ein neuer, sehr weiter Aufgabenbereich!

Seit Dezember 2021 bin ich verantwortlich für Deutsch als Muttersprache, für unsere deutschen Schulen und Abteilungen. Für diesen Job braucht man Durchsetzungsvermögen und Diplomatie. Fachkompetenzen allein reichen nicht aus, soziale Kompetenzen machen den Unterschied. Einige Tage sind schwieriger, aber ich fühle mich nicht allein. So wie ich unsere Lehrkräfte aus dem Land unterstütze, so fühle ich mich von ihnen unterstützt. Das ist auch für die Schulleiter gültig, für die Schulkommission des DFDR und für das ZfL. Eine große Hilfe ist auch unser Abgeordneter Ovidiu Ganț.

Wenn ich uns sage, meine ich vor allem Dr. Alexandru Szepesi, den Leiter der Minderheitenabteilung, und mich. Wir arbeiten im Ministerium sehr gut zusammen. Mit dem Goethe Institut habe ich Treffen von Arbeitsgruppen organisiert, ebenso Fortbildungen. Es verbindet uns auch ein Projekt zum Thema Antisemitismus. Ich arbeite auch gut und gern mit der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZfA) zusammen in Sachen Deutsches Sprachdiplom und „Jugend debattiert“.

Welches ist das Hauptproblem, mit dem Sie sich befassen müssen?

Heutzutage gibt es eine andere Einstellung. Wir haben keine Probleme mehr, wir haben „Herausforderungen“. Die größte Herausforderung ist mit Sicherheit das Einstellen von Lehrkräften, die auf Deutsch unterrichten. Hier hat das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien (DFDR) wesentlich mitgewirkt. Durch die Saxonia-Stiftung bekommen unsere Lehrkräfte eine Unterstützung, um den Lehrberuf auch finanziell attraktiv oder zumindest weniger unattraktiv zu machen.

Die Lehrbücher stellen eine weitere Herausforderung dar. Hier hat das Forum wiederum stark geholfen: Durch das Einstellen von Dr. Renate Klein als Lehrbuchbeauftragte, die diese Aktivität bewundernswert koordiniert und selbst ganz Beachtliches leistet. Es hat sich viel getan: Wir haben neue Lehrbücher für DaM und Modellsätze für die Vorbereitung auf die Prüfung am Ende der VIII. Klasse. Die Lehrbücher haben etwas auf sich warten lassen, sind aber dafür qualitativ hochwertig. Es folgt das Lehrbuch für die VIII. Klasse.

Alle Lehrkräfte, die am Erstellen, Übersetzen und Überprüfen der Lehrbücher mitgewirkt haben, haben meinen Dank und meine Bewunderung. Es ist eine sehr detailorientierte Arbeit, die viel Zeit und Geld beansprucht und fast ehrenamtlich ist. Meinen Dank haben auch die Lehrkräfte, die nach Bukarest reisen, um die Prüfungsthemen zu übersetzen. Auch dafür wird es immer schwieriger, jemanden zu finden.

Sie sprachen von viel Büroarbeit, vor der Sie vor Jahren geflohen sind. Wie ergänzen Sie diese Art von Tätigkeit?

Eine Priorität für mich ist der direkte Kontakt zu den Lehrkräften aus unseren deutschen Schulen und Kindergärten. Dafür habe ich eine Datenbank erstellt. Es ist wichtig für mich zu reisen und möglichst viele Kolleginnen und Kollegen kennenzulernen, zu erfahren welche Sorgen, Wünsche und Vorschläge sie haben. Aus diesem Grund habe ich die Fachkonferenz im September einberufen und werde sie auf Wunsch aller wieder organisieren.

Sie sind mit den geschilderten Aufgaben nun seit bald einem Jahr vertraut und ich erkenne erfreulich viel Optimismus in Ihren Ausführungen. Was fällt Ihnen am Schwersten?
Leider verlangt der Posten Opfer, was mein Privatleben betrifft, beruflich auch. Ich vermisse die Schule, im Moment unterrichte ich vier Stunden pro Woche, das ist mir aber nicht genug. Es ist wichtig den direkten Kontakt mit den Schülern zu behalten, ich bin in erster Linie Lehrerin, das ist mein Beruf, das ist meine Leidenschaft. Ich kann aber mit Sicherheit sagen, dass ich die Entscheidung im Bildungsministerium zu arbeiten nicht bereue. Ganz im Gegenteil! Wenn man Fortschritte sieht, motivieren diese einen, weiter zu gehen. Unsere Schulen, alle Beteiligten, sind die Mühe wert!

Vielen Dank für Ihre ausführlichen Darstellungen!