„Die Oper ist ein lebendiges Wesen“

ADZ-Gespräch mit dem Intendanten der Rumänischen Nationaloper Temeswar, Cristian Rudic

„Es ist ein Akt der totalen Hingabe und der Liebe“, sagt Cristian Rudic, der vor Kurzem das Amt des Opernintendanten angetreten hat. Foto: Zoltán Pázmány

Seit knapp zwei Wochen ist der aus Arad gebürtige Cristian Rudic offiziell der Intendant der Rumänischen Nationaloper in Temeswar/Timișoara. Der deutschsprachige Bariton, der die Temeswarer Musik-Fakultät der West-Universität abgeschlossen hat und schon seit seiner Studienzeit dem Opernensemble angehört, wird demnächst deutlich seltener auftreten und sich dagegen voll und ganz seiner Manager-Tätigkeit widmen. Wieso er sich um den Leitungsposten beworben hat und was er für die Oper plant, das verriet er ADZ-Redakteurin Raluca Nelepcu in folgendem Interview.


Sie haben vor Kurzem die Ausschreibung zur Besetzung des Intendantenpostens an der Nationaloper erfolgreich bestanden. Was hat Sie denn überhaupt dazu bewogen, dieses Amt anzustreben?
Ich werde aufrichtig sein. Ich habe, seit ich mich kenne, die Musen bedient. Erstens einmal als Sänger, dann auch als Schauspieler, Regieassistent, Musical- oder Operetten-Sänger. Ich bekenne mich vor allem als Opernsänger. Irgendwann in 2005 habe ich aufgehört, Oper zu singen, weil ich es nicht mehr so tat wie früher. Karriere ist mir ein Fremdwort. Ich bin einen gewissen Weg gegangen, der mich in große Theater, mit großen Rollen, als fast freischaffender Künstler geführt hat. Ich hatte die Ehre, von Tokio bis Wien, aber auch von Madrid über Bilbao und Las Palmas die Welt zu bereisen und meine großen Rollen zu singen. Dann habe ich die Weichen umgestellt und mich auf Operette, Musical und Schauspiel konzentriert. Es hat sich herausgestellt, dass ich es gut tat, und deshalb hat man mich auch in solchen Rollen engagiert. Ich war auch die Wahl des legendären Leiters dieses Hauses, des Meisters Corneliu Murgu, als eventueller Nachfolger – das war sein Wunsch. Ich habe mich nicht speziell dafür vorbereitet, aber die Sterne haben dazu beigetragen, dass ich als Studienleiter schon aktiv wurde, angefangen mit dem 23. August vorigen Jahres, also bin ich nicht nur auf der Bühne gestanden, sondern habe auch diesseits der Barrikade gespürt, wie so das Theaterleben geht. Ich kann Sicherungen auswechseln, den Souffleur oder Elektriker am Theater machen – ich kenne alle Tätigkeitsfelder, es ist meine Familie und die große Liebe für dieses Haus wird mich hoffentlich nicht verzehren, aber ausnutzen. Es ist ein Akt der totalen Hingabe und der Liebe.

Sie haben einige Aspekte Ihrer vielfältigen Tätigkeit erwähnt. Inwiefern wird Sie dieser Manager-Posten von Ihren Auftritten fernhalten? Werden Sie noch Zeit haben aufzutreten?
Absolut nicht. Man kann nicht alle Dinge auf einmal gut machen. Meines Erachtens ist es fast unmöglich, ein solches Haus zu leiten und sich auch dem Gesang zu widmen, weil beide zeitraubend sind und eine totale Hingabe voraussetzen. Ich werde weiter auf die Bühne gehen, in Rollen wie „Tevye“, zum Beispiel, manche Operettenrollen spielen, jedenfalls seltener, in gewissen Ausnahmefällen. Die Scheidung vom Publikum fällt schwer, aber so ist eben die Natur der Dinge. Es hat sich so ergeben, dass ich jetzt langsam, aber sicher von der Bühne wegtrete und mich der Organisation für die Bühne widme. 

Welche Schwerpunkte wollen Sie denn als Intendant der Nationaloper Temeswar setzen?
Es gibt keine Leichtpunkte (lacht). Wo soll ich da anfangen? Dieses Haus ist aus einer großen Liebe entstanden – die Liebe des Publikums zu den Sängern, zu dem Ensemble der Staatsoper. 1946 wurde die Institution von seiner Majestät König Mihai I. gegründet. Die erste Direktorin der Oper war die damals erfolgreiche Sängerin Aca de Barbu. Nach dem Wiener Diktat wurde das Land zerstückelt und ein Teil Siebenbürgens an Ungarn abgegeben. Aus dem Teil, der abgegeben wurde, ist die Klausenburger Oper nach Temeswar geflohen und in Temeswar haben die Klausenburger vier-fünf Jahre, bis zum Ende des Krieges, das getan, was sie konnten. Sie haben Oper gemacht. Die Hälfte der Sänger aus Klausenburg ist in Temeswar geblieben, weil sie sich hier zu Hause fühlten, und da sind wir, Banater, stolz darauf, denn das ist ein Beispiel der Banater Gastfreundschaft. Um diesen Kreis der Künstler hat sich dann ein ganzes Ensemble unter der Leitung von Aca de Barbu entwickelt, angefangen mit 1946. Es waren schwere Nachkriegsjahre, und trotzdem: Ich sprach von einer großen Liebe des Publikums zu dieser wunderbaren Kunst, zu diesem wunderbaren Abenteuer, das Oper, Operette und Musical heißt. Also die Anfänge sind da.

Was ich dazu noch sagen müsste: In Temeswar führen alle Wege in die Oper. Verzeiht Sie mir bitte die Subjektivität in diesem Fall, aber die Oper ist ein zentraler Punkt, auch geografisch betrachtet. Die Oper kommt aus einer großen Tradition und das muss irgendwo auch hinführen.
Da Sie mich nach Schwerpunkten fragten: Die Oper hat sich, seitdem es sie gibt, ein bisschen im Geschmack und in der dramaturgischen Darbietung verspätet. Die Oper ist ein Reigen aller Musen um den Gott Apollo herum, es ist die Gesamtvorstellung, das Genre, wo sich alle Künste vereinen, um der Tragödie zu dienen, d. h. bildende Kunst, d. h. Malerei, Bühnenbild, Architektur, Gesang, Klang, Instrument, Ballett. Aber der Wind in den Segeln des Schiffes, genannt lyrisches Theater, bleibt die schöne menschliche Stimme und der elegante, hochwertige Tanz. 

Oper war und blieb lange Zeit ein kostümiertes Konzert und diese Mentalität wollen wir langsam auch ändern, durch alle Mittel der Theatralität. Seit der Geburt des Genres heißt die Oper „Dramma per musica“, es ist Theater mit Musik. Und als tägliches Brot ist uns dieses Bühnenmäßige, Darstellende wichtig. 
Wir sind im 21. Jahrhundert, wo das Kind schon mit dem, was Fernsehen und Kino anbietet, mit dem Visuellen konfrontiert wird. Man vergleicht mit dem, was man auf „Mezzo“ sieht, also das Visuelle muss langsam zeitgenössisch werden. Musikalisch stehen wir sehr gut. Wir haben ein sehr schönes Ensemble, mit funktionierenden Gruppen wie Orchester, Chor, Ballett, Solisten. Ich würde uns mehr wünschen, aber ich muss schon sagen, dass wir für die Europäische Kulturhauptstadt 2021 bereit sind.

Um gute Projekte umzusetzen, braucht man auch eine passende Finanzierung. Wie ist es denn um die Finanzierung der Oper bestellt? Auch angesichts der Tatsache, dass einige Kulturprojekte in Temeswar in kleinerem Rahmen stattgefunden haben, weil eben die Finanzierung geringer ausgefallen ist – z.B. das Theaterfestival TESZT oder das Kurzfilmfestival „Timishort“, das nun heuer gar nicht mehr abgehalten wird.
Unsere Finanzierung kommt hauptsächlich vom Kulturministerium, wir bekommen aber auch Gelder vom Kreisrat und vom Bürgermeisteramt. Genau in Zeiten des sogenannten Nicht-Wohlstandes zeigen sich die Kräfte des Theaters dadurch, dass wir mit dem respektierten A-B-C des Theaters und mit den Mitteln des Hauses es so durchführen, bis bessere Zeiten kommen. Übrigens klagt man immer, dass kein Geld da ist. Oper ist sowieso eine ziemlich teure Angelegenheit. Wir kämpfen und ringen mit Finanzierungen und wir erlauben uns nicht mehr, als wir uns erlauben können. 
Doch ich kann und will nicht klagen. Erstens einmal ist das Klagen sowas von natürlich geworden. Zuerst müssen wir prahlen mit dem, was wir wirklich haben und wirklich stolz sein auf ein fantastisches Ensemble und ein hohes musikalisches Niveau und selbstverständlich, würden wir mehr Geld haben, würden wir auch mehrere neue Inszenierungen bauen können.

Vorläufig haben wir „La Bayadère“ als Premiere geplant, klassisches, romantisches, französisches Ballett, in der Choreografie von Ovidiu Matei Iancu, einem hervorragenden Tänzer und Choreografen. Das Bühnenbild baut der wohlbekannte Dragoș Buhagiar – meiner Meinung nach ist er einer der besten 15 Bühnenbildner der Welt. Am Pult wird der Maestro David Crescenzi stehen, ein Freund unseres Hauses schon seit vielen Jahren. Unser Ballettensemble wurde um 13 Tänzer aus allen Teilen der Welt erweitert. Wir haben Künstler aus Japan, Italien, Deutschland und Spanien und wir freuen uns wirklich auf eine bevorstehende Premiere am 15. November, zu der ich Sie gerne und herzlich einlade!

In den Beginn Ihrer Amtszeit fällt auch die Sanierung der Opernfassade. Wie ist zurzeit der Stand der Dinge?
Ich wurde vor ungefähr zwei Stunden von Herrn Vizebürgermeister Dan Diaconu darüber unterrichtet, dass die Arbeiten an der Fassade langsam, aber sicher beginnen. Das Gebäude gehört dem Bürgermeisteramt und es ist eine Angelegenheit, die lange verschoben wurde. Es ist zwar 5 vor 12, aber Gott sei Dank passiert es jetzt.

Wie bereitet sich Ihr Haus auf das Kulturhauptstadtjahr 2021 vor?
Die Frage ist, wie sich die Kulturhauptstadt auf unser Haus vorbereitet hat – mit einem gemeinsamen Projekt, wahrscheinlich das erste im Kulturhauptstadtjahr – ich bestehe darauf, dass das erste große Projekt zusammen mit der Oper umgesetzt wird. Ich kann Ihnen jetzt nicht sehr viel verraten, aber es ist eine in Rumänien repertoiremäßig noch unbespielte Wiese. Es sind die besten Meister, die nicht nur in Rumänien, sondern auch international anerkannt sind, und die Besetzung ist auch brillant.
Dass Temeswar Europäische Kulturhauptstadt 2021 ist, ist ein Bonus, und wir werden sicher nicht die Gelegenheit verpassen, uns als Hauptbestandteil des Kulturlebens dieser Stadt und dieser Region zu zeigen, so multikulturell wie sie ist. Als Beispiel dient ja das Haus an sich. Es beherbergt das Nationaltheater, die Oper, das deutsche und ungarische Staatstheater.
Den Anfang habe ich genannt, nicht zu vergessen, dass auch Neusatz/Novi Sad, das unweit liegt, zur selben Zeit auch Kulturhauptstadt ist und da könnte neues Kulturleben für die ganze Region entstehen.

Welche internationalen Kooperationen werden überhaupt angestrebt? 
Die Oper an sich ist eine internationale Sprache. Wir singen alles, außer Operette und Musical, im Original. Wir sind international durch das Genre, zweitens bereisen wir nicht die ganze Welt, aber wir träumen von einer Tournee nach China, die bald organisiert wird. Wir laden berühmte Stars der internationalen Bühne ein. Wir haben berühmte Stars, die in Rumänien angefangen haben und die mittlerweile große Karriere gemacht haben. Einer der berühmtesten Baritone, für mich selbst, subjektiv, vielleicht der beste seines Fachs, George Petean, wird uns am 23. Oktober den „Rigoletto“ singen.

Sie haben vor Kurzem das Amt des Opernintendanten übernommen. Welche Schwierigkeiten kommen auf Sie zu und wie planen Sie, diese zu lösen?
Die Arbeit ist sehr zeitraubend. Es gibt Strukturen, die ich geerbt habe, es gibt ein großes Haus, das international vernetzt ist, es gibt auch Mentalitäten, die umzuändern sind, aber es gibt keine großen Schritte. Das Gute, das man geerbt hat, muss man zuerst ausnützen, und „peu à peu“ die Gedanken des 21. Jahrhunderts anpassen. Die Oper ist ein lebendiges Wesen, das anpassungsbedürftig ist. Die Oper kämpft mit der Freizeit des zahlenden Menschen. In einer Stadt mit über 30.000 Studenten ist es keine Schande, dass wir wei-terhin darum bestrebt sind, die Leute von der Mall zurückzuholen und in unser Haus zu dem Abenteuer Oper einzuladen.

Was kann man tun, um die jungen Menschen von der Mall in die Oper zu locken?
Die junge Generation ist abhängig vom Telefon, von Facebook, und das sind auch die Orte, wo man sie ansprechen muss. Das machen wir schon. Der erste Kontakt mit dem Theater, ob lyrisch oder nicht, ist sehr wichtig. Das erste Mal, wo der Mensch in die Oper kommt, soll er positiv überrascht sein und es als „in“, als „Mode“, als „bon ton“ empfinden, dass man in die Oper geht. Die Oper ist etwas Warmes, von Menschen – für Menschen. Der Mensch im Publikum soll sich auf der Bühne wiederfinden. In der Oper gibt es echte Affekte mit schöner Musik, mehr können wir nicht anbieten, als einen wunderschönen Traum für vier Stunden.