Der Kampf um die Milch

An den Milcherwerb verschwendete ich lange Zeit keinen Gedanken mehr. Nachdem ich einmal meine Lieblingsmarke im Tetrapack herausgefunden hatte (eine Marke, die eine psychedelische Kuh in Monochrom auf der Packung hat – ich kann Kühen in Monochrom nicht widerstehen), ging ich beim wöchentlichen Einkauf in den Supermarkt, Milch in den Korb, ein Automatismus wie Zähneputzen, Haarewaschen oder Vorfahrt schneiden im rumänischen Straßenverkehr.

Seit einiger Zeit ist es mit der Idylle vorbei. Kann sein, dass die Firma die Tetra-Pack-Verschließmaschine umgestellt hat, kann sein, dass es sich um einen raffinierten Marketingtrick der Werbeabteilung handelt, die Kampf für das Produkt inszenieren möchte, jedenfalls muss neuerdings das Öffnen der Packung ähnlich strategisch geplant werden wie die Schlacht von Marengo.

Milchpackungen öffnen geht im Idealfall so: Man dreht den Verschluss auf, zieht an der Lasche, die die Milch luftdicht versiegelt, fertig. Die erste Packung, die mir erbitterten Widerstand leistete, erwischte ich vor einigen Wochen. Ich zog an der Lasche – nichts, ich zog stärker – nichts, ich zog fluchend – die Lasche riss. Irgendwie gelang es mir, die Packung mit Hilfe eines gerundeten Kartoffelschälers aufzukriegen, aber nach dem frühzeitigen Tod des dritten Kartoffelschälers beschloss ich schweres Geschütz aufzufahren.

Im Baumarkt besorgte ich mir einen Presslufthammer und eine Kreissäge. Die Kreissäge erwies sich als untauglich, da sie sich nicht genau genug in die 0,5 mm einfügte, die die Milchfirma in der Packung freigelassen hatte. Der Presslufthammer brach beim ersten Versuch – ich hatte ein Billigmodell erwischt. Nach kurzer Beratung mit den Arbeitern der Gaswerke, die im letzten Monat zum fünfzehnten Mal die Leitung vor meinen Haus aufstemmten, entschloss ich mich für das Premiummodell, mit dem man außer Straßen noch Bunker und Panzerschränke aufkriegte. Ich mietete einen Anhänger für das Wunderwerk, vier Freunde halfen mir beim Hochtragen, ich setzte den Hammer in Gang, unter ohrenbetäubendem Krach fraß er sich durch die Wand der Milchpackung, um nach 10 Sekunden in ihr festzustecken. 

Langsam keimte ein Verdacht in mir auf. Kann es sein, dass das amerikanische Militär geheime Versuchsbasen in unserem Land...? Der Verdacht erhärtete sich, als ich die letzten Packungen einem befreundeten Offizier übergab. Sie war kugelfest, handgranatenfest, mörserfest und selbst die Geheimwaffe des rumänischen Militärs, der Bohneneintopf, konnte sie nicht knacken.

Nach dieser mehrere Monate währenden Odysee, in der mich die Dutzenden Milchpackungen hämisch anfunkelten, beschloss ich einen letzten Versuch zu wagen. Ich kaufte eine weitere Packung, drehte sie auf, zog mit aller Kraft an der Lasche, die Packung ging auf, viel zu leicht, meine Person und die Küche schwammen selig in Milch, aber sie war aufgegangen. Sieg auf ganzer Linie, brüllte ich, goss mir ein Glas ein, kippte es ohne Luft zu holen herunter und... Der Arzt, der mich danach behandelte, schüttelte nur tadelnd den Kopf: „Wie kann man aber auch mit Laktoseintoleranz eine ganze Packung Milch hinunterkippen...?!“