Deutsches Abi machen – und dann nichts wie weg?

Cristina Mărculeț-Petrescu über das STAYnet Programm gegen den Braindrain aus Südosteuropa

Cristina Mărculeț-Petrescu vom Bukarester Goethe-Institut vor dem Plakat für den „Karrieretag“ am Freitag | Foto: Nina May

Deutsches Abitur oder Sprachdiplom – und dann ab ins Ausland! Für viele, die sich an einer deutschen Schule in Rumänien oder an Deutschkursen im Goethe-Institut einschreiben, ist das die Grundidee. Dabei gibt es noch viele andere Möglichkeiten, mit guten Deutschkenntnissen Karriere zu machen. Denn nicht jeder wird im Ausland glücklich, nicht immer weiß man vorher, worauf man sich einlässt. Die ursprünglichen Reize – Wohlstand und bessere Karrierechancen – können sich schnell abnutzen. Doch wie sehen die Alternativen aus? Idealerweise findet ein zirkulärer Austausch statt, erklärt Cristina Mărculeț-Petrescu vom Goethe Institut Bukarest gegenüber ADZ-Chefredakteurin Nina May eines der Hauptziele des dreijährigen länderübergreifenden STAYnet Programms für Südosteuropa. In Rahmen dieses Netzwerks findet am Freitag eine erste Veranstaltung in Bukarest statt: der „Karrieretag“, an dem deutsche Firmen in Rumänien ihre Angebote und Karrieremöglichkeiten vorstellen.

Frau Mărculeț-Petrescu, kurz und bündig: Was ist die Grundidee von STAYnet?

Der massive Braindrain der intellektuellen Jugend ist für Rumänien ein großes Problem. Und für die Betroffenen stellen sich wichtige Fragen: Werde ich glücklich in der Fremde, weit weg von Familie und Freundeskreis? Kompensiert die erhoffte Karriere dauerhaft für die Opfer?  Dem gegenüber stehen unzweifelhaft die Vorteile einer Auslandserfahrung: mehr Selbstständigkeit, Abnabelung von den Eltern, das Kennenlernen einer anderen Arbeitskultur, sprachliche und fachliche Kompetenzen, kurzum eine berufliche und persönliche Horizonterweiterung, die auch Arbeitgeber begrüßen. STAYnet hat sich daher vorgenommen, Schülern und Studenten einerseits ein realistisches Bild von der Arbeitswelt im Ausland zu vermitteln. Andererseits sollen gemeinsam mit ausländischen Firmen in Rumänien Möglichkeiten geboten werden, von den genannten Erfahrungen zu profitieren, ohne dauerhaft weggehen zu müssen.

Wie kam es zu der Idee von STAYnet?

Das Projekt, an dem elf Länder beteiligt sind – Rumänien, Albanien, Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, Griechenland, Kosovo, Kroatien, Republik Moldau, Montenegro, Nordmazedonien, Serbien – wurde von Nordmazedonien initiiert. Das Motiv ist der anhaltende Braindrain aus Südosteuropa, der die Länder wegen Fachkräftemangel in ihrer Entwicklung stark bremst. Wir sehen das ja selbst am Goethe-Institut: Viele machen die Deutsch-Prüfungen nur, um wegzugehen. Sie studieren dann vielleicht in München oder Berlin und meist bleiben sie auch dort. Auf der anderen Seite klagen deutsche Firmen in Rumänien: Wir finden keine Fachkräfte – und erst recht keine, die Deutsch sprechen. So kam es zu der Idee von STAYnet, kurz für „South European Training Initiative for the Advancement of Youth Network“. Zielgruppe sind Schüler der Abschlussklassen und Studenten, die nicht nur motiviert werden sollen, zu bleiben. Wir wollen sie auch trainieren und perfektionieren: durch Workshops, Karrieretage, Praktika, Internships, Sommercamps und andere Veranstaltungen zu verschiedenen Themen, an denen sich ausländische Firmen beteiligen.

Macht man sie damit nicht erst recht kompetent für das Ausland?

Ja – aber man kann ihnen auch die Möglichkeiten aufzeigen, die es gibt, wenn sie bleiben. Am Freitag veranstalten wir in Bukarest  einen Karrieretag an der George- Co{buc-Schule, an dem sich deutsche Unternehmen in Rumänien vorstellen. Die Message: Wow, schaut mal, was für coole Firmen es hier gibt und welche Chancen sie bieten!

Womit lockt man Jugendliche in hiesige deutsche Firmen, wo doch die Verdienstmöglichkeiten mit dem Ausland nicht vergleichbar sind?

Zu allererst muss man ihnen ein realistisches Bild vom Ausland vermitteln. Viele denken, ich gehe weg und habe kein Problem - aber das ist nicht wahr! Es ist schwer, ins Ausland zu gehen. Eltern und Freunde sind hier – dort ist man allein. Geld allein macht auf Dauer nicht glücklich, auch die seelische Komponente ist wichtig. 
Um diesen realistischen Einblick zu liefern, suchen wir Unternehmen, die Schülern und Studenten längere oder kürzere Praktika und Internships in Deutschland ermöglichen. Denn erst dann kann man wirklich vergleichen. Manche wollen vielleicht trotzdem gehen, andere gehen und kommen zurück. Auch den Rückkehrern wollen wir in dem Projekt eine Stimme geben.
Es ist schwer, die Jugend zum Bleiben zu motivieren. Wenn man jung ist, zieht es einen weg. Aber so mit 30, da wollen dann viele zurück. Meine Schwester zum Beispiel, sie lebt schon seit langem in Deutschland. Sie sagt immer, ich will zurückkehren, hier ist meine Kindheit, mein Elternhaus... Sie ist Architektin und hat hier auch einige Projekte – aber wenn sie sagt, ein Projekt kostet 8000 Euro, sind alle geschockt. Andere Gehälter, andere Erwartungen. Es ist später oft schwer, das zusammenzubringen... 

Wer kommt zum Karrieretag am Freitag und was ist da geplant?

Die Veranstaltung richtet sich an deutschsprachige Schüler der Abschlussklassen und Studenten. Wir haben hierfür mit entsprechenden Schulen in Bukarest Kontakt aufgenommen und gesagt, es präsentieren sich deutsche Firmen. Von manchen kommen sogar ganze Klassen. Die Veranstaltung ist aber für jeden offen. Nur für die beiden Workshops muss man sich anmelden: Einer ist über öffentliches Reden, er wird von den Teilnehmern an den Debattier-Wettbewerben bestritten. Den anderen zum Bewerbungstraining hält Frau Cornelissen vom DAAD, die darin sehr viel Erfahrung hat. DAAD wird auch mit einem Stand vertreten sein. An Unternehmen präsentieren sich die Deutsche Welle, der Drogeriemarkt DM, Schenker, Bosch, Lidl, Kaufland... Auch Universitäten werden vorgestellt: die deutsche Abteilung der polytechnischen Universität Bukarest, die Fremdsprachenfakultät Bukarest, die Fremdsprachendepartements der BWL-Fakultät Bukarest, das „Grüne Diplom“ für Deutschlehrer wird präsentiert und vieles mehr.

Warum involviert sich das Goethe-Institut in so ein Projekt?

Bisher war das Goethe-Institut nur an Vermittlung von deutscher Kultur und deutscher Sprache interessiert. Jobvermittlung und Vernetzung mit Unternehmen ist ganz neu. Ich glaube, es hängt mit der Idee zusammen, dass das Goethe-Institut durch die Deutsch-Prüfungen vor allem jenen hilft, die weggehen wollen. Das war schon im Kommunismus so. In den Deutschkursen versucht man, den Kursteilnehmern zu zeigen, Deutschland ist super – und damit lockt man sie alle an! Sie machen die Prüfung und gehen weg. Das ist auch die Hauptmotivation bei den deutschen Schulen, Deutschlernen ist nicht wie Klavierspielen, das macht man nicht nur zum Vergnügen. Dieser Konflikt war für uns schon immer ein Thema. Und diesen Kreislauf will man unterbrechen.

Wie sind Sie an die Unternehmen gekommen, die jetzt am Karrieretag teilnehmen?

Für den Karrieretag haben wir gezielt deutsche Unternehmen angesprochen. Wir haben eine Liste von Firmen aufgestellt, die für unsere Zielgruppe relevant sind. Es gibt natürlich mehr deutsche Firmen im Land, aber man kann Schüler schlecht motivieren, ein Praktikum bei einer 100 Kilometer entfernten Fabrik auf dem Land zu machen...

Was konkret bieten diese Firmen den Schülern und Studenten?

Die dort auftretenden Unternehmen bieten Schnupperpratika oder verschiedene Aktionen während der Sommerferien, etwa „Shadowing“ – da können sie in alle Abteilungen gehen und schauen, wie das dort läuft. Es gibt Internships in Deutschland, aber auch in Rumänien – und dies nicht nur in Bukarest, sondern auch in Temeswar und anderen Städten. Ich war überrascht, wie viele Angebote für Schüler und Studenten diese Firmen haben. 
Dabei besteht Interesse an der Förderung zirkulärer Migration – Weggehen, aber Zurückkommen –, denn Auslandserfahrung ist schon wichtig, vor allem für Ost-europa. Denn meist sind die Unternehmen im Ausland besser organisiert, es herrscht eine andere Arbeitsethik, die sollen sie dann zurückbringen nach Rumänien. 
Andererseits geht es in dem Projekt auch um berufliche Inklusion, Chancengleichheit für Frauen, oder darum, berufliche Chancen für Behinderte aufzuzeigen. Dazu gibt es in Rumänien noch einiges an Aufklärungsarbeit zu leisten.

Wie wecken Sie das Interesse der Jugendlichen?

Jugendliche kann man gut erreichen, wenn es ein bisschen „catchy“ ist, oder über die spielerische Komponente, die auch die Aufregung nimmt. So hatten wir am Goethe-Institut ein besonderes Projekt am Samstag zum Thema „Personal Branding“ mit der NGO „Super“, die Jugendlichen Workshops bietet, wie man fotografiert und filmt. Darin mussten sie Ideen entwickeln, wie man den Karrieretag gut verkauft – mit Fotos, Filmen und Plakaten, die dann am Freitag auf der Bühne vorgestellt werden.
Ein anderes Projekt ist die Erbauung einer Friedenssäule. Das ist eine Idee des „Papiertheaters“ in Nürnberg, sie haben Friedenssäulen in mehreren Ländern gemacht und wollen daraus einen Tempel des Friedens errichten. Eine solche Säule bauen wir am Freitag im Innenhof der Schule. 

Welche weiteren Projekte sind im Rahmen von STAYnet geplant?

Im Herbst wollen wir einige Workshops organisieren und Schulen einbeziehen. Sie sollen in Gruppen Werbeideen für Firmen entwickeln. Die beste Gruppe kann ein Praktikum in Deutschland gewinnen, bei DM oder bei der Deutschen Welle. Wir übernehmen dafür die Unkosten. 
Dann planen wir ein regionales Camp mit Schülern und Studenten aus allen Teilnehmerländern, mit Unternehmen und Human Ressources Experten, da geht es um berufliches Training und andere Themen. Das hängt noch sehr von der Finanzierung ab, wir suchen hierfür noch Sponsoren. Wir versuchen jetzt auch am Karrieretag, neue Partner und Sponsoren zu werben, denn das ist ja alles auch im Interesse der Unternehmen. 
STAYnet in Nordmazedonien will außerdem eine Plattform entwickeln, wie man Schüler und Studenten mit Firmen vernetzen kann. Wir schließen uns da bloß an, aber auch dafür gibt es noch keine Finanzierung. Große Pläne haben wir auf jeden Fall, doch das Projekt ist neu und noch im experimentellen Stadium. Wenn es gute Ergebnisse zeigt, winkt auch eine Finanzierung durch den detuschen Staat. Drei Jahre soll es erstmal laufen, aber ich kann mir gut vorstellen, dass es dann fortgesetzt wird.

Vielen Dank für das interessante Gespräch. 


Karrieretag in Bukarest

Wann?
Freitag, 20. Mai 2022, von 10 Uhr bis 18 Uhr

Wo?
In der George Coșbuc Schule in Bukarest

Programm:
10 Uhr: Eröffnung durch die Deutsche Botschaft Bukarest,  das Goethe-Institut, die Deutsch-Rumänische Industrie- und Handelskammer; Präsentation von STAYnet
10.40-12.10 Uhr: Studieren in Deutschland und Bukarest; DAAD und Unis stellen sich vor.
12.20-15.05 Uhr: Deutsche Unternehmen in Rumänien präsentieren sich und ihre Angebote.

Parallele Aktivitäten:
11 Uhr: Bewerbungstraining (auf Deutsch)
12.30-13.30 Uhr: „Personal Branding“ mit der NGO Super
13-14 Uhr: Deutschlehrer werden? Das Grüne Diplom
14-15 Uhr: Workshop „Public Speaking“
10.30-18 Uhr: Erbauung der Friedenssäule