Der Künstler A.I.

Ein von mir verfasster Text – oder doch nicht?

Mechanische Taube, generiert von Midjourney | Quelle: Wikipedia

Landschaft | Generiert von R. Pârvu mit Hilfe von Night Cafe Studio

In einer Wissensgesellschaft ist es wichtig, dass möglichst viele Menschen Zugang zu Informationen und Bildung haben. Denn je mehr Menschen wissen, desto besser können sie ihr Leben gestalten. Wissen ermöglicht Selbstermächtigung – es gibt Menschen die Möglichkeit, selbstbestimmt zu handeln und ihre Lebensumstände zu verbessern. Bildung ist daher ein wesentlicher Baustein für eine freiheitliche Gesellschaft. In einer Demokratie ist es wichtig, dass möglichst viele Menschen an der politischen Willensbildung beteiligt sind. Je mehr Menschen wissen, desto besser können sie entscheiden, welche Partei oder welcher Kandidat für sie die beste Wahl ist.

„Das Internet“ schreibt meine Texte 

Dieser Einleitungsabsatz stammt, zugegeben, nicht aus meiner Feder. Doch hat die „Erschaffung“ dieses Textes weniger als fünf Minuten gedauert. Man könnte meinen, fünf Minuten für die paar Worte (genauer gesagt 90 Worte) ist doch ein wenig viel. Diese 90 Worte sind aber nur die ersten beiden Absätze eines Textes von 1062 Wörtern und es hat fünf Minuten gedauert, um diesen Text zu Papier zu bringen.  

Das Rezept ist einfach. Man öffne auf dem eigenen Computer, Laptop, Tablet oder Handy die bevorzugte Suchmaschine (in diesem Fall war es Google). In den Suchbalken trägt man ein: „kostenloser A.I. Textgenerator Deutsch“. In ein paar Sekunden, die Dauer kann entsprechend der zur Verfügung stehenden Internetverbindung variieren, steht eine Liste mit empfohlenen Links zur Verfügung. Man wähle den ersten. In dem hier beschriebenen Fall war es neuroflash.com. In weniger als zwei Minuten, in denen man die angeforderten Schritte befolgt, hat man sich registriert, ein Konto erstellt und dieses auch bestätigt. Als nächsten Schritt wählt man die Sprache aus, in der geschrieben werden soll. Danach muss man angeben, welche Textgattung man haben möchte. Die Auswahl ist nicht gering, sie reicht von „E-Mail“ bis „Buch schreiben“ (in diesem Fall entschloss ich mich für „Blog Artikel“). Das bisher Beschriebene war der schwierigere Part. 

In den nun zur Verfügung gestellten Reitern gibt man die Begriffe ein, zu denen ein Text verfasst werden soll (in meinem Fall fiel die Wahl auf die Begriffe: „Wissen“ und „Freiheit“) Drei Klicks und drei 12-sekündige Wartezeiten später steht einem ein fertiger Text zur Verfügung. Der Text hat einen Titel, einen Untertitel und eine vorgeschlagene Struktur. Die verschiedenen Unterthemen werden angegeben und sind auch einzeln abrufbar.

Damit sind aber die Möglichkeiten noch längst nicht erschöpft. Um den Text so zu erhalten, wie man es sich wünscht, kann man sich für den Ton, besser gesagt den Stil desselben, entscheiden. Unser Einleitungsabsatz wurde „positiv“ formuliert. Wechselt man auf die Option „witzig“, wird innerhalb von zwanzig Sekunden der vorhandene Text wie folgt umformuliert: 

Wissen ist eine der mächtigsten Waffen, die es gibt. Es gibt uns die Freiheit, unsere eigenen Entscheidungen zu treffen und unser Leben in die Hand zu nehmen. Wissen ist auch der Schlüssel zur Selbstermächtigung – denn je mehr wir über uns selbst und die Welt um uns herum wissen, desto besser können wir handeln und desto selbstbewusster können wir agieren. Wissen ist also ein unglaublich mächtiges Gut – aber leider ist es keines, das sich von allein vermehrt. Umso wichtiger ist es also, dass wir an unserem Wissensstand festhalten und stetig weiter verbessern. Denn nur so können wir unsere Freiheit und unser Potenzial voll ausschöpfen und unser Leben so leben, wie wir es uns erträumen. 

In beiden Fällen bin ich nicht für den Wortlaut, Rechtschreibung, Interpunktion usw. verantwortlich. Die Texte habe ich einfach nur mit Copy-Paste übernommen.  

Auch wenn als kostenlos angepriesen, sind die kostenlos zur Verfügung stehenden 2000 Worte schnell aufgebraucht, denn das Spielen mit den Begriffen und die Neugierde machen Spaß. In der Demoversion sind alle sogenannten A.I.-Textgeneratoren kostenlos. Die entsprechenden Abonnements, die alle zur Verfügung gestellten Optionen freischalten, reichen von etwa 30 Euro pro Monat bis zu fast 200 Euro pro Monat für die Profi-Varianten.

 Es wird niemanden wundern, dass über andere Anbieter, nach gleicher oder ähnlicher Rezeptur, das „Erschaffen“ von Bildern ausgehend von eingetippten Begriffen möglich ist. Diese Möglichkeit ist sogar schon länger auf dem Markt als die der Textgenerierung, gewann aber in den letzten beiden Jahren an Bekanntheit durch die verstärkte Anwendung in den verschiedenen sozialen Medien.

Glück im Unglück oder andersherum

„Irgendwie ist eine gewaltige technologische Revolution, vergleichbar mit nur zwei oder drei anderen derartigen Revolutionen in der Geschichte der Menschheit, in unser Leben eingedrungen. Wir sind eine glückliche und eine unglückliche Generation, denn es ist sowohl ein großes Glück, Zeitgenosse so vieler Veränderungen zu sein, aber auch ein großes Unglück“, erklärte der Schriftsteller Radu Vancu in einem Interview für sunmedia.ro am 8. Januar 2023.

Wir erfahren immer wieder, dass wir kaum beginnen zu erahnen, welche Tore uns in der Zukunft die künstliche Intelligenz, gewöhnlich mit dem Kürzel A.I. (artificial intelligence) umschrieben, eröffnen wird. Die Vorteile, die der Nachahmung menschlicher Fähigkeiten entspringen können, werden uns mit Sicherheit in den nächsten Jahren überraschen. Wobei die Entwicklung vielleicht schneller sein wird, als wir manchmal mitkommen können. Es wird mit Sicherheit nicht mehr die Jahrzehnte brauchen, die verstrichen sind, seit Gari Kasparow zum ersten Mal gegen DeepBlue, dem von IBM dafür gebauten Computer, eine Schachpartie verlor, bis zu dem „next big thing“.

Die alte Debatte: Mensch vs. Maschine in neuen Kleidern

Aber kommen wir zu der Problematik der A.I.-generierten Texte und Bilder zurück. Es wird mit Sicherheit für so manchen Lehrer in den nächsten Jahren schwierig werden, zwischen einem vom Schüler und einem A.I.-generierten Essay zu unterscheiden. Mit den zurzeit schon vorhandenen Möglichkeiten bleibt die direkte Übernahme von Wikipedia-Texten eine Option, die von einem nicht zu schlauen Schüler- oder Studentenköpfchen zeugt. Auch so mancher Online-Artikel-Leser wird sich nicht mehr sicher sein, ob der ihm vorliegende Artikel wirklich der Gedankenwelt des signierenden Autors entstammt oder ob dieser anhand von einigen Schlüsselbegriffen online generiert wurde. Denn daraus besteht das Angebot: „Wir helfen, konstant qualitativ hochwertige Texte für Ihre unterschiedlichsten Bedürfnisse zu verfassen.“ 

Ob sich dieses aber auch auf die Welt der Kunst übertragen lässt, wage ich zu bezweifeln. Eine der wichtigsten Eigenschaften der Kunst ist ihr ständig wandelbarer Charakter. Die Kunst erkennt die Welt, nimmt sie in sich auf, macht sie sich mit all ihren technischen Möglichkeiten zu eigen und erschafft daraus etwas Neues. Dieses ewig Neue wird auch weiterhin menschliches Schaffen von A.I.-generiertem Inhalt abheben. Das Konzept der sogenannten „A.I.-Generatoren“ besteht darin, dass massenweise Inhalte in diese eingespeist werden, die diese dann anhand von vordefinierten Algorithmen nach Bedarf zusammenfügen. Im Endeffekt wird aber nichts Neues geschaffen, sondern Vorhandenes nach Bedarf kombiniert. Noch nie dagewesene Wortkonstruktionen zum Beispiel, die der Literatur zu eigen sind, müssen ihrerseits erst eingespeist werden, um der A.I. die Nutzung derselben zu ermöglichen.

Andererseits liegt die Bewertung A.I.-generierter Inhalte oder menschlichen Schaffens, wie immer schon für die Kunst gültig „in den Augen des Betrachters“.

Eine weltweite Debatte dazu entbrannte, als Jason M. Allen einen Kunstwettbewerb in Colorado/USA mit einem A.I.-generiertem Bild gewann. „A.I. hat gewonnen. Der Mensch hat verloren“ erklärte er am 2. September 2022 für die New York Times. Sein Bild „Théâtre D’opéra Spatial“ hatte er als „Jason M. Allen via Midjourney“ signiert und da-durch auch bekannt gemacht, dass er das Programm Midjourney, welches wie beschrieben Worte und Begriffe in Bilder verwandelt, benutzt hatte. Trotzdem hatte die Jury beschlossen, ihm den Preis für digitale Nachwuchskünstler zu verleihen.

Die Stimmen gegen die mit Mitteln der A.I. generierten Kunst waren dennoch unglaublich laut. Die Apokalypse der Kunst, der Untergang menschlicher Schaffensfreiheit, war eingetreten. Wie in „Terminator“ war die Machtübernahme durch die Roboter schon erfolgt, nur hatte es noch niemand bemerkt. Ich kann mir gut vorstellen, dass während des Aufkommens der ersten Fotokameras so mancher Maler ähnliches verlautbart hatte und trotzdem koexistieren inzwischen beide Medien friedlich nebeneinander und zollen sich den gegenseitig gebührenden Respekt. 

Tante Emma malt nach Zahlen

RJ Palmer, Film- und Gaming-Künstler, erklärte innerhalb der Debatte um den an Jason M. Allen verliehenen Preis am 13. September 2022 für BBC News: „Wenn jetzt gerade ein Künstler meinen Stil reproduzieren möchte, könnte er bis zu einer Woche damit verbringen. Das ist eine Person, die versucht, eine Sache zu schaffen. Mit dieser Maschine kann man hunderte in einer Woche produzieren“. Indem Palmer versucht, eine Lanze für die Kreativität zu brechen, trifft er meiner Meinung nach den Nagel aufs Köpfchen. In seinem Beispiel geht es um das Reproduzieren, das Kopieren, und obwohl auch dieses einen gewissen künstlerischen Wert haben könnte, ist es und war es nie Inhalt und Sinn der Kunst. Mir sind keine Künstler bekannt, die ihren Ruhm der Tatsache verdanken, dass sie hervorragend im Stil von Picasso oder Rubens gemalt haben. Genauso wenig wird jemand ein von Tante Emma nach Zahlen gemaltes Van Gogh Bild als Kunstwerk betrachten. Und darum geht es letztendlich: die mit Hilfe von A.I.-Generatoren geschaffenen Inhalte sind nichts anderes als Malen nach Zahlen in moderner Variante. Dass die Kunst dieses als Instrument integrieren wird, daran habe ich keine Zweifel, doch die menschliche Kreativität wird noch immer das Maß aller Dinge bleiben und so werden wir auch in Zukunft die Spreu vom Weizen trennen können.

Nun bleibt dem Leser eine Frage offen: Habe ich in den letzten Minuten einen A.I. generierten Text gelesen oder nicht?