Die erleuchtete Vernunft

Das Augenlicht ist für uns eine der kostbarsten Gaben. Mit ihm orientieren wir uns in der Welt. Wir können es sogar verstärken. Mit Hilfe von Teleskopen können wir tief in den Weltraum blicken und mit Mikroskopen die kleinsten Lebewesen wahrnehmen. Und wenn unser Auge an Sehkraft verliert, helfen uns Brillen, diesen Verlust auszugleichen. Wenn „grauer“ oder „grüner“ Star uns die Sehkraft rauben wollen, so ist die ärztliche Kunst so weit fortgeschritten, dass sie auch diese Gefahren verringern kann. Dennoch können sich bei uns „optische Täuschungen“ einstellen. Steckt man einen Stab in ein mit Wasser gefülltes Glas, erscheint er dem Auge gebrochen. Wie ungenau unsere Beobachtungsgabe ist, zeigt sich, wenn mehrere Leute einen Autounfall beobachten. Ihre Augenzeugenberichte stimmen selten überein. So steht der Ausdruck „Ich glaube nur, was ich sehe“ auf unsicheren Beinen.

Wir Menschen bestehen nicht nur aus Leib, sondern auch aus Geist. Was das Auge für den Leib, ist die Vernunft für den Geist. Die Vernunft ist unser „Geistesauge“. Mit ihr erkennen wir die geistigen Werte, auf die wir unser Leben aufbauen sollen: Weisheit, Liebe, Gerechtigkeit, Freundschaft, Hilfsbereitschaft und noch viele andere geistige Werte. Aber auch hier besteht die Gefahr von Täuschungen, nicht von optischen, sondern von geistigen. Es gibt unendlich mehr geistige als körperliche Blinde. Anders ist es nicht zu erklären, dass es so viele verschiedene Religionen, philosophische Systeme, politische Ideologien und Parteiungen gibt, die sich widersprechen. Deshalb haben wir eine „erleuchtete Vernunft“ notwendig, die uns die wahren Lebenswerte erkennen lässt. Bleibt die Vernunft unerleuchtet, gebiert sie Monster, die viel Unheil in die Welt bringen.

Das haben wir doch mit der „braunen“ und mit der „roten“ Ideologie erlebt. Ihr Früchte waren: Konzentrationslager, Erschießungskommandos, Vergasungsanstalten, Deportationslager, Menschenverachtung und Diktatur. So traf das bekannte Goethe-Wort zu: „Er nennt´s Vernunft und braucht´s allein, um tierischer als jedes Tier zu sein!“ Alle unlösbaren Probleme haben als Ursache die „unerleuchtete Vernunft“.

Woher soll die „erleuchtete Vernunft“ kommen? Im Markusevangelium heilte Jesus einen Blinden. Nun konnte dieser sehen. Aber Christus wollte kein Arzt für Blinde, sondern Erleuchter für „Vernunftblinde“ sein. In diesem Sinne tat er den Ausspruch, den kein Sterblicher auszusprechen wagt: „Ich bin das Licht der Welt! Wer mir nachfolgt, wandelt nicht im Finstern!“ Er bietet uns mit diesen Worten die „Erleuchtung unserer Vernunft“ an, ohne die es auf Erden keinen Frieden gibt.

Die Wirkung dieser Verheißung sehen wir an Menschen, die sich ihre Vernunft durch Christus erleuchten ließen, wie der heilige Franz von Assisi, Mutter Teresa, Dietrich Bonhoeffer und so viele andere. Auch heute gibt es, Gott sei Dank, viele, viele Menschen, die sich das aneignen, was das Johannesevangelium ankündigt: „Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt!“ Es gibt heute viele christliche Gemeinschaften, die ihren Mitmenschen helfen, die in Not sind. Sie haben verschiedene Namen: Miserior, Brot für die Welt, Caritas, Rotes Kreuz und noch viele andere. Sie heilen Wunden, stillen Hunger und retten Leben von Mitmenschen, die von Menschen mit unerleuchteter Vernunft in Not und Elend gestürzt werden.

Deshalb gleichen Menschen mit unerleuchteter Vernunft dem Passagierdampfer, der an der kalifornischen Küste strandete. Die Mehrheit der Fahrgäste kam ums Leben. Das Unglück war auf einen Irrtum zurückzuführen. Der Steuermann hatte das Licht eines Scheinwerfers an Land, der eine Arbeitsstelle beleuchtete, fälschlich für den Leuchtturm zum Hafeneingang gehalten. Lassen wir uns nicht von den vielen Irrlichtern in unserer Zeit beirren. Der Leuchtturm, der uns den Weg zum Heilshafen zeigt, ist Jesus, „das Licht der Welt“. Er allein soll unsere Vernunft erleuchten.