Der Gang zum Vater

Die fundamentale Frage unserer irdischen Existenz lautet: „Wozu leben wir auf Erden?“ Die alten Griechen, die geistig sehr regsam waren, wussten keine befriedigende Antwort darauf. Sie sahen nur, dass das Leben mit dem Tod endet. Deshalb war für sie der Tod ein furchtbares Schreckgespenst, das sie in der Sage vom „Haupt der Medusa“ verkörperten. Diese Medusa war, laut einer Sage, die einzige sterbliche Tochter des Meeresdämons Phorkys. Ihr wurde von Perseus der Kopf abgeschlagen und nun war in diesem Haupt eine todbringende Kraft. Wer dieses Haupt anblickte, wurde sofort zu Stein. So wurde das Haupt der Medusa zum Symbol der Todesfurcht.

Welche Antwort geben wir Christen auf die fundamentale Frage unserer irdischen Existenz? Die Antwort darauf legt uns Christus in den Mund im Gleichnis vom „verlorenen Sohn“. Nach einem Leben in Jux und Lust landet dieser als Schweinehirt im Elend. Aber er verzweifelt nicht. Vor seinem Geistesauge erscheint das gütige und verzeihende Antlitz des Vaters. So rafft er alle Kraft zusammen und macht sich auf den Weg zum Vater. Das ist die Antwort des gläubigen Christen auf die Frage nach seiner irdischen Existenz: Er ist ein Pilger auf dem Weg zum Vater! Das muss auch unsere Überzeugug sein, soll unser Lebensweg nicht mit dem zu Stein werdenden Blick auf das Haupt der Medusa enden.

In der Haydn-Messe singen wir: „Wohin soll ich mich wenden, wenn Gram und Schmerz mich drücken?... Zu Dir, zu Dir, o Vater, komm ich in Freud und Leiden!“ Wohl uns, wenn wir diesen Weg wählen. Der hl. Papst Gregor der Große (540-604) mahnt uns: „Es kann nicht nach dem Tode zu Gott hingezogen werden, wer durch ein schlechtes Leben von Gott fortgezogen ist!“

Die hl. Birgitta von Schweden (1303 – 1373) war Mutter von acht Kindern und wurde eine der größten Visionärinnen der Kirche. Es wurden über 600 ihrer Visionen aufgezeichnet. In einer Vision sprach Christus zu ihr: „Ich mache es wie ein Glasbläser. Wenn ihm auch viele Gefäße brechen, so hört er deswegen doch nicht auf, neue zu machen, bis die Zahl der Gläser voll ist. Obwohl viele Menschen, die ich mir zu Gefäßen der Gnade bilden wollte, mein Werk durch ihr Sündenwerk zerbrechen, so bilde ich mir immer wieder neue, bis die Wohnungen meines Vaters alle voll sind!” Es hängt von uns ab, ob wir uns zu Gefäßen der Gnade bilden lassen oder ob unser Leben als Scherbenhaufen endet.

Im Gleichnis vom verlorenen Sohn wartet der Vater auf die Heimkehr des in die Irre gegangenen Sohnes. Dieses Warten des Vaters unterstreicht eine Inschrift unter einem Kreuz in den Bergen: „Schwer lässt Gott vom Menschen ab, für den er Blut und Leben gab. Gott tut auf niemanden Verzicht, verwirft der Mensch sich selber nicht!”

Ein Kapitän hatte mit seinen Matrosen Schiffbruch erlitten. Er stieg mit seiner Mannschaft ins Rettungsboot. Es war aber finstere Nacht. Ringsum wogte das stürmische Meer. Da sah der Kapitän einen Dampfer. Nur mit einem Lichtzeichnen konnten sich die Schiffbrüchigen bemerkbar machen. Sie hatten aber in einer Schachtel nur ein einziges Zündholz. Davon hing ihre Rettung ab. Mit größter Vorsicht, mitten im Wind, gelang es, das Streichholz zu entzünden. Das Signal wurde bemerkt. So wurden die Schiffbrüchigen gerettet.

Wir sind auf dem stürmischen Meer des Lebens. Gott wird uns nur bemerken, wenn wir das Lichtlein unseres Glaubens entzündet haben. Dieses Licht zeigt uns den rettenden Weg zum Vater. So kann uns keine Medusa versteinern. Unser Gang durch das Leben findet sein Ziel in den rettenden Armen dessen, zu dem wir täglich beten: „Vater im Himmel!“