Die nächste Pandemie – nur eine Frage der Zeit?

Coronaviren verstehen: Ursachen der Pandemie, bisherige Erkenntnisse und Herausforderungen der Immunforschung

Coronavirus : tückisch ästhetisch

Wahrscheinliches „Missing Link“: das Schuppentier

Chinesische Wetmärkte Fotos: Wikimedia Commons

Der Coronavirus SARS-CoV-2 lebt in Fledermäusen. Warum infiziert er dann plötzlich Menschen? Fledermäuse gelten als Reservoir-Wirte für unzählige andere Coronaviren. Heißt dies, dass eine neue Pandemie jederzeit entfesselt werden könnte? Und wie ließe sich dies verhindern?
Der Coronavirus SARS-CoV-2 ist hoch infektiös. Maßnahmen der sozialen Isolation dienen dazu, die Zahl der gleichzeitig Infizierten gering zu halten, damit das medizinische System nicht überfordert zusammenbricht. In manchen Köpfen kursiert aber auch die Idee, sich auf „Corona-Partys“ gezielt anzustecken, um dann immun zu sein – aus patriotischen Gründen, um der Isolation zu entkommen oder um die Familie zu schützen. Was ist dran an der Idee?


Die Verlangsamung der Pandemie gibt der Wissenschaft Zeit. Zeit, ein Heilmittel zu finden. Zeit, eine Impfung zu finden. Aber: Können wir im Falle von SARS-CoV-2 wirklich auf Immunschutz hoffen – sei es, durch erworbene Immunität, sei es durch Impfung? Es gibt Viren, bei denen dies nicht der Fall ist.  Was weiß die Wissenschaft über SARS-CoV-2? Was weiß sie noch nicht und worüber diskutieren Wissenschaftler aktuell?

Anthony Fehr von der Universität Kansas studiert  Coronaviren seit 2012. In einem Interview im „Kansas City Magazine“ (20. März) beschreibt er den Unterschied zwischen Covid-19 und anderen Erkältungskrankheiten, erklärt die Herkunft des Virus - und beantwortet die Frage, ob wir in Zukunft mit weiteren, ähnlichen Ausbrüchen rechnen müssen.

Erkältungsviren bleiben in den oberen Atemwegen. Grippeviren, SARS und SARS-CoV-2 können bis in die Lunge absteigen und sich dort aggressiv vermehren. Fehr beschreibt die asymptomatisch Infizierten als jene, deren Immunsystem diesen Abstieg wahrscheinlich rechtzeitig verhindert hat. Der Virus wird entweder gestoppt, bevor er die unteren Atemwege erreicht, oder so lange in Schach gehalten, bis der Körper Antikörper gebildet hat. Bei alten und kranken Menschen sind diese Funktionen jedoch oft gestört.

China auch in Zukunft ein wahrscheinlicher Herd

Fehr warnt vor weiteren Ausbrüchen mit Coronaviren. Die Fledermaus, von der auch SARS-CoV-2 ausging, ist ein Reservoir-Wirt für Coronaviren und es sei nur eine Frage der Zeit, wann diese über andere Tiere, die als Zwischenwirt fungieren, auch an den Menschen gelangen. Warum diese Ausbrüche – wie auch die Epidemien mit SARS und MERS, ebenfalls von Coronaviren verursacht - meist in China beginnen?  Sowohl in China wie auch in Afrika gibt es sehr große Fledermaus-Populationen. Doch in China findet eine häufige Konfrontation mit  Fledermäusen und anderen Tieren statt, die als Zwischenwirt zum Menschen dienen. Exotische Tiere, mit denen der Mensch normalerweise kaum in Berührung kommt, treffen dort auf Märkten auf dem Menschen nahestehende Tiere, die sich als Vektor eignen. So gab es vor zwei Jahren in China eine Coronavirus-Epidemie in Schweinen, die aber rechtzeitig gestoppt werden konnte. Fledermäuse hatten die Schweine infiziert, es gab aber noch keinen Übersprung vom Schwein auf den Menschen.

Am schlimmsten ist ein solcher Übersprung, wenn anschließend eine Mensch-zu-Mensch Übertragung erfolgt, was eigentlich schon lange erwartet wurde. Bei SARS-CoV-2 war genau dies der Fall. Aufgrund unserer globalisierten Lebensweise besteht dann die Gefahr einer Pandemie. Man kann den Menschen weitgehend von Schweinen isolieren, nicht aber von anderen Menschen.

Den Zwischenwirt entfernen

Bei der Frage, wie sich diese Infektionskette von Fledermaus zu Mensch verhindern lässt, ist es wichtig, die Rolle des Zwischenwirtes zu verstehen. Im Falle von SARS-CoV-2 steht das Malaiische Schuppentier (Manis javanica) in starkem Verdacht, wie eine am 26. März in „Nature“ veröffentlichte Studie (www.nature.com/articles/s41586-020-2169-0) verrät. Sie zeigt, dass das genetische Material des Coronavirus, das aus Schuppentieren isoliert wurde, zwischen 85,5 Prozent und 92,4 Prozent dem von SARS-CoV-2 entspricht.  Nun sollte man meinen, dass dieses exotische Tier dem Menschen nicht unbedingt näher steht als die Fledermaus.

Falsch! Es ist das weltweit am meisten geschmuggelte Wildtier und erfreut sich ausgerechnet in China großer Beliebtheit. So stammen auch die in der Studie untersuchten Coronaviren aus Tieren, die in Anti-Schmuggel-Operationen in Südchina sichergestellt wurden. Wenn sich das Schuppentier als Zwischenwirt bestätigt, müsste es dringend von den chinesischen Märkten entfernt werden! Dann wäre zumindest ein Teil der Gefahr weiterer Pandemien  mit Coronaviren gebannt. Schuppentiere gelten jedoch in China als Delikatesse, ihr Fleisch wird auf dem Schwarzmarkt mit bis zu 1000 Dollar gehandelt. Die Schuppen hingegen sind als Volksheilmittel gegen Asthma und Arthritis gefragt. Große Nachfrage nach dem Fleisch und den Schuppen besteht allgemein in Asien und Afrika, vor allem jedoch in China und Vietnam, wie Tierschutzorganisationen aufzeigen. Zwar ist das Schuppentier seit 2016 durch das Washingtoner Artenschutzübereinkommen weltweit geschützt, gilt aber trotzdem als das am meisten geschmuggelte Tier. In den letzten zehn Jahren landeten etwa eine Million Schuppentiere aus asiatischen und afrikanischen Wäldern auf dem Schwarzmarkt.

Auch Arnaud Fontanet vom Pasteur-Institut in Frankreich warnt: Fast alle Coronaviren, die den Menschen infizieren können, stammen von Wildtieren. Die SARS-Epidemie 2002, ebenfalls durch einen Fledermaus-Coronavirus verursacht, hatte als Zwischenwirt eine Schleichkatzenart, die in China als Delikatesse gilt.

Fehr hält weitere Pandemien für unvermeidlich, solange China diese Märkte nicht unterbindet: „Es gibt einfach zu viel genetisches Material da draußen.“ Selbst wenn man eine Impfung gegen Covid-19 finden sollte, das nächste derartige Ereignis sei vorprogrammiert. Es sei nur eine Frage der Zeit.

Die Crux mit der Immunität

Forscher arbeiten mit Hochdruck an einem Impfstoff. Doch ob und wie lange ein solcher schützt, ist noch völlig unklar. Es gibt Viren, die so schnell mutieren, dass man gar keinen Impfstoff entwickeln kann – etwa die Schnupfen auslösenden Rhinoviren, erklärt Fehr. Es gibt aber auch Krankheiten, die bei einer Zweitinfektion oder nach einer Impfung – also dann, wenn Antikörper gebildet wurden – wesentlich schlimmer ausfallen. „Im allgemeinen reduzieren Antikörper das Risiko einer zweiten Infektion“, erklärt auch Epidemiologin und Biostatistikerin Greta Bauer von der Western University in London, Ontario, gegenüber der „New York Times“ (8. April). „Doch bei manchen Viren, etwa beim Dengue-Fieber, können sie bei der nächsten Infektion zu schwereren und sogar tödlichen Verläufen führen.“

Selbst wenn Antikörper im Fall von Covid-19 schützen sollten, stellt sich die Frage, wie lange der Schutz anhält. Idealerweise  ist man nach der Erstinfektion lebenslänglich geschützt, wie bei Masern, erklärt Marc Lipsitch , Professor für Epidemiologie und Immunologie an der Harvard T. H. Chan Schule für öffentliche Gesundheit gegenüber der „New York Times“ (13. April). Doch bei den von Wildtieren übertragenen Viren liegen die Dinge komplizierter. Von den Erfahrungen mit SARS und MERS ausgehend schätzt er die Zeit der Immunität bei Covid-19 auf etwa ein Jahr. Erste Beobachtungen von anderer Seite scheinen dies, bei aller Vorsicht, zu unterstützen. Doch warnt auch er vor der Möglichkeit einer immunverstärkenden Wirkung der Antikörper, wie z.B. bei Flaviviren der Fall. Dann binden die bei der Erstinfektion gebildeten Antikörper bei der Zweitinfektion zwar an den Virus, neutralisieren ihn aber nicht, sondern helfen ihm sogar, an die Wirtszelle anzudocken. „Solche Mechanismen werden für Coronaviren immer noch untersucht, aber die Befürchtung, dass sie im Spiel sein könnten, ist eines der Hindernisse, die die Entwicklung von experimentellen Impfstoffen gegen SARS und MERS verzögert haben“, erklärt Lipsitch. Eine weitere schlechte Nachricht: Eine Krankheit mit leichtem Verlauf erzeugt möglicherweise keinen oder unzureichenden Immunschutz. So reagierten 70 Prozent von 175 chinesischen Patienten mit milden Symptomen zwar mit starker Antikörperbildung, doch zeigten 25 Prozent nur geringe und fünf Prozent gar keine Immunantwort.

„Corona-Party“ – keine gute Idee!

Warum Coronavirus-Partys mit dem Ziel, sich zu infizieren und dann immun zu sein, keine gute Idee sind, erklärt Greta Bauer. Auch sie warnt: „Die Theorie der Herdenimmunität basiert auf einer anhaltenden Immunreaktion und wir haben noch nicht einmal he-rausgefunden, ob eine solche überhaupt existiert.“ Hierfür müsse man genesene Patienten über längeren Zeitraum untersuchen. Es gibt Fälle, in denen Patienten, die als geheilt galten, auf einmal wieder positive Testergebnisse hatten, was selbst kurzfristigen Immunschutz infrage stellt, meint Bauer. Auch sei immer noch unklar, ob der Virus jemals ganz aus dem Körper verschwindet. Viele Viren haben die Eigenschaft, sich dauerhaft einzunisten, lange Zeit symptomlos, um viel später andere Krankheiten auszulösen. So kann der Windpocken-Virus Gürtelrose auslösen oder der Hepatitis-B-Virus nach Jahren Leberkrebs. SARS-CoV-2 -Spuren wurden in Stuhl- und Blutproben von geheilten Patienten gefunden. Bedeutet dies, dass der Virus noch im Körper ist – oder sind es nur Abbauprodukte?

Zuletzt warnt sie, dass auch junge Leute zum Teil schwere Krankheitsverläufe zeigen, dass es mögliche, noch nicht bekannte Langzeitschäden geben könnte, dass auch ein „leichter Verlauf“ im medizinischen Sinne für den Erkrankten nicht immer leicht ist. „Leicht bedeutet nur, dass kein Krankenhausaufenthalt nötig ist. ‘Leicht‘ kann also wirklich leicht sein, es kann aber auch Lungenentzündung einschließen, brutal und beängstigend sein.“

Die Verzögerung der Verbreitung der Krankheit sei wichtig, vermittelt Bauer. Es rettet Leben in den nächsten Monaten und gibt Zeit, Behandlungen zu finden und die Krankenhäuser für Covid-19-Patienten zu rekonfigurieren. „Dies bedeutet, wer erst später krank wird, erfreut sich besserer Pflegebedingungen und wirksamerer Medikamente. Und natürlich gibt es uns mehr Zeit, die Genauigkeit der Tests zu verbessern, die Testkapazität zu erhöhen und einen Impfstoff zu entwickeln.“

Anthony Fehr arbeitet derzeit an nicht-mutierenden Proteinen in Coronaviren und wie deren Synthese blockiert werden könnte. „Wir sind Jahre entfernt davon, etwas am Menschen Anwendbares zu liefern“, gesteht er. „Doch ich treibe meine Forschung voran, bis zum nächsten Ausbruch.“