Die deutsche evangelische Gemeinschaft in Bukarest im Kaleidoskop der Geschichte

Ein Interview mit Stadtpfarrer Dr. Daniel Zikeli

Fotos: George Dumitriu

So mancher Besucher in Bukarest wundert sich über das Vorhandensein einer relativ großen deutschsprachigen Gemeinde außerhalb der klassischen Einwandergebiete der deutschen Minderheit in Rumänien. Bukarest hat mit rund 1000 Seelen die zweitgrößte evangelische Kirchengemeinde in Rumänien, heißt es auf der Webseite der Evangelischen Landeskirche A. B. Rumäniens (EKR). Für im Laufe der Jahrhunderte zugewanderte Deutsche lutherischen Glaubens war die evangelische Stadtpfarrkirche in der Strada Luterana seit jeher ein Kondensationskeim. Sie ist aber auch ein kulturell und historisch bedeutender Ort. Einen Einblick in die prägenden Elemente der Bukarester evangelischen Kirchengemeinschaft und die Herausforderungen von einst und heute liefert Stadtpfarrer Dr. Daniel Zikeli. Die Fragen stellt der Europäische-Studien Student Tim Basler aus Paderborn, derzeit Praktikant in der Bukarester ADZ-Redaktion.

Herr Dr. Zikeli, wie kommt es, dass es in Bukarest so eine große deutschsprachige evangelische Kirchengemeinde gibt? Wir sind hier schließlich nicht in Siebenbürgen.

Da müssen wir einen kurzen Blick in die Geschichte werfen. Bereits im Reformationsjahrhundert, d.h. im 16. Jahrhundert, ist eine evangelisch-lutherische Kirche in Bukarest belegt. Im Jahr 1572 besuchte irgendein Franzose die Stadt. Es gibt ein Dokument, das liegt im französischen Staatsarchiv in Paris, und dort schreibt er, dass er einen Spaziergang machte und auf eine lutherische Holzkirche traf. Man weiß nicht so genau, wo diese Kirche stand, aber eine Kirche entsteht immer dort, wo es eine Gemeinde gibt.

Ende des 17. Jahrhunderts wird Siebenbürgen dann ein Teil des Habsburgerreiches. Viele Siebenbürger Sachsen verlassen aufgrund der Rekatholisierung der Habsburger besonders die Gegend um Kronstadt, kommen die Handelsstrecke hinunter und lassen sich in verschiedenen Städten nieder. Dadurch kommen viele nach Bukarest, weil die Stadt an der Handelsstraße nach Istanbul liegt. Aber die Siebenbürger Sachsen treffen hier bereits auf eine Gemeinde.

Wann war denn ungefähr der Höhepunkt der Zuwanderungsbewegung Deutscher?

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kamen sehr viele Deutsche mit dem Fürstenpaar Karl I. von Hohenzollern-Sigmaringen und Elisabeth von Wied nach Bukarest. Diese haben sich dann der evangelischen Kirchengemeinde angeschlossen und die Gemeinde wuchs explosionsartig auf 5000, 6000, 8000 Gemeindeglieder. Deshalb musste eine neue Kirche gebaut werden. Die Gemeinde hat sich damals auch rasant entwickelt, es entstand eine große Anlage, deswegen heißt die Straße auch Luterana. Hier gab es die Kirche, das Pfarrhaus und auch die deutschsprachigen Schulen. Diese waren sehr gut besucht. In einem Dokument heißt es, dass die deutschen Auslandsschulen in Bukarest gleich viele Schüler hatten, wie die in Buenos Aires mit Tausenden von Schülern.

Und wie war die Lage im Kommunismus?

Der Kommunismus nach dem 2. Weltkrieg war dann eine sehr bittere Zeit für die Gemeinde. Die Gemeinde hat fast alles verloren im Kommunismus. Ceau{escu wollte sogar die Kirche abbauen lassen, aber da haben sich sämtliche westeuropäische Diplomaten dagegen gewehrt. Die Kirche ist dann stehengeblieben, aber die Gemeinde musste das ganze Grundstück abgeben. Übrigens befinden Sie sich gerade im einzigen evangelischen Pfarrhaus, das in den wilden Jahren der Diktatur errichtet wurde. Es wurde Ende der 1970er Jahre errichtet mit Geld vom Lutherischen Weltbund aus Genf.

Wie sieht es denn heutzutage aus? Welche deutsche ethnische Gruppe ist heute in der Mehrheit in der Kirchengemeinde?

Es gibt keine Mehrheit, die Gemeinde Bukarest ist nicht ethnisch homogen. Es ist keine Gemeinde, die sich nur aus Siebenbürger Sachsen zusammensetzt, wie das in Siebenbürgen der Fall ist. Hier gibt es alle deutschen ethnischen Gruppen. Es besteht aber eine gewisse Mobilität, weil es sehr viele gibt, die aus Siebenbürgen nach Bukarest gekommen sind und hier berufstätig sind, die keine Gemeindeglieder sind, aber an den verschiedenen kirchlichen Veranstaltungen teilnehmen. Diese Leute sind nur periodisch da, zum Teil sind es auch junge Leute, die für das Studium nach Bukarest kommen. Sie sind dann immer noch in ihren Heimatgemeinden eingeschrieben und somit nicht bei uns erfasst.

Wodurch zeichnet sich die Kirchengemeinde Bukarest aus?

Neben dem geistlich-pastoralen Angebot gibt es auch ein großes kulturelles Angebot. Es gibt eine ausgeprägte Konzerttätigkeit, die sehr vielfältig ist, z.B. mit dem internationalen Orgelfestival. Ein weiterer Bereich ist die Kunst. Wir haben unsere Kirche zur Verfügung gestellt für Ausstellungen. Das war ein Novum für uns. In der Kirche waren Werke von Dürer, Picasso und Klimt ausgestellt. Jetzt gibt es Werke von rumäniendeutschen Künstlern zu sehen, die Fetzenbilder von Frau Lilian Theil aus Schäßburg. Außerdem haben wir auch einen gemeindeeigenen Friedhof.

Herr Dr. Zikeli, Sie persönlich sind Stadtpfarrer von Bukarest, Bischofsvikar und zusätzlich auch noch Dekan des Kronstädter Kirchenkreises. Wie kommt es, dass Sie drei Ämter gleichzeitig inne haben?

Das mit dem dritten Amt hängt damit zusammen, dass wir uns momentan in der EKR (Evangelische Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in Rumänien) durch die Entwicklung der letzten Jahrzehnte, durch die Massenauswanderung und den Mangel an Theologiestudenten, mit einer ganz großen Personalnot auseinandersetzen. Daher wird es immer sehr schwierig, bestimmte Ämter zu besetzen. Im Falle des Dekanates hatte ich mich bereit erklärt, dieses Amt für ein einziges Mandat wahrzunehmen und inzwischen bin ich beim dritten Mandat. In Bukarest selbst ist auch die zweite Pfarrstelle nicht besetzt, weil sich niemand findet und wir haben auch im Dekanat große und gute Gemeinden, die unbesetzt sind. Das ist ein sehr kritisches Problem in unserer Kirche. Theologiestudenten sind zwar da, aber der Bedarf ist noch lange nicht gedeckt. Wenige Theologiestudenten entscheiden sich nach dem Abschluss des Studiums, in den Dienst unserer Kirche zu treten. Es ist auch ein längeres Anlaufverfahren, das Vikariat dauert über zwei Jahre. Und erst danach entscheidet die Gemeinde, ob sie die Person als Pfarrer haben will oder nicht. Ansonsten muss man sich für eine andere Stelle bewerben.

Die Zahl der Gemeindeglieder nimmt auch immer weiter ab. Im Jahr vor der Wende, 1989, zählte unsere Kirche in Rumänien noch ungefähr 180.000/190.000 Mitglieder. Jetzt sind es noch 10.900 in ganz Rumänien.

Der Staatspräsident von Rumänien, Klaus Johannis, ist auch Mitglied der evangelischen Kirche. Hat sich dadurch die Zusammenarbeit mit den rumänischen Behörden verbessert?
Die Tatsache, dass der Staatspräsident evangelisch ist, hat nicht dazu geführt, dass sich das Verhältnis bzw. die Zusammenarbeit mit den Behörden, vor allem mit den Lokalbehörden, verbessert hat. Die Zusammenarbeit mit den Lokalbehörden gestaltet sich regional sehr unterschiedlich. Ich kann ihnen nur erzählen, wie das in Bukarest läuft. Dem-nächst werden wir ein großes Projekt starten, die Außenrenovierung der Kirche. Und ich muss sagen, dass die Zusammenarbeit mit den Behörden relativ schlecht war. Diese ganze Geschichte hat schon vor drei, vier Jahren begonnen und man sieht noch immer nichts. Auf Initiative des Bürgermeisteramtes wurden wir damals aufgefordert, etwas zu tun. Sie sagten, wir müssen etwas tun, weil die Kirche ein wichtiger historischer und kultureller Ort sei. Es wurde dann ein Partnerschaftsvertrag mit dem Bürgermeisteramt unterzeichnet. Das war damals allerdings eine andere politische Fraktion. Anschließend gab es aber aufgrund der Kommunalwahlen einen politischen Wechsel. Mit der neuen Regierung gab es dann aber für uns auch keine Gesprächspartner mehr und das ganze Projekt kam für ungefähr ein Jahr zum Stillstand. Niemand reagierte mehr auf unsere Anträge. Wir hatten unsere Hausaufgaben zu 90 Prozent gemacht, wir hatten sogar schon die Genehmigung vom Oberbürgermeisteramt bekommen, weil wir hier im historischen Baugebiet ohne Genehmigung des Oberbürgermeisteramtes nichts tun dürfen. Aber die Finanzierung war abhängig vom Bürgermeisteramt des 1. Bezirks. Wir haben dann verschiedene einflussreiche Institutionen und Partner motiviert, uns zu helfen, unter anderem das Präsidialamt und das Staatssekretariat für Kultur. Dies hat schließlich dazu geführt, dass der neue Bürgermeister und die neue Fraktion endlich sensibel wurden und sich diesem Projekt angenommen haben. Wir haben nun einen neuen Vertrag mit dem Bürgermeisteramt abgeschlossen, haben nun die Finanzierung gesichert und auch eine Baufirma.

Aber nun hapert es wieder an der Bürokratie durch die Teuerungswelle, von der auch die Baumaterialien betroffen sind. Es gibt nun ein neues Gesetz und die Finanzierung muss ausgeglichen werden, muss bezuschusst werden, aber niemand weiß ganz genau, wie das funktioniert. Und so warten wir noch immer. Aber ich hoffe, dass die Arbeiten trotz dieses schwierigen Weges noch in diesem Monat beginnen können. Die Zusammenarbeit mit den Behörden erweist sich also als sehr kompliziert. Alles geht sehr langsam. Man braucht einen langen Atem. Aber wir stehen nun unter Druck, weil die Baugenehmigung für die Renovierungsarbeiten nach drei Jahren abläuft, ansonsten muss alles neu aufgerollt werden.

Gestatten Sie mir zum Schluss eine persönliche Frage: Sie sind in Schäßburg aufgewachsen und haben in Basel studiert und promoviert. Warum hat es Sie dann ausgerechnet nach Bukarest gezogen?

Gezogen hat es mich nicht, ich bin hierher ernannt bzw. dann auch berufen worden. Ich habe in Basel studiert und promoviert, habe aber auch angekündigt, dass ich zurückkehren möchte. Ich bin einer, der gegen den Strom geschwommen ist, weil alle anderen gingen und auswanderten. Ich war ja schon drüben gewesen und habe dann entschieden, zurückzukehren, auch wegen der Tatsache, dass ich hier noch familiären Bezug hatte. Es kam dann so, dass der Stadtpfarrer, also der geschäftsführende Pfarrer, von Bukarest 2001 nach Kronstadt abberufen wurde. Und so bin ich dann ernannt worden auf die Stelle in Bukarest und wurde 2003 auch von der Gemeinde zum Stadtpfarrer gewählt.

Die Siebenbürger haben eine gewisse Abneigung und Vorurteile gegenüber den Regionen jenseits des Karpatenbogens. Mit der jungen Generation hat sich das etwas verbessert, aber ich gehöre leider noch zu der alten Generation. Ich bin also mit meiner Ehefrau mit diesen Vorurteilen nach Bukarest gekommen und wir sind durch die Ernennung ja praktisch gegen unseren Willen hierher gekommen. Anfangs hatte ich psychisch gesehen eine gewisse Blockade bzw. war etwas gehemmt gegenüber dem Umfeld und hatte eine gewisse Distanz, bis sich diese Vorurteile dann langsam abgebaut haben.

Vielen Dank für das Gespräch.