Die helle Seite des Corona-Jahres

Die Pandemie hat mich und meinen Sohn näher gebracht

Foto: Robert Tari

Das war vielleicht ein Jahr. Vor zwölf Monaten hätte ich mir eine Welt mit Corona nicht vorstellen können. Die Gedanken an eine mögliche Pandemie, welche die Menschheit dahinraffen könnte, schwirren zwar seit Jahren in den Köpfen von Filmemachern und Autoren. In Vergleich zu ihren fiktiven Zukunftsvisionen haben wir Menschen es doch allgemein leicht gehabt. Aber es hat auch gezeigt, wie widerstandsfähig wir wirklich sind.

Die ersten Wochen waren verrückt: Mehl, Zucker und Toilettenpapier verschwanden aus den Regalen, Freunde und Bekannte gründeten Social-Media-Gruppen, um gemeinsam die drohende Apokalypse zu bequatschen und zwar so intensiv und verrückt, als ob es kein Morgen gebe. Dann folgten die obligatorischen Verschwörungstheoretiker und die Maskenverweigerer, oft auch viele Bekannte, die an konspirative Kräfte glauben und kaum an die Effizienz von drei Lagen Vliesstoff, die nur von zwei fragilen Gummibändern gehalten werden.

Die Corona-Pandemie hat unsere Gesellschaft geteilt. Es war kein einfaches Jahr für Menschen, die ihre Arbeitsstelle verloren haben, oder für jene, für die das Virus nicht bloß eine leichte Erkältung bedeutete. Ja, was uns in Wirklichkeit widerfahren ist, hat nichts mit den übertriebenen Hirngespinsten von Hollywood zu tun. Aber es bedeutete für viele Menschen tatsächlich einen Einsturz ihrer Welt.

Homeoffice

Ich hatte Glück: Keiner aus meiner näheren Familie wurde seit dem Ausbruch der Pandemie angesteckt. Ich habe meine Arbeitsstelle nicht verloren. Für mich ging mein Leben seine gewohnten Bahnen, mit einer Ausnahme: der Arbeit von Zuhause. Und ja, die Umstellung, in den eigenen vier Wänden zu arbeiten, war schwer. Es hat mir aber auch jede Menge Zeit mit meinem Sohn geschenkt. Ich hatte also wirklich Glück.

Unter keinen anderen Umständen hätte ich vermutlich so viel Zeit mit meinem inzwischen dreijährigen Sohn verbringen können. Während draußen eine Pandemie wütete, durfte ich meinen Sohn dabei beobachten, wie er seine ersten Entdeckungen macht. Er kennt Corona nicht und selbst wenn, würde er es nicht verstehen. Somit war seine Gesellschaft in dieser Zeit die wohl erfrischendste.

Ja, es ist manchmal schwer. Manchmal schauten meine Frau und ich uns an, dann schaute ich meinen Sohn an und ich musste unweigerlich an die Figur Rorschach aus dem Film „Watchmen“ denken, die die Worte herausschreit: „Ihr denkt, ich bin mit euch hier gefangen. Nein, ihr seid hier mit mir gefangen.”

Ein Kind bedeutet jede Menge Arbeit und ich bin auch nicht die Sorte Mensch, die anfängt, Blogs zu schreiben und sich als Theoretiker zu versuchen, nur weil ich die Erfahrung gemacht habe, einen Zweijährigen zu unterhalten, zu ernähren und auf seine Hygiene zu achten. Es hat mir lediglich geholfen, andere Menschen und besonders unsere Eltern zu verstehen. Diplom-Psychologe oder Lifestyle-Coach bin ich allerdings noch lange nicht. Das wird einem auch schmerzlich bewusst, wenn man als 32-jähriger Mann seinen Tiefpunkt erreicht - einer jener Tage, an denen das Telefon unentwegt klingelt, man in Arbeitsmails schwimmt, auf dem Herd das selbst zubereitete Mittagessen, leicht angebrannt, überläuft, die Küchenwände drumherum wie ein „Jackson Pollock“ ausschauen, die Windel gewechselt werden muss, der Postbote auf dem privaten Handy schon dreimal angerufen hat, weil er die neue Packung Windeln gebracht hat und aufgrund von Corona mir das Paket nicht vor meiner Haustür abliefern darf. Ein Problem löst immer eine Kettenreaktion aus. Und am Ende des Tages ist man dann wirklich geschafft und fragt sich, wie kriegen es die Frauen hin? Wahrscheinlich darum können sie inzwischen evolutionsbedingt mehrere Sachen gleichzeitig tun.

Stete Sorge

Meine Frau ist Ärztin. Was das für mich bedeutet? Meine Heldin. Was das in Corona-Zeiten bedeutet: Sorge. Jede Zwölf-Stunden-Schicht bedeutete überhöhtes Ansteckungsrisiko. Sie hat mehrmals Covid-Patientinnen behandelt und operiert. Die Angst, womöglich angesteckt zu werden, war und ist immer da. Und im Gegensatz zu mir konnte sie nicht einfach zu Hause bleiben und ihre Arbeit von Zuhause fortsetzen. Überhaupt hat sie die Pandemie schwerer getroffen als mich. Ich war nie extrovertiert. Erst jetzt, nach so vielen Monaten, spüre ich manchmal, dass mich die eigenen vier Wände zunehmend einengen.

Ihr aber fehlt das Reisen, das Ausgehen, sich mit Freunden zu treffen, ihre Arbeit hat ihr, denke ich, oft geholfen, diese Zeit, die uns zur Isolation gezwungen hat, besser zu überstehen.

Für mich war die Umstellung hart. Ich hatte erst vor zwei Wochen meine Arbeitsstelle gewechselt, als die Pandemie ausbrach. Mein neuer Arbeitgeber schickte uns sofort in Homeoffice. Seitdem habe ich das Büro nur noch einmal gesehen. Eine neue Arbeitsstelle unter diesen Bedingungen zu beginnen ist schwer. Die ersten Wochen fühlt man sich alleine gelassen, dann fühlt man sich leicht überfordert. Es fehlt der direkte, menschliche Kontakt. Jemand, der dir über die Schultern schaut. Und hinzu kommt natürlich der Alltag Zuhause. Arbeitskollegen, die auch Kinder haben, verstehen es sofort. Die anderen Kollegen versuchen es zu verstehen, können es aber nicht wirklich.

Auch ein schönes Jahr

Doch ich würde das letzte Jahr für nichts eintauschen wollen. Es war ein furchtbares Jahr. Nicht die Apokalypse von George A. Romero oder Terry Gilliam, aber auch kein Spaziergang. Ohne meine Familie, ohne meinen Sohn, hätte ich vermutlich durchgedreht. Denn alles, was von außen kam, aus der großen, weiten, erschreckenden Welt, klang und klingt verrückt. Wirtschaftskrise, Politikverdrossenheit, Pandemie, Armut, Tod. Mein Gegenmittel waren ruhige Nachmittage mit meinem Sohn – Lego bauen, Mickymaus-Zeichentrickfilme schauen, Kekse naschen, Verstecken spielen. Mein Gegenmittel waren die Augenblicke, wenn meine Frau nach Hause kam und ich wusste, dass es ihr gut geht. Mein Gegenmittel waren die einstündigen Spaziergänge, die man uns erlaubte, während den Quarantäne-Wochen. Nur wir drei, meine Frau, mein Sohn und ich.

Es ist eine vollkommen andere Welt. Ein vollkommen anderes Leben. Die große weite Welt spricht vom Grauen, meine kleine eingeengte Welt spricht vom Zusammensein.

Meine Frau sagt immer: Gut, dass unser Sohn davon nichts mitkriegt. Und sie hat Recht. Für ihn wird das Corona-Jahr nicht nachvollziehbar sein. Seine Erinnerungen an diese Zeit, wenn er welche haben wird, werden von uns sein und von der Zeit, die wir zusammen verbracht haben.

Das ist kein Appell für Ignoranz. Jeder Einzelne von uns muss aus dieser Erfahrung lernen. Wir können uns nicht wirklich abschirmen, so tun, als gebe es die Welt da draußen nicht. Es liegt weiterhin in der Verantwortung jedes Einzelnen, die Welt um uns herum zu hinterfragen und gegen Ungerechtigkeiten zu kämpfen.

Wir sollten aber niemals auch das Schöne im Leben vergessen. Und das sind unsere Familien, unsere Freunde und die Momente, die sie uns bescheren. Bevor ich Vater wurde, hätte ich meine eigenen Worte mit einem Augenrollen als schmalzige Klischees abgetan.

Die Corona-Pandemie hat Leben zerstört. Aber sie hat auch Leben gerettet. Nie wieder Corona, aber immer wieder eine Gelegenheit, meiner Familie und meinem Sohn näher zu sein.