Die Decauvilles auf den Nákó-Domänen

Agrartransporte zwischen und von den Meierhöfen im Raum Tschanad-Keglewitsch-Nero

Lori-Gespann zwischen Keglewitsch und besagter "Zvetko-Puszta" bei Tschanad. Foto: privat

Das war einmal das Mustergut „Eszter“ bei Nero mit seiner unvergesslichen „Lori“-Feldbahn. Die kleine Milchverarbeitungsfabrik ist unten rechts zu sehen.

Die Besiedlung des fast menschenleeren Landstrichs Banat, an der Schwelle zum Balkan, durch Deutsche, war schon oft Gegenstand geschichtlicher Abhandlungen. Diese Form der „Deutschen Landnahme“ war im Banat in ihrer ersten Phase gekennzeichnet durch Rodung von Gestrüpp und zahlreicher Auenwälder, durch Trockenlegen von Sümpfen, Häuser- und Wegebau, um dem Boden die ersten Erträge zum Überleben der Siedlerfamilien abzuringen. Die Fruchtbarkeit des durch Grund- und Oberflächenwasser übersättigten Bodens der Heide ließ zu wünschen übrig. Auf solchen Standorten entwickelte sich ein sogenannter Auenboden (rum. Lăcovişte, ung. Szíkestalaj, serb. Slatina). Ein solcher Boden von hohem Tonanteil mit starkem Quell- und Schrumpfvermögen war nur schwer zu bearbeiten. Dieser Boden herrschte auf beiden Nákó-Domänen vor. Die Bauern auf solchen Standorten waren alles andere als zu beneiden.

Fast zur selben Zeit mit der deutschen Besiedlung erwarben auch die beiden Nàkó-Brüder, Christoph und Cyrill, von der Wiener Hofkammer ausgedehnte Weideflächen und Ländereien um das damalige Szerb-Szentmiklós (dt. Serbisch-Sanktnikolaus) für ihre großen Viehherden. Die schwäbischen Bauern in den umliegenden Ortschaften wurden dadurch Leibeigene der Edelleute Nákó. Der von den Nákós erworbene Grund und Boden wurde zur Bearbeitung teils an die schwäbischen Bauern verpachtet oder von der mittellosen Landbevölkerung („tanjás”) auf den im Außenbereich gegründeten Gütern („Majors“) bewirtschaftet.

Von diesen „Majors“ leiten sich die Begriffe „Meierei“ oder „Meierhof“ für einen alleinstehenden Bauernhof ab. Solche Nákó-Güter gab es insbesondere zwischen der Marosch (bzw. dem Tschanader Wald) und den Gemeinden Tschanad, Keglewitsch und Kiszombor. Zu deren Bewirtschaftung siedelten die Nákós viele ungarische Familien von jenseits der Marosch und der Theiß für den Anbau technischer Kulturpflanzen an, Zuckerrüben, Hanf, Tabak, Baumwolle und Heilkräuter. Dafür wurden neue Siedlungen, wie Porgány, Bolgártelep und Keresztúr, gegründet. Mit dem Türkeneinfall 1552 in Ungarn hatte sich die damals spärliche ungarische Bevölkerung des Banats nach jenseits der Marosch und der Theiß zurückgezogen. Folgende Nákó-Majors gab es in diesem Großraum: Nagy-Csanádimajor, Gyulamajor, Anasztasziamajor, Esztermajor, Sándormajor, Teréziamajor, Málvinamajor, Nagy-Bertamajor (in Keglewitsch bekannt als „Mayerhof“) und Kálmánmajor. Auch Walachen aus den West-Karpaten (Bihor) wurden in Ó-Béba (Alt-Beba) und Nagy-Szentmiklós (Groß-Sanktnikolaus) angesiedelt, da diese für die ausgedehnten Viehherden (Schafe, Hornvieh und Pferde) eher prädestiniert waren als die deutschen Siedler.

Die einzelnen Majors waren mit Wohnungen für die Landarbeiter im Tagelohn, mit Stallungen, Geräte- und Maschinenschuppen und einer Wohnung für den Verwalter (Ispán) ausgestattet. Die Arbeiterwohnungen und Milchviehställe waren mit artesischem Wasser versorgt. Es gab beschauliche, von kleinen Teichen und Trauerweiden ausgestaltete Ruhe- und Erholungszonen für nach Feierabend. Die Nákós legten auf solche soziale Annehmlichkeiten hohen Wert. Der oft unterschiedlichen Bodenfruchtbarkeit auf den einzelnen Majors wurde über die jährliche Anbauplanung und durch Fruchtfolge Rechnung getragen. Die Infrastruktur, sprich das Wege- und Straßennetz beim Transport der Agrarprodukte zu den Märkten der Monarchie, spielte eine wichtige Rolle. Auch wenn die Verbindung zwischen Tschanad und Kiszombor durch eine mit Kies befestigte Landstraße bereits ausgebaut war, waren die Feldweg-Verbindungen zwischen den einzelnen Majors, bzw. vom Keglewitscher „Mayerhof“ bis zur Landstraße Tschanad - Kiszombor mit Pferdegespannen nur schwer zu bewältigen. Daher besann man sich hier auf eine neue technische Erfindung, die erstmals auf der Pariser Weltausstellung im Jahre 1878 gezeigt und mit einer Goldmedaille honoriert wurde – die sogenannte Decauville. Sie trug den Namen ihres französischen Erfinders und war nichts anderes als eine schmalspurige Feldbahn.

Die Keglewitscher Schmalspur-Feldbahn war ein vom Wetter unabhängig einsatzfähiges Transportsystem. Es bestand aus einem 2-5 m langen vorgefertigten Gleisrahmen auf Stahlschwellen, wobei der Schienenabstand 600 mm betrug. Die Montage erfolgte durch das Ineinanderschieben einer Laschenverbindung. Das Ganze war auf den „nackten“ Boden verlegbar und in jedwelche Richtung, je nach Bedarf richtungsändernd möglich. Da in der Fruchtfolge auf dem Keglewitscher „Mayerhof“ auch Zuckerrüben ihren berechtigten Platz hatten, war deren Transport an einen der beiden Bahnhöfe nach Tschanad oder Kiszombor bei gewöhnlich widrigem Herbstwetter eine Tortur für Menschen und Pferde. Der einer befestigten Kiesdamm-Landstraße zwischen diesen beiden Bahnhöfen am nächsten gelegene Nákó-Gutshof, von Keglewitschhausen aus, war der Nagy-Csanádimajor. Dieser wurde nach 1920 von dem serbischen Bauern Milivoi Zvetkov aus Tschanad ersteigert. Er lag in etwa gegenüber dem Gyulamajor, der späteren landwirtschaftlichen Versuchsstation „Sămânţa“ (dt. „Saatgut“). Die Schmalspur-Feldbahn wurde von Keglewitscher „Mayerhof“ bis zum Nagy-Csanádimajor, gleich neben der befestigten Landstraße, verlegt. Für die verschiedenen Transportaufgaben wurden zweckgebundene Wagen (Loren) verwendet. Diese reichten von Mulden-Kipploren über Plattformloren bis zu hölzernen Wagenloren. Eine Garnitur bestand gewöhnlich aus einem Zugpferd, drei Loren und einem Kutscher, der im Notfall auch gleichzeitig der Bremser war. Transportieren konnte man alles, was landwirtschaftlich anfiel und per Bahn dann weiter auf die Märkte gelangen sollte. Selbst für Personentransporte der Keglewitscher Bevölkerung zu den nächsten Bahnhöfen war die „Lori“, wie sie liebevoll von den Nutzern genannt wurde, ein beliebtes Verkehrsmittel. Selbst der Autor dieser Zeilen kann von einer äußerst abenteuerlichen Fahrt bei Nacht und Regen mit der „Lori“ berichten. Da die nächste Generation, also der Sohn des Milivoi Zvetkov, der Zvetko Zvetkov war, nannten die Keglewitscher die Lorifahrt-Endstation einfach – „bis zum Zveti!“ oder – „bis zum Zvetko!“

Nach der entschädigungslosen Enteignung sämtlicher privater Agrarbetriebe durch die Kommunisten zwischen den Jahren 1945 bis 1948, blieb die Keglewitscher „Lori“ in einem verwahrlosten Zustand auch bis auf Weiteres in einem ungeordneten Betrieb; dies bis Anfang der 1960er Jahre. Heute sind keine „Reliquien“ davon mehr zu finden, selbst über das Satelliten-Auge des Google Earth findet man keine Spurentrasse dieser lokalhistorischen Feldbahn mehr. Was von der Keglewitschhausener „Lori“ für die Nachwelt noch geblieben ist, das sind für all jene die sich ihrer noch erinnern, nur noch Nostalgiegedanken, vielleicht auch Fotos...

Es gab jedoch auch eine zweite Schmalspur-Feldbahn auf einem weiteren Nákó-Gutshof in der Nähe der Gemeinde Nero, auch ein Nagy-Bertamajor, aber besser bekannt unter dem Namen „Eszter“. Dort befand sich ein Mustergut der Nákós. Aber auch hier sind auch nur kleinste Spuren von dieser einstigen landwirtschaftlichen Idylle nicht mehr zu finden. Der „Eszter“, wie er ortsüblich von der Bevölkerung genannt, sollte seiner lokal-historischen Bedeutung wegen sowohl für Großsanktnikolaus, als auch für Nero unbedingt eine Erwähnung finden. Die gesamte herrschaftliche Anlage bestand aus einem

 

 

Das war einmal das Mustergut „Eszter“ bei Nero mit seiner unvergesslichen „Lori“-Feldbahn. Die kleine Milchverarbeitungsfabrik ist unten rechts zu sehen.

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stilvollen Verwaltungs- und Wohngebäude für den Verwalter (Ispán), einigen modernen Stallungen für Nutztiere – beispielsweise ein Milchviehstall für 80 Milchkühe – und Remisen zur Unterstellung von Landmaschinen und Gerätschaften. Für die Dienerschaft („das Gesinde”, „S`Gsindl`) ) und sonstiges Personal gab es sehr wohnlich ausgestattete Unterkünfte. Selbst eine kleine Milchverarbeitungsfabrik zur Butterherstellung gab es vor Ort. Sämtliche Gebäude waren farblich im „Schönbrunner-Gelb“ gestrichen, wie übrigens auch das Stammschloss der Nákós, das Kastell in Semiklosch. Es gab einen kleinen Park mit einem permanent sprudelnden artesischen Brunnen sowie einigen aus Sandstein kunstvoll gestalteten allegorischen Standbildern, aber auch eine kleine Kapelle. Die Landarbeiter auf dem „Eszter“ stammten überwiegend aus der Gemeinde Nero (rum. Nerău, ung. Nyerö, serb. Dugoselo). Die Zufahrt erfolgte von der Neroer Landstraße aus über eine sehr gepflegte Baum- und Strauchallee. Die Nákós, im Besonderen Kálmán Graf Nákó, waren bemüht, die Gemeinde Nero an das österreich-ungarische Schienennetz anzuschließen. Daher wurde von Groß-Kikinda über Sellesch und Marienfeld bis Nero als Endstation eine Bahnlinie verlegt. Um die verschiedenen Agrarprodukte (Zuckerrüben, Getreide, Milcherzeugnisse…) vom „Eszter“ zum Bahnhof nach Nero zu befördern, legte man hier ebenfalls eine Schmalspur-Feldbahn („Lori“). Diese verlief, vom „Eszter“ kommend, über die Nero-Großsanktnikolauser Landstraße, umging im Norden den rumänisch bewohnten Ortsteil samt orthodoxem Friedhof von Nero, verlief dann in westliche Richtung, bog um den deutschen Ortsteil und dessen Friedhof nach Süden ab, um dann in den Bahnhof zu münden.

Das Ende all dieser zweckgebundenen landwirtschaftlichen Einrichtungen begann eigentlich mit dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem daraus erfolgten Vertrag von Trianon im Jahre 1920, als Zweidrittel des Banats an Rumänien abgetreten werden mussten. Damals begannen bereits die ersten Zerfallserscheinungen. Der letzte gräfliche Nákó-Spross, Sándor Graf Nákó (1871-1923), das Ende der Habsburgerherrschaft anscheinend voraussehend, begann schon während des Ersten Weltkriegs mit der allgemeinen Veräußerung seiner Güter an finanzkräftige Bauern in der jeweiligen Gegend. So kauften in jener Zeit viele wohlhabende Bauern aus den umliegenden Ortschaften von den gräflichen Feldern. Aber all die Bayers, Korecks, Velcsovs, Petrovs, Zvetkovs, Röhrichs, Gerlachs, Heims, Pălicus, Şuştreanus… und wie sie noch alle hießen, konnten sich nicht lange an ihrem erworbenen Besitz erfreuen, denn es brach nach 1945 der Kommunismus über sie und uns herein. Aber der junge Graf Sándor Nákó, der eine Spielernatur war, konnte sich auch nicht lange an seinem daraus erworbenen Geld erfreuen. Er hatte hohe Spielschulden und verlor alles bei seinem letzten Spielausflug in Nizza. Dort setzte er in einem Hotel seinem Leben ein Ende. Die entschädigungslose Enteignung der bäuerlichen Betriebe als Folge des Zweiten Weltkriegs und die in der Reihenfolge neugebildeten Staatsbetriebe (sukzessiv genutzte Bezeichnungen dafür: REAZIM, Gostat, I.A.S.), eine völlig unrentable, in den meisten Fällen nur durch erhebliche staatliche Subventionen gestützte kommunistische Erfindung (ich weiß, wovon ich rede, ich habe im Bereich gearbeitet...), läuteten dann den endgültigen Zerfall dieser einst musterhaften gräflichen und bäuerlichen Agrarstrukturen ein. So endeten schließlich auch die beiden Schmalspur-Feldbahnen, die bekannten „Loris“, zwischen dem Keglewitscher „Mayerhof“ und dem Tschanader „Zveti“, und auch die Neroer „Eszter-Lori“. Zurück blieb lediglich die Erinnerung an sie, die dank weitergereichter Überlieferungen durch die ältere Generation, immerhin doch noch nicht der endgültigen Vergessenheit anheimgefallen sind. Das Wissen darüber soll durch diesen Beitrag den nachfolgenden Generationen als bleibendes lokal-historisches Vermächtnis weitergereicht werden. „Sic transit gloria mundi!“  oder  „So vergeht der Ruhm der Welt!“ sagten schon die alten Römer.

 

(bearbeitet für die „Banater Zeitung” von Werner Kremm)