Deportationen und Widerstand

Die 14. Ausgabe der Sommerschule in der Gedenkstätte für die Kommunismusopfer in Sighet

Respekt zollte den 62 Schülerinnen und Schülern sowie 40 Geschichtslehrern Dr. Hubertus Knabe, der Leiter der Gedenkstätte in Berlin-Hohenschönhausen. Hunderte Vorträge habe er gehalten, noch nie wurden ihm danach in der Diskussion zweieinhalb Stunden lang Fragen gestellt. Seine Präsentation war am sechsten und letzten Tag der von der Stiftung Academia Civicã veranstalteten Sommerschule anberaumt. Fünf Tage mit Vorträgen und Veranstaltungen, die von 9 Uhr morgens bis spät abends dauerten, waren vorangegangen. Die an der jüngsten Geschichte des Landes interessierten jungen Leute und ihre Lehrer zeigten weder Verdruss, was die Thematik angeht, noch Müdigkeit und saßen statt an irgendeinem Strand im überhitzten Konferenzraum in der Gedenkstätte für die Opfer des Kommunismus und des Widerstands in Sighetul Marmatiei. 

Die Schüler und Lehrer kamen aus dem ganzen Land sowie der Republik Moldau. Die Schüler waren aufgrund eines Essays ausgewählt worden, in dem sie sich Tagebuchseiten aus dem Jahr 2021 vorstellen mussten, die teilnahmewilligen Lehrer hatten einen Lektionsplan zum Thema Deportation einsenden müssen. Die Sommerschule endet mit dem Prüfen der angeeigneten Kenntnisse, die aktivsten Schüler und Lehrer werden prämiert. Ebenfalls teilgenommen haben an der heuer zum 14. Mal ausgetragenen Veranstaltung zwei Südkoreanerinnen, ehemalige Studentinnen in Rumänien, sowie an der Problematik interessierte Gäste. Die diesjährige Sommerschule fand erneut in Zusammenarbeit und dank Förderung durch die Konrad-Adenauer-Stiftung sowie das Bildungsministerium statt und wurde von den Botschaften Frankreichs und Polens unterstützt. 

Die im Rahmen der Schule gehaltenen Vorträge und Diskussionsbeiträge werden jeweils in Buchform veröffentlicht (mit weiterer Förderung durch die Adenauer-Stiftung, die dies seit 1998 tut.) Zur Erinnerung: Die Gedenkstätte im einstigen Gefängnis in Sighet ist von der Dichterin und Bürgerrechtlerin Ana Blandiana ins Leben gerufen worden, das Projekt steht seit 1995 unter der Schirmherrschaft des Europarates. Rektor der Sommerschule ist Stéphane Courtois (der Autor des Schwarzbuchs des Kommunismus), die Moderatoren der Veranstaltung sind Ana Blandiana und Romulus Rusan, der Leiter des Internationalen Kommunismus-Forschungszentrums (Centrul International de Studii asupra Comunismului), aus dem die Gedenkstätte hervorgegangen ist.

Die Deportationen

Das Hauptthema der diesjährigen Sommerschule waren die Deportationen kommunistischer Regimes, wobei es sich sowohl um Zwangsumsiedlungen als auch um Verschickung in Arbeitslager handelte. Vorgestellt wurde zunächst die Ausstellung „Schwarze Pfingsten: die Bãrãgan-Deportation“, die das Internationale Kommunismus-Forschungszentrum erarbeitet hat. Sie war im Mai im Dorfmuseum in Bukarest zu sehen und ist nun in der Gedenkstätte eingerichtet. Das Thema Bãrãgan-Deportation ist durch Vorträge von Smaranda Vultur, Viorel Marineasa und Miodrag Milin aus Temeswar/Timisoara vertieft worden. Anhand von Präsentationen von Mariana Tãranu und Ion Varta (beide Chisinãu) und Elena Siupiur (Bukarest) wurden die Deportationen der rumänischen Bevölkerung aus Bessarabien 1940 – 1941 sowie 1949 thematisiert. Dumitru Sandru (Jassy/Iasi) sprach über die Flucht von rumänischen Familien aus Bessarabien und der Nordbukowina nach Rumänien und ihre nach Kriegsende angeordnete Rücksiedlung in die UdSSR. 

Die Erforschung mittels oral history der Deportation von Sathmarschwaben in sowjetische Arbeitslager im Januar 1945 präsentierte Doru Radosav (Klausenburg/Cluj), die Deportation der Rumäniendeutschen zur Aufbauarbeit aus historischer Sicht stellte die Verfasserin dieser Zeilen vor, die Stimmung in den deutschen Gemeinschaften vor und nach den Aushebungen schilderte Anneli Ute Gabanyi (Berlin) anhand des Romans von Erwin Wittstock „Januar 1945 oder Die höhere Pflicht“. Auf die Zwangsumsiedlungen in der ehemaligen DDR ging Helmut Müller-Enbergs in seinem Vortrag ein. Der Forscher an der Stasi-Unterlagen-Behörde (auch als Gauck-Behörde bekannt) berichtete über die Aktion „Ungeziefer“ im Jahr 1952, als 9000 Personen aus dem Grenzgebiet zum kapitalistischen „Westdeutschland“ auf LKWs geladen und ins Innere der DDR gebracht worden sind, weil doch im Grenzgebiet nur staatsloyale Bürger wohnen durften. Sie hatten nur wenige Stunden Zeit zum Packen gehabt und durften ihren Heimatort nie wieder besuchen. Eine zweite Deportationswelle, von der rund 3000 Bürger betroffen waren, fand im Oktober 1961 statt, vier Wochen nach dem Bau der Berliner Mauer.

Das totalitäre System

Das Ziel der Sommerschule ist es, den jungen Leuten und den Geschichtslehrern Informationen aus der Zeit des Kommunismus in Rumänien zu vermitteln, sie darüber hinaus aber auch mit der Aufarbeitung von totalitären Systemen vertraut zu machen. In das allgemeine Thema Lager eingeleitet hatte Stéphane Courtois (Paris) mit seinem Vortrag über die Konzentrations- und Exterminierungslager als zentrales Phänomen des 20. Jahrhunderts. Dragos Petrescu, der Vorsitzende des Rats für das Studium der Securitate-Akten, sprach über Lustration, Versöhnung und Erinnerung und zu diesem Thema gab es auch ein Rundtischgespräch mit Cristina Petrescu (Bukarest) und Monica Ciobanu (University Plattsburgh) im Panel. Erfahren haben die Sommerschulteilnehmer vom Jassyer Historiker Alexandru Zub, welche rumänischen Historiker im Gefängnis gesessen haben. Vorträge hielten fernerhin u. a. Aleksander Hall (Warschau) über die Rolle der katholischen Kirche im Kampf gegen den Kommunismus in Polen, Vartan Arachelian (Bukarest) über die Bolschewisierung der armenischen Gemeinschaft in den Nachkriegsjahren und Silviu Moldovan (Bukarest) sprach über George Manu und den Prozess gegen sogenannte Saboteure – Unternehmer, Ingenieure, hohe Militärangehörige –, der in die rumänische Geschichte als „Procesul Marii Finante“ eingegangen ist. 

Am ersten Tag der Sommerschule wird selbstverständlich das Museum besichtigt. Das Gesehene und Erfahrene brachten die Schüler und Lehrer in dem vom bekannten Künstlerehepaar Lia und Dan Perjovschi geleiteten Workshop in Worte und Zeichnungen auf ein Blatt Papier. Im Gefängnisraum wurde an einem der Abende der von Helmuth Frauendorfer gedrehte Streifen über die rumäniendeutschen Schriftsteller im Fadenkreuz der Securitate (mit rumänischer Untertitelung) gezeigt. In ihm wird die Aktionsgruppe Banat und ihr literarisches Wirken in den endsiebziger und Anfang der achtziger Jahren gezeigt, die Lage der rumäniendeutschen Literaten in den Fünfzigerjahren hatte der Schriftsteller Hans Bergel vorgestellt. Präsentiert wurde desgleichen der Streifen über die Gefängnisjahre des Klausenburger Psychologen Nicolae Mãrgineanu, den sein gleichnamiger Sohn gedreht hat.

Die Gedenkstätte

Dieses Gefängnis in dem schwer zu erreichenden Grenzort Sighet wurde von der Stiftung Academia Civic² als Sitz der Gedenkstätte ausgewählt, weil hier zahlreiche Politiker der Zwischen- und unmittelbaren Nachkriegszeit zu Tode kamen. Das in den letzten Jahrzehnten der kommunistischen Ära nicht mehr genutzte Gebäude wurde aufwändig renoviert und beherbergt eines der sachlichsten und am besten gestalteten Museen des Landes. Dargestellt sind in den auf drei Etagen angeordneten Zellen die Schlüsselereignisse der kommunistischen Diktatur in Rumänien, eingebettet ist die Schilderung in den internationalen Kontext. 

Anhand von Fotos, Urkunden, Landkarten, Objekten und zahlreichen Tonbandaufzeichnungen erhält der Besucher Informationen über die Wahlen 1946, die Zerstörung der demokratischen Parteien, die Kollektivierung der Landwirtschaft, die Gründung und Geschichte der Securitate, die Repression gegen die Kirchen, die Zwangslager und vieles mehr. Auf Landkarten sind die Orte eingezeichnet, in denen es Gefängnisse, Arbeitslager oder psychiatrische Anstalten gab, in die jene eingeliefert wurden, die es wagten aufzumucken, und Orte, wo Widerständler einfach hingerichtet wurden. All jene, die es nicht bis nach Sighet schaffen und das Museum besichtigen möchten, können das über die Webseite www.memorial-sighet.ro tun.