Die Alltagswelt der Josefstadt wird zur Bühne

„Parallele Stadt“ – eine immersive Performance in Temeswar

Bei „Orașul Paralel“ werden Zuschauer Teil der Performance. Sie wechseln gemeinsam mit den Schauspielern Szenen, Räume und Plätze.
Foto: Maa Nu

Drei Routen, drei verschiedene Erlebnisse, zwei Sprachen und ein 1,5 Kilometer langer Spaziergang durch die Josefstadt/Iosefin – das Projekt „Orașul Paralel“/„Parallele Stadt“ wandelt die Stadt Temeswar/Timișoara zur Bühne und ihre Bürger zu Schauspielern. Das Projekt, das innerhalb des Programms „Temeswar 2023 – Europäische Kulturhauptstadt“ von CiviCultura, dem Kulturverein „Diogene“ in Koproduktion mit dem Ungarischen Staatstheater „Csiky Gergely“ Temeswar entwickelt wurde, bringt ein aktuelles Thema durch ein immersives Erlebnis ins Rampenlicht. Das Konzept stammt von der Regisseurin Ana Mărgineanu und dem Dramatiker Peca Ștefan. 

„Die parallele Stadt“ geht 2021 den Spuren der Flüchtlinge von heute und den Migranten von gestern nach. 2022 und 2023 wird das Projekt die historischen Stadtviertel – die Elisabethstadt/Elisabetin und die Fabrikstadt/Fabric mit Ausdehnungen in die Innenstadt von Temeswar – erkunden. Dabei wird ein Netz von Routen geschaffen, die das verborgene Leben der Temeswarer entdecken. All diese Routen sollen im Jahr 2023 im Rahmen einer umfassenden Erkundung während der Kulturhauptstadt Europas gleichzeitig für das Publikum präsentiert werden. Das Projekt nimmt sich vor, je 20 bis 30 Aufführungen jeden Sommer, 1800 Zuschauer und über 50 Räume und Mikrogeschichten in insgesamt drei Jahren ans Licht zu bringen. 2021 wird die Josefstadt erkundet. Die Bürger sind zu einer immersiven und partizipativen Erkundung des historischen Stadtviertels eingeladen. Die Premiere von „Orașul Paralel: Iosefin“ fand am 20. August statt. Parallele Aufführungen, Routen und Geschichten wurden dabei präsentiert. An gleich drei Tagen wurde den Teilnehmern ein einzigartiges Erlebnis geboten, in dem sich Fiktion mit Realität vermischt und in dem die Zuschauer selber Teil des Stücks wurden. 

Die Geschichten und Routen innerhalb der Performance sind als Hybrid aus Theater, Tanz, Puzzle, sozialem Spiel, immersiver Installation und Audio-Walk auf den Straßen und Räumen der Josefstadt gebaut und ermöglichen ein quasi-kinematisches Erlebnis, um Orte innerhalb der Stadt (neu/wieder) zu entdecken und in die Lebenserfahrung eines anderen einzutauchen. „Alles ist eine Art Theatertour: Es wird zu Fuß gegangen; es wird auf Rumänisch und Ungarisch gesprochen. Dilemmata der heutigen Gesellschaft werden in einer Show thematisiert, die die Identität der Temeswarer Gemeinde zutiefst widerspiegelt. Bühnenbild ist die Stadt selbst. Zuschauer, auch wenn sie in der Josefstadt leben, können Räume entdecken, die sie bisher nicht kannten. Die Straße bleibt weiterhin Straße, Passanten gehen an uns vorbei, Vaporetti fahren weiterhin auf der Bega, alles wird Teil der Show, die mit allen Sinnen erlebt werden kann: Der Zuschauer sieht, spürt, riecht, berührt, er lebt einfach die gesamte Show“, erklärt Ana Măgineanu, die Regisseurin des Stücks.

„Indem wir das Thema der Flüchtlinge ansprechen, wird unser Projekt zu einer Plattform für Diskussion eines aktuellen Themas von europäischer Bedeutung und trägt zu den Bemühungen anderer Organisationen in Temeswar bei, das soziale Gefüge von Nachbarschaften und Gemeinschaften durch Theater und andere partizipative kulturelle Instrumente auszubessern“, sagt der Dramatiker Peca Ștefan. „Wir benutzen das Theater auch als ein urbanes Abenteuer. Die Zuschauer ersetzen dabei die Videokamera, wenn wir uns dabei vorstellen, dass alles ein Film, der kontinuierlich gedreht wird, ist. Die Schauspieler werden verfolgt. Alle Zuschauer und Akteure bewegen sich ständig, wir alle wechseln Szenen, Plätze und Räume. Wir reisen zusammen. Das ist das Erlebnis auf zwei der drei Routen. Die dritte Route stellt ein Spiel dar. Dieses wird in Teams von je fünf Spielern gespielt. Wir haben sogar einen Gamemaster. Die Teilnehmer werden dabei eine der drei Geheimgeschichten der Josefstadt entdecken. Alle Geschichten, alle Routen haben einen Leitfaden. Ausgangspunkt für die ersten zwei Performativrouten ist der zweite Bahnsteig am Nordbahnhof. Das Spiel beginnt in unmittelbarer Nähe der Eisenbrücke neben dem Nokia-Business-Center“, setzt Peca Ștefan fort.

Das Konzept wurde zuerst in New York von PopUP Theatrics, von Tamilla Woodard und den rumänischen Künstlern Ana Mărgineanu und Peca Ștefan entwickelt, wobei dort die verschiedenen Stadtteile von Manhattan erkundet wurden. Das Ergebnis war die „Broken City“-Trilogie: Lower East Side (2014), Harlem (2015), Wall Street (2016). Ausgehend von den Erfahrungen im Bereich Storytelling, immersives und partizipatives Theater der rumänischen Künstler in New York hat sich der der Kulturverein Diogene in Koproduktion mit dem Temeswarer Ungarischen Staatstheater „Csiky Gergely“ auf den Weg gemacht, in eine neue Richtung, die Geschichten der Stadt und des öffentlichen Raums in Temeswar zu erkunden.

Schauspieler des Ungarischen Staatstheaters Temeswar sowie unabhängige Darsteller und Künstler bringen die Geschichten, die von Ana Mărgineanu (Regie) und Peca Ștefan (Text) erkundet wurden, ans Licht. Die originelle Musik dafür komponierte Cári Tibor, Baczó Tünde erstellte die Choreographie, Albert Alpár ist für Bühnenbild und Kostüme, Anca Berlogea-Boariu und Patricia Sas sind für Video zuständig.

Weitere Aufführungen von „Orașul Paralel: Iosefin“ stehen für das zweite Wochenende im September an. Am 7., 8. und 12. September können Interessierte jeweils um 16.30 und 18.30 Uhr an den verschiedenen Routen teilnehmen. Karten für die jeweiligen Routen sind von der Webseite tm-t.biletmaster.ro erhältlich. Die Einnahmen für die gelbe Route (The Game) werden für die Aktivität des LOGS-Vereins, der mit Hilfe der Gemeinde und privater Spender materielle Nothilfe für Flüchtlinge, Asylwerber und schutzsuchende Drittstaatsangehörige aus Temeswar bieten, ausgegeben. 

Mehr Informationen zum Projekt, Karten und Routen kann man auf der Webseite orasulparalel.ro abrufen. Weitere Vorführungen sollen auch an einem weiteren Wochenende im Oktober stattfinden.