Die Herausforderung der Wüste

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„Den Herrn, deinen Gott, sollst du anbeten und ihm allein dienen.“ (Mt 4,10)

„Wüste“ – ein Begriff, der spontan wahrscheinlich mit Erfahrungen wie Ausweglosigkeit, Verzweiflung, Hunger, Durst, Einsamkeit, Leere in Zusammenhang gebracht wird. Menschen erfahren das, was „Wüste“ bedeutet, vor allem in Zeiten von Lebenskrisen. Andererseits gibt es aber auch die Erfahrung, dass Menschen innere und äußere „Wüsten“ freiwillig aufsuchen. Sie gehen das Wagnis all der aufgezählten Unannehmlichkeiten und Beschwernisse ein. Warum?
Immer wieder begeben sich Menschen in die heiße, dürre Wüste, weil sie spüren, dass der Zeitpunkt gekommen ist, manches in ihrem Leben loszulassen, enttäuscht zu werden, sich zu öffnen für Veränderungen. Sie verzichten auf falsche Sicherheiten und riskieren Krisen sowie die Chancen und Gefahren, die mit solchen einhergehen. Krise heißt wörtlich „entscheidende Wende“, wobei die Richtung der Wende zunächst offen bleibt – ob Menschen ihre Chance wahrnehmen, sich durch die Krise ihrer ureigensten Berufung ein Stück mehr anzunähern oder der Gefahr erliegen, sich äußeren Versuchungen oder einer Fremdbestimmung auszuliefern. Wenn die Krise positiv durchgestanden wird, kann Neues erblühen und die eigenen Grenzen wieder ein Stück weiten.

Der Beginn des öffentlichen Wirkens Jesu´ setzt mit einer solchen „Krisis“ ein, mit einer Zeit in der Wüste, mit mehreren Versuchungen. Die Frage, die sich Jesus stellt, die er durchzustehen hat, bis er zu der für ihn richtigen und tragenden Antwort findet, ist die Frage nach seiner Bestimmung und Sendung. Wir dürfen nicht vergessen, dass Jesus zugleich Gott und Mensch ist. Der Böse will die menschliche Natur in Versuchung bringen und sie kompromittieren. In der Einsamkeit der Wüste wird der Kampf der gegensätzlichen Kräfte, die beide um ihn ringen, bis auf die Spitze getrieben. Deutlich wie nie zuvor spürt auch Jesus die allen Menschen eigene Versuchung einer Lebensgestaltung alleine aus eigener Kraft, gegründet auf dem falschen Selbstvertrauen auf die eigene Autorität, ohne Rückbindung an Gott. Es ist die Versuchung, mehr zu wollen oder zu glauben, mehr zu können, als dem Menschen von Gott bestimmt ist, eine Versuchung, die so alt ist wie die Menschheit selbst. Es ist jene Versuchung, die glaubt, sich ohnehin für das Gute zu entscheiden, weil das Böse fast nur eine Chance hat, wenn es in der Verkleidung des Guten, Nützlichen, Angenehmen an den Menschen herantritt.

Die Herausforderung der Wüste besteht darin, aus den vielen lockenden Stimmen jene herauszufiltern, mit der Gott leise und unauffällig um Jesus, um uns wirbt. Langsam reift die Einsicht, dass der Mensch nicht von Brot, von Essen und Trinken, von Geld und Karriere, von Reichtum, von Macht allein lebt oder leben kann. Gerade das Wesentliche in unserem Leben, die wirklich tragenden Werte wie Zuneigung, Freude, Trost, Liebe, die einen guten Teil unserer Identität ausmachen, können wir nicht selber erarbeiten, sie werden uns geschenkt. „Du bist in der Tiefe deines Daseins geliebt und angenommen!“ 

Das Einüben in der Wüste, sich selbst loszulassen und sich der bedingungslosen Lebenszusage eines Größeren anzuvertrauen, stellt die Weichen in Richtung eines tragfähigen Lebens und schenkt auch die Kraft zum Widerstehen in der nächsten Versuchung. 40 Tage dauert die Fasten- oder österliche Bußzeit. 40 ist ein bedeutender symbolischer Zahlenwert in der Bibel, der an Moses´ 40 Tage und 40 Nächte auf dem Berg Sinai erinnert, an die 40-jährige Wüstenwanderung des Volkes Israel, an Elijas´ 40-tägige Wanderung zur Gottesbegegnung auf dem Berg Horeb. 40 Tage und Nächte verbrachte auch Jesus in der Wüste. 40 Tage blieb Jesus mit den Aposteln (aber auch mit uns, den Getauften) zusammen, nach der Auferstehung, bis zu seiner Himmelfahrt. Das ist jene Zeit, die ein Mensch anscheinend braucht, um mit sich, mit den anderen und mit Gott ins Reine zu kommen, und um eine gute Entscheidung für einen tragfähigen Weiterweg zu treffen. Jedes Jahr werden uns diese 40 Tage auf dem Weg nach Ostern für unsere Neuorientierung geschenkt. Es liegt an uns, ob wir sie uns auch gönnen!

Bearbeitung nach: Messtexte, Erzdiözese Wien