Die Schätze des Marchfeldes in Niederösterreich

Um Christi Geburt lösten römische Kriegszüge eine Flüchtlingsbewegung aus, mit der die ersten Germanen ins heutige Niederösterreich kamen

Garten Schloss Hof | Fotos Mag. Ignazius Schmid

Schloss Marchegg

Eine von 30 Mückenarten im Marchfeld

In der Römerzeit reiste man mit solchen Reisewagen im Marchfeld.

Gefäß zum rituellen Händewaschen in Löwenform. 1850 bei Orth in einem Feld gefunden

Gemälde im Schloss Hof

Sala terrena in Schloss Hof

Urkunde von 1268, mit der Marchegg von Premysl Ottokar II. gegründet wurde

Blick auf Schloss Niederweiden

In der Barockzeit erlebte das Marchfeld durch die Jagdveranstaltungen der Hocharistokratie eine gesellschaftliche Hochblüte, die am Ende des Ersten Weltkrieges, nach der offiziellen Abschaffung des Adels, in Bedeutungslosigkeit versank. Es setzte der gesellschaftliche Niedergang ein – landwirtschaftlich blieb das Marchfeld aber die Kornkammer Österreichs. 
Zu Zeiten, als der Adel in Österreich noch bedeutungsvoll war, hatten adelige Familien im Marchfeld ihre Schlösser, die bevorzugte Orte aristokratischen Jagdvergnügens waren. Entweder wurden mittelalterliche Bauten übernommen und ausgebaut – wie das mächtige Schloss Orth aus dem 10. Jahrhundert, das heute am Eingang des Nationalparks Donau-Auen steht –, oder es wurden im 18. Jahrhundert Schlösser erbaut – wie Schloss Hof, das 1725 von Johann Lucas von Hildebrandt für Prinz Eugen errichtete prächtige barocke Lustschloss. 


Weitere Schlösser an der March und an der Donau bilden heute die Marchfelder Schlossstraße: Schloss Niederweiden nächst Schloss Hof, 1693 vom berühmten Architekten Johann Bernhard Fischer von Erlach gebaut, Schloss Eckartsau, die aus dem 12. Jahrhundert stammende Burg, die 1720 von Joseph Emanuel Fischer von Erlach zum Jagdschloss ausgebaut, kurze Zeit vom letzten Habsburger Kaiser Karl I. und seiner Familie bewohnt und am 23. März 1919 zur „Grabstätte der Monarchie“ wurde; von hier reiste der letzte Habsburger ins Exil. Schloss Marchegg, 1260 von Premysl Ottokar II. erbaut, nachdem er den ungarischen König Béla IV. in der Schlacht bei Groißenbrunn besiegt hatte. Schloss Jedenspeigen, erstmals 1113 genannt, nahe dem die entscheidende Schlacht zwischen Premysl Ottokar II., dem Gegner des ersten Habsburger Kaisers Rudolf I., im Jahr 1278 geschlagen wurde. 

Das Marchfeld hat also für den ersten und 650 Jahre später für den letzten Habsburger-Kaiser eine wichtige Rolle gespielt. So ist es nachvollziehbar, dass dank der reichen Geschichte Schloss  Marchegg für die Niederösterreichische Landesausstellung 2022 ausgewählt wurde.

Landesausstellungen – Annalen der Geschichte 

Seit dem Jahr 1959 gibt es in Niederösterreich Landesausstellungen, erst in unregelmäßigen Abständen, dann jedes Jahr und seit 1994 im Zwei-Jahres-Abstand, wechselweise mit den Ausstellungen auf der Schallaburg. Als Örtlichkeiten hat man vorzugsweise Burgen, Schlösser, Stifte oder andere historisch interessante Gebäulichkeiten dazu hergenommen, sie vorab sorgfältig restauriert und dann einem erweiterten öffentlichen Besuch zugeführt. Die Themen waren sehr unterschiedlich gewählt, waren einer Epoche der Kunstgeschichte oder berühmten Künstlern gewidmet, einer politischen Ära oder bestimmten Herrschern und manch anderem aus Kultur und Natur. 

Landesausstellungen erfüllen zweierlei Zweck: einerseits dienen sie der Sanierung wertvoller Gebäulichkeiten, und zweitens wird Allgemeinbildung auf sympathische, anschauliche Art für alle Generationen vermittelt. 1978 war schon einmal Schloss Marchegg mit dem Thema „Jagd einst und jetzt“ an der Reihe, 2022 war es das gesamte Marchfeld und seine Bedeutung. In verdankenswerter Weise wurde das Thema breit ausgelegt, umfasste die Ur- und Frühgeschichte, die Natur und die Besiedlungsgeschichte, seine Bedeutung als Schlachtfeld, die Industrialisierung und die Landwirtschaft, die Stärken und Schwächen des oft als „topfeben“ beschriebenen Landes mit nur geringen Anhöhen. 

900 Quadratkilometer sind es, die sich östlich von Wien, von der Donau bis an die March, den nord-südlichen Grenzfluss zur Slowakei, erstrecken. Entlang der beiden Flüsse haben viele kleine Nebenarme eine ausgedehnte Auenlandschaft entwickelt, in der man sich nicht immer so leicht fortbewegt wie in der Landschaft der Voralpen. Die lange geschlossene Grenze in den Osten trug ihr Übriges zum Gefühl der Sackgasse bei. Den Reisewünschen der Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg entsprechend fuhr man nun in die Berge, in fremde Länder oder ans Meer … Der moderne Fremdenverkehr hat auf das Marchfeld vergessen. Zunächst mag ja ein Steinbock auf einer Felswand imposanter aussehen als ein Molch in einem Tümpel, aber der Wert einer Landschaft lässt sich auch an ihrer belebten Vielfältigkeit ablesen, und damit geizt das Marchfeld keineswegs. Höchste Zeit also, auch hier die unbekannten Schätze des Marchfeldes ans Licht zu bringen. 

Die Geologie des Marchfeldes

Wo sich heute Getreide- und Gemüsefelder erstrecken, tummelten sich vor 15 Millionen Jahren Haifische. Bis heute bewegt sich die Afrikanische Platte in Richtung Europa. Der unterirdische Druck verursacht im Marchfeld von Zeit zu Zeit wahrnehmbare Erdbeben, verschiedene Teile heben oder senken sich. Im Flussgebiet der Donau und der March kam es immer wieder zu gemeinsamen großen Überflutungen und zur Bildung von Schotterbänken. Durch die Donauregulierung von 1869 bis 1875 gehen diese Flüsse nun „eigene Wege“. Funde zeigen, dass hier Auerochsen, Wildpferde und Wildesel, Wildschweine, Hirsche, Rehe und Biber lebten, und von den nahen Karpaten Wisente und Elche zuzogen. Zudem liegt das Marchfeld am Westrand der eurasischen Steppenzone, für Vögel wie die Großtrappe und Bienenfresser geeignet. 

Der Niederschlag liegt deutlich unter der Hälfte des österreichischen Mittelwertes, es ist eine der trockensten Regionen des Landes. Im Norden des Marchfeldes gibt es richtige Flugsanddünen, die durch die Vegetation jahrhundertelang gebunden waren, Rodungen und Landwirtschaft machten sie wieder mobil. Das Land zwischen Wüstensand und sumpfigen Auwäldern, mit seinen extrem großen Gegensätzen, hat sich hier zu einem artenreichen, spannungsgeladenen Stück Erde entwickelt. 

Die vor 7500 Jahren zugewanderten Ackerbauern und Viehzüchter fanden hierzulande bestes Acker- und Weideland vor. Verschiedene Kulturepochen hinterließen Relikte für aufschlussreiche Funde, wie beispielsweise aus der Jungsteinzeit die Notenkopfkeramik (5200 bis 4900 v. Chr.), die Schnurkeramik (3000 bis 2500 v. Chr.), aus der Bronzezeit die Veterov-Kultur (um 1600 v. Chr.), in der sich bereits eine adelige Oberschicht bildete, mit dem frühesten Nachweis von Reitpferden an der March. Aus der Urnenfelderkultur (1300 bis 750 v. Chr.) in der späten Bronzezeit fanden sich Tongefäße mit der Asche verbrannter Verstorbener. Gussformen für Metall wurden gefunden, Geweihschnitzereien, aus der Eisenzeit (750 bis 500 v. Chr.) fanden sich reiche Geschirrsätze, die von der Abhaltung kultischer Gastmähler zeugen. Ab der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. sind keltische Einflüsse erkennbar, die in der 1. Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr. durch das Vordringen germanischer Stämme in die Region nördlich der Donau wieder verschwanden.

Handel breitet sich aus

Erst waren Donau und March wichtige Handelswege, dann brachte die zunehmende Bedeutung der Bernsteinstraße dem Marchfeld Wohlstand, der nach dem Zusammenbruch des Römischen Reiches etwas zurückging. In der Zeit der Völkerwanderung wurde das Marchfeld wichtige Drehscheibe im Fernhandel. Die Donau ist die bedeutendste Ost-West-Achse Europas, die ihre Funktion als Verbindungsweg quer durch den Kontinent bis heute erfüllt. Die March hingegen ist ein zentraler Abschnitt der Achse vom Baltikum bis ans Mittelmeer. Am Kreuzungspunkt dieser wichtigen transkontinentalen Handelswege, dem Marchfeld, zeugen viele Funde aus fremden Kulturen von intensiven Fernkontakten. 

Um Christi Geburt lösten römische Kriegszüge eine Flüchtlingsbewegung aus, mit der die ersten Germanen ins heutige Niederösterreich kamen. Die wechselnden Beziehungen zwischen Germanen und Römern prägten das Leben. Kaiser Commodus bestimmte beispielsweise im Jahr 180, wann Quaden und Markomannen ihre Zusammenkünfte und Markttage abhalten durften. In römischer Zeit war das Marchfeld als Pufferzone zwischen der Provinz Pannonien südlich der Donau und dem germanischen Gebiet nördlich der Donau von strategischer Bedeutung. Die Donau als natürliche Grenze unterlag einer intensiven militärischen Kontrolle. An den Standorten der Legionen Vindobona (Wien) und Carnuntum (Deutsch Altenburg) sowie in kleineren Lagern dazwischen waren 14.000 Mann Infanterie und schnelle Reitertruppen stationiert. Die Römer gestalteten die Umwelt nach rationalen Gesichtspunkten, unterwarfen sie den Anforderungen von Wirtschaft und Macht und bauten Straßen, Wasserleitungen und Brücken – was für sie der Ausdruck von Fortschritt war. Ab 1838 führte die von Carl Ritter von Ghega gebaute Nordbahn von Wien nach Krakau durch das Marchfeld und brachte große wirtschaftliche Vorteile. 

Von den Babenbergern zu den Habsburgern

War das Marchfeld im ersten Jahrtausend nur dünn besiedelt, so änderte sich das durch das Interesse der Babenberger und kirchlicher Institutionen. Es entstanden verschiedene Herrschaften, und ab 976 standen die Babenberger als Markgrafen der neuen Mark vor, die sich langsam vom Alpenvorland über das Gebiet der Fischa erstreckte und bis zur March vorrückte. Immer wieder kam es zu Einfällen ungarischer Krieger. Die nach Osten durch das Marchfeld führende, 1045 erstmals genannte „Ungarische Straße“ wurde auch von den ostfränkisch-deutschen Königen bei ihren Feldzügen gegen die Ungarn benützt. Danach errichteten Adelige im Marchfeld zur Sicherung der gefährdeten Gegend ihre Burgen. Es entstanden immer mehr Siedlungen mit der nötigen Infrastruktur. Als die Babenberger 1246 in männlicher Linie ausstarben, war aus dem Marchfeld ein florierendes landwirtschaftliches Kerngebiet Niederösterreichs geworden. Bedroht wurde dieses immer wieder durch Fehden, Hungersnöte, Seuchen wie die Pest, Heuschreckenplagen…

Donau und March mit ihren Au- und Sumpfgebieten bereiteten den Heerführern verschiedener großer oder kleiner Schlachten beachtliche Schwierigkeiten, zehntausende Krieger ertranken. Zu den Feldherren, die aus diesem Grund eine Schlacht verloren, gehören Premysl Ottokar II. und Napoleon. Premysl Ottokar II. war ein mächtiger böhmischer Fürst, etwa 1230 geboren, der Sohn von König Wenzel I. von Böhmen. Friedrich II., der letzte Babenberger, fiel 1246 in der Schlacht an der Leitha, und damit begann das Interregnum, „die kaiserlose, die schreckliche Zeit“. Im Privilegium minus war auch die weibliche Erbfolge vorgesehen, und so heiratete Friedrichs Schwester Margarethe den um zwanzig Jahre jüngeren Premysl Ottokar, der damit zum Herzog von Österreich, der Steiermark, von Kärnten, dem Egerland, der Windischen Mark und Krain wurde, außerdem war er Markgraf von Mähren. Ottokar wollte unbedingt römisch-deutscher König werden. 

Zum Herrscher des Heiligen Römischen Reiches wurde von den Kurfürsten 1273 aber Rudolf I. von Habsburg gewählt – wohl aus der Überlegung heraus, der „unbedeutende Habsburger“ würde ihrer Macht weniger schaden. Ottokar bestritt die Wahl Rudolfs zum König, und am 26. August 1278 kam es schließlich im Marchfeld bei Dürnkrut und Jedenspeigen zur entscheidenden Schlacht, bei der Ottokar geschlagen und anschließend von den Adeligen aus Rache ermordet wurde. Damit war Habsburg als führende Dynastie Europas grundgelegt. Europa hätte sich komplett anders entwickelt, wäre die Schlacht anders ausgegangen: Die Steiermark und Kärnten wären zu Nebenländern Böhmens geworden, es hätte weder Maximilian I. noch Kaiserin Maria Theresia gegeben, und das weltumspannende Reich Kaiser Karls V. wäre keines geworden. 

Während des Dreißigjährigen Krieges war das Marchfeld Aufmarschgebiet der schwedischen Truppen, während der Zweiten Türkenbelagerung von Wien 1683 wartete das kaiserliche Entsatzheer an der March auf das Eintreffen des polnischen Königs Jan Sobieski zur Befreiung Wiens und verhinderte damit, dass Mitteleuropa osmanisch wurde. Bei Aspern und Essling verlor Napoleon 1809 gegen Erzherzog Carl den Nimbus des Unbesiegbaren, im Zweiten Weltkrieg wurde das Marchfeld Aufmarsch- und Kampffeld der Sowjettruppen zur Einnahme des nördlichen Bereichs von Wien gegen Hitlers deutsche Wehrmacht. 

Prinz Eugen, der edle Ritter

Eine der herausragendsten Persönlichkeiten Europas war Prinz Eugen von Savoyen (1663–1736). Er wollte französischer Feldherr werden, aber Ludwig XIV. verstieß den Hochadeligen, der flüchtete nach Österreich, wo ihn Kaiser Leopold I. aufnahm. Er wurde dank seiner außerordentlichen Intelligenz, seines Feldherrentalents, seines politischen Weitblicks und seiner hervorragenden Diplomatie zu einer historischen Schlüsselfigur: Er begründete Habsburgs Aufstieg zur Kontinentalmacht. Er führte gegen die Türken siegreiche Schlachten – bei der Zweiten Türkenbelagerung Wiens mit 70.000 Mann gegen 150.000 Osmanen – und errang zahlreiche Siege gegen die Franzosen. 

Seinen enormen Reichtum setzte er mit erlesenem Kunstsinn zum Bau von Schloss Belvedere in Wien und Schloss Hof im Marchfeld ein. Schloss Hof ist ein sich in sieben Terrassen zur March hin erstreckendes Landschafts- und Garten-Gesamtkunstwerk von über einem Kilometer Länge, mit Brunnenanlagen, Wasserspielen und einer großen Kaskade, begleitet von mächtigen Skulpturen. Ein barocker Prunkbau, der überwältigend genug war, um nach Prinz Eugens Tod von Maria Theresia erworben und ihrem Gatten, Kaiser Franz Stephan von Lothringen, als Sommerresidenz geschenkt zu werden.

Wahrlich, Österreich hat dem Marchfeld viel zu verdanken! Aber auch das Marchfeld hat Prinz Eugen viel zu verdanken!