Die Klimaterroristen

Ein Zeitungsartikel von 1912, der vor der Klimaerwärmung durch Kohleverbrauch warnt. Aufklärung hat sich nicht als effizientes Mittel erwiesen.

Die Erde wird in absehbarer Zeit recht leer um die Sonne kreisen: Viele Tier- und Pflanzenarten werden wohl genauso von ihrer Oberfläche verschwunden sein wie unsere Zivilisation. Der durch Menschen verursachte Klimawandel sowie das ebenso menschengemachte massenhafte Sterben der Arten sind Phänomene, deren Ursachen und Auswirkungen seit Langem und allgemein bekannt sind, gegen die aber kaum etwas unternommen wird. Aber sind es wirklich „die Menschen“, die all dies verursachen? Und was hat es mit „Klimaterrorismus“ auf sich?

Wer terrorisiert das Klima?

Einfach gesagt: Es sind nicht „die Menschen“, die diese Katastrophen verursachen, sondern nur ein Teil von uns nunmehr acht Milliarden. Laut dem Statistischen Bundesamt sind für 81 Prozent der CO2-Emissionen die G20 verantwortlich (Stand 2021) – also die EU und 19 weitere Industrie- und Schwellenländer, in denen knapp zwei Drittel der Weltbevölkerung leben. Interessant ist ein Vergleich der pro-Kopf-Emissionen: Laut Umweltbundesamt liegt etwa der durchschnittliche Ausstoß einer in Deutschland lebenden Person mehr als 60 Prozent über dem Weltdurchschnitt, und mehr als viermal so hoch wie der Wert von Indien (Stand 2016). Laut aktuelleren Zahlen der UN (2021) beträgt die Pro-Kopf-Emission in Deutschland 9,44 Tonnen; in Somalia, wo aufgrund der seit Jahren andauernden Dürre eine Hungerkrise wütet, 0,09 Tonnen; in Pakistan, wo zum zweiten Mal binnen eines Jahrzehntes eine Flut über ein Drittel des Landes zerstörte, 0,87. 

Das Problem mit den Reichen

Den finanziell Schwachen wird gerne vorgeworfen, dass sie keinen Müll trennen oder sich von Billigfleisch ernährten – die Zahlen sind aber eindeutig: Arme leiden stärker unter dem Klimawandel, Wohlhabende verursachen ihn stärker. Um es in ein Bild zu fassen: Arme Menschen leben in schlecht isolierten, im Sommer immer heißeren Wohnungen an den Ausfallstraßen der Städte, wo die Luftverschmutzung am höchsten ist, weil sich hier die Autos der Wohlhabenderen stauen, die zu ihren Häusern im Grünen pendeln.

Aber die dadurch angerichteten Schäden verblassen angesichts dessen, was Superreiche sich gönnen: Die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung verursachen laut des NGO-Verbunds Oxfam die Hälfte der weltweit ausgestoßenen Treibhausgase. Umgekehrt produziert die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung nur etwa 10 Prozent aller Emissionen. Die 600 Millionen Menschen, die die ärmere Hälfte Chinas ausmachen, produzieren nur ein Drittel so viele Emissionen wie die 30 Millionen der reichsten US-Bürger und -Bürgerinnen. 

Aber tun die Superreichen nicht auch was gegen den Klimawandel? Schließlich hat Jeff Bezos, Gründer von Amazon und einer der reichsten Menschen der Welt, gerade angekündigt, 124 Milliarden Dollar  zu spenden. Die Summe ist beeindruckend, aber das Geschäftsmodell von Amazon deswegen nicht weniger klimaschädigend. Meist gießen die Reichen ihre Wohltätigkeit in die Form einer Stiftung, aus guten Gründen: Zum einen können Gelder so von der Steuer abgesetzt werden, zum anderen behält der Stifter die Kontrolle über deren Verwendungszweck. Den Staaten entgehen so große Summen, über deren Verwendung eine demokratische Öffentlichkeit mitentscheiden könnte, stattdessen entscheidet ein einzelner reicher Mann – den das Wohl anderer bislang wenig kümmerte.

Der Terror der Nichtsnutze

„Terrorismus“ bedeutet, vereinfacht gesagt, die eigenen Interessen mit Gewalt durchzusetzen. Die meisten denken dabei an islamistische Selbstmordattentäter oder deutsche Rechtsextreme – deren Morde mit kurzfristigen Verkehrsblockaden gleichzusetzen ist offensichtlich absurd und soll die Kritik an der Klimapolitik diskreditieren. Der Begriff kommt aus dem rechtspopulistischen bis rechtsextremen Lager, das lange Tradition darin hat, die Wut des braven Bürgers gegen renitente Jugendliche zu schüren. 

In Deutschland etwa warnt der stellvertretende Bundessprecher der Alternative für Deutschland, Stephan Brandner: „Schließlich waren es genau jene politischen Kräfte um Merkel, die viele Jahre Linksextreme und Klimaterroristen gepäppelt, gefördert und geduldet und größtmögliche Akzeptanz gezeigt haben. Schon bei der RAF und deren Vorgängern Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre fing es ähnlich an (...)“. Die Schweizerische Volkspartei bedient alte Feindbilder und bezeichnet die „Klimaterroristen“ auf ihrer Homepage als „Nichtsnutze“, die „vom Ausland finanziert werden“. Christian Hafenecker, Parlamentarier der Freiheitlichen Partei Österreichs fordert in einer Aussendung, die „Klimaterroristen“ müssten vom Verfassungsschutz beobachtet werden – mit der doch verblüffenden Begründung: „Das sind wir unseren Kindern schuldig!“ 

Es gab keine Attacken auf Kunst

Worin genau besteht nun dieser Terror? Vor allem zwei Protestformen haben zuletzt für Aufmerksamkeit gesorgt: Sich mit den Händen auf den Straßenbelag zu kleben, und Flüssigkeiten auf das Panzerglas zu schütten, hinter dem Gemälde in Museen hängen. Denn dies sei betont: Es gab keine Attacken auf Kunst. Es war kein Schaden an den Gemälden intendiert, und es ist kein Schaden entstanden – auch wenn zahlreiche Schlagzeilen das Gegenteil behaupten. 

Es ist eine höchst effiziente Protestform: Es wird kaum Geld, Expertise oder Werkzeug benötigt, nichts und niemand kommt dabei zu Schaden, und dennoch wird maximale Aufmerksamkeit generiert. Und wie alle jemals stattgefundenen Proteste ziehen sie Hass und Wut auf sich – Barbaren, die unsere Zivilisation zerstören wollen und weggesperrt gehören!

Andere bringen ihre Kritik eloquenter vor: Sabine Haar etwa, Leiterin des Kunsthistorischen Museums Wien, spricht in einem Interview von „Vandalismus“, nachdem Aktivisten Erdöl auf das Glas vor einem Klimtgemälde schütteten: „(…) die Aktivisten sollten andere Maßnahmen ergreifen und sich andere Zielgruppen suchen, bei denen ihr Anliegen sinnvoller platziert werden könnte“, meint sie weiter. Wenn man aber bedenkt, dass der Erdöl- und Chemiekonzern OMV Generalsponsor des Museum ist, dann scheint das Bild vom giftigen schwarzen Öl, das die Schönheit des Kunstwerks besudelt, stimmig. Haag sieht kein Problem darin, durch das Sponsoring das Image der OMV aufzupolieren und verweist darauf, dass die OMV mit ihrem Geld Bildungsangebote für Kinder und Jugendliche ermögliche. Was nicht einer gewissen Ironie entbehrt. 

All die negativen Reaktionen unterstreichen aber nur, was die Aktivistinnen laut eigenen Aussagen aufzeigen wollten: Dass die (vermeintliche) Zerstörung eines Gemäldes uns mehr empört als die irreversible Zerstörung unserer Lebensgrundlage. Dass ein Gemälde von Monet, das die Schönheit der Natur zeigt, uns schützenswerter gilt als diese Natur selbst. 

Das ist wohl auch der Grund, warum diese Proteste so viel Aggression auslösen: Sie legen den Finger da hin, wo es weh tut. Um Kunst geht es all den Empörten wohl kaum, das zeigt der Fall um den Millionär Martín Mobarak: Im Juli verbrannte er öffentlich ein Bild von Frida Kahlo, um seine NFTs (eine Art digitales Abbild) teurer verkaufen zu können. Die Öffentlichkeit blieb recht ungerührt.

Stau und Stau

Für noch viel mehr Wut sorgt die Protestform, sich mit den Händen am Straßenbelag anzukleben. Dazu Mut: Zahlreiche Videos zeigen, wie die Festgeklebten von Autofahrern beschimpft, angespuckt und auch verprügelt werden. Online raten viele der Polizei, die Protestierenden einfach festkleben (sprich, sie totfahren) zu lassen.

Das ist insofern paradox, dass Autofahrer und -fahrerinnen doch in Geduld geübt sein müssten: Im Jahr 2018 etwa stand ein Auto in Berlin im Schnitt 154 Stunden im Stau. Schuld sind daran aber nicht Protestierende, sondern „hohes Verkehrsaufkommen“, wie etwa in einer Auswertung des deutschen Bundestags nachzulesen ist – also: die Autos selbst. Städte sind nicht darauf ausgerichtet, dass jedes Individuum mehrere Quadratmeter Platz benötigt, und auch auf den vielen Spuren der Umfahrungsstraßen haben die freien Bürger während der Rush Hour meist keine freie Fahrt – aber das wird ebenso in Kauf genommen wie all die Verheerung an Städten, Natur und Menschenleben durch den motorisierten Individualverkehr. Es sei denn, der Stau wird nicht durch die Autofahrer und -fahrerinnen selbst, sondern durch Proteste ausgelöst – dann ist es „Terror“. 

Gepflegter Zynismus

Während manche mit verbaler oder gar körperlicher Gewalt auf die Proteste reagieren, erteilen andere wohlgesonnen Ratschläge: Jugendliche sollen nicht auf der Straße herumsitzen, sondern studieren gehen und die Technologien erfinden, mit denen man die Erderwärmung bekämpfen könne. Diese Technologien sind sehr beliebt: Sie sind das Versprechen, dass wir so weiter machen können, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Wir haben aber keine Zeit mehr – wir warten ja auch noch auf die eierlegende Wollmilchsau. Und zahlreiche umweltfreundliche Technologien, über die wir teils seit Jahrzehnten verfügen, kommen nicht zum Einsatz, weil mit Erdöl mehr Geld zu machen ist. 

Andere meinen, die Jugendlichen sollten doch in die Politik gehen, um etwas zu ändern. Auch dazu fehlt schlicht die Zeit, und wer glaubt, Politik bestehe nur aus Ämtern und Anzügen, hat Demokratie nicht verstanden. 

Und wir haben ja bereits Politiker und Politikerinnen, die Maßnahmen umsetzen könnten und angeblich auch wollen: „Die Straßenblockierer und Museumsrandalierer diskreditieren das eigentliche Ziel, das wir alle miteinander teilen, nämlich beim Klimaschutz weiter voranzukommen“, sagt etwa Friedrich Merz. Merz ist seit 1972 politisch engagiert und seit 2021  Bundesvorsitzender der CDU, die Liste seiner politischen Ämter ist lange. Daneben saß er in zahlreichen Aufsichts- und sonstigen Räten, etwa bei BlackRock – einer der mächtigsten Vermögensverwalter der Welt. Wie hat Merz seinen Einfluss genutzt, um „beim Klimaschutz weiter voranzukommen“? Als er 2022 Vizepräsident des Wirtschaftsrates war, sprach sich dieser gegen eine Ausweitung der Klimapolitik aus und nannte die Pläne der EU zur Anhebung des Klimaschutzziels „überzogen“. Merz gehört zu denjenigen, die Mitverantwortung tragen an der momentanen Situation, seine Kritik an den Jugendlichen ist zynisch.

Beispielhaft für viele ist derDeutsche-Welle Redakteur Stefan Dege: Er betont in einem Kommentar das Recht auf zivilen Ungehorsam und dass der Klimawandel eine reale Gefahr darstelle. Aber: „Kartoffelbrei auf einem Bild rettet kein Klima. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Kunstangriffe sind das falsche Mittel.“ Natürlich rettet Kartoffelbrei kein Klima – was Dege aber verkennt: Protest ist die Methode, mit der Menschen ohne politische Macht Druck auf Menschen mit Macht ausüben, um auf die Beachtung ihrer Interessen zu insistieren. Es liegt weder in der Macht noch in der Verantwortung von Jugendlichen, den Ausstoß von CO2 eigenhändig zu reduzieren – es ist die Verantwortung  der Mächtigen. Jugendliche können nur Aufmerksamkeit für ihr Anliegen generieren, wie sie das ja erfolgreich tun.

Und die anderen Mittel? Welche denn?  Wissenschaft und Medien leisten seit Jahrzehnten Aufklärungsarbeit, es wurde weitgehend ignoriert. Die Fridays for Future-Leute sind über Jahre friedlichst marschiert, sichtbarste Folge waren Autoaufkleber mit der Aufschrift „Fuck you Greta“. Und Thunbergs Reden vor Politikern kehrten etwa so regelmäßig und folgenlos wieder wie der UN-Klimagipfel, der vergangene Woche zum 27. Mal verstrich, ohne dass irgend etwas beschlossen wurde, das die Katastrophe auch nur eindämmen würde.