„Die Stipendiaten bringen auch etwas nach Deutschland, wovon wir profitieren können: Eine andere Sicht auf die Dinge“

Gespräch mit MdB Hendrik Hoppenstedt über das Internationale Parlamentsstipendium (IPS) des Deutschen Bundestags

Hendrik Hoppenstedt, Leiter des Auswahlausschusses für das diesjährige IPS-Programm Foto: Tobias Koch

Gruppenfoto früherer IPS-Stipendiatinnen und Stipendiaten im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus in Berlin Foto: Achim Melde/Deutscher Bundestag

In einer Zeit, in der uns die Weltgeschehnisse glauben lassen könnten, dass die Zukunft durch das Recht des Stärkeren bestimmt wird und demokratische Systeme in die Bredouille kommen können, soll das Internationale Parlaments-Stipendium (IPS) des Deutschen Bundestages  genau das Gegenteil beweisen, dass nämlich Werte wie Toleranz, gegenseitiges Miteinander, Respekt und voneinander Lernen Werte sind, die eine Zukunft haben, motiviert MdB Hendrik Hoppenstedt, parlamentarischer Geschäftsführer der in der Opposition agierenden CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. Hoppenstedt stand als Leiter des Auswahlausschusses für das diesjährige IPS-Programm in Bukarest dem ADZ-Redakteur Șerban Căpățână Rede und Antwort.

Herr Hoppenstedt, warum sind Sie hier in Bukarest und nehmen persönlich an der Auswahl der Stipendiaten teil?

In Deutschland ist die CDU/CSU nun in der Opposition, und das bedeutet, dass ich wesentlich stärker im Parlament tätig sein kann als damals, als ich in der Bundesregierung war. Derzeit bin ich parlamentarischer Geschäftsführer. Das bedeutet: Wir unterstützen die Fraktionsvorsitzenden bei der Organisation der Oppositionsarbeit, und dazu gehört eben auch, dass man in verschiedenen Kommissionen sitzt.

Ich hatte dann die Möglichkeit, bei den IPS-Auswahlgesprächen dabei sein zu können und habe mir tatsächlich die Gruppe Südost- europa ausgesucht. Dazu gehört Rumänien, Bulgarien und der Westbalkan. Ich finde das einfach interessant, ich wollte schon immer mal hierher – habe das aber bisher noch nicht geschafft. Ich schäme mich fast ein bisschen, dass man eigentlich einen so wichtigen Teil Europas so noch nicht kennengelernt hat. Das wollte ich ändern und deswegen bin ich froh, dass ich diese Reise machen durfte.

Wer sind die Stipendiaten und welche Auswahlkriterien gibt es?

Das Programm adressiert eine klare Zielgruppe. Freundlicherweise übernehmen die Botschaften vor Ort die erste Auswahl derjenigen Stipendiaten, von denen sie glauben, dass sie eine Chance haben, aufgenommen zu werden. Erstens benötigen sie sehr, sehr gute Deutschkenntnisse, damit sie auch gut mitarbeiten können – denn wenn es größere sprachliche Kommunikationshürden gibt, kann man in einem Abgeordnetenbüro nicht arbeiten.

Gleichzeitig muss man auch einen Draht, eine Affinität zur Politik haben, um eben auch mit „Gespür“ mitmachen zu können. Wenn die Stipendiaten dann in ihre Heimatländer zurückkehren, sollten sie auch für diese politischen Dinge „brennen“. Denn wenn sie das nicht tun, bringen sie sich zivilgesellschaftlich nicht ein. Unser Wunsch wäre natürlich, dass sich unsere Stipendiaten auch mit ihrem Erfahrungsschatz einbringen. Natürlich sollen sie nicht eins-zu-eins das einführen, was man in Deutschland gelernt oder gesehen hat.

Die Stipendiaten haben sicherlich auch selbst ein Gespür dafür, was ihnen in Deutschland gefallen hat und was Sinn machen würde, im Heimatland anzustoßen, um möglicherweise eine Veränderung herbeizuführen, bzw. was auf gar keinen Fall passen würde. Das müssen die Stipendiaten selber entscheiden und die entsprechende Mehrheit diesbezüglich finden, d. h. die entsprechenden Leute daheim überzeugen.

Das heißt, es gibt keine politischen Kriterien?

Man muss kein Politiker sein, um am Programm mitmachen, teilnehmen zu können. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer müssen unter 30 Jahre alt sein, meisten haben sie bereits studiert.
Sie sollten wach im Kopf sein und einen Veränderungswillen haben und auch Veränderungsbereitschaft zeigen. Diesen Leuten wollen wir Impulse geben. Was sie damit machen, ist dann ihre eigene Entscheidung.

Wie waren bisher Ihre Erfahrungen mit den Stipendiaten?

Es gibt durchwegs ein sehr hohes Niveau, fast überall wird nahezu perfektes Deutsch gesprochen, meistens ein hohes politisches Interesse, teilweise bereits gepaart auch mit Tätigkeiten in diesem Bereich – bei NGOs, bei Abgeordneten oder bei einem anderen zivilgesellschaftlichen Engagement.

Es ist natürlich schon wichtig, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gut Deutsch sprechen und gleichzeitig auch ein politisches Verständnis haben, denn wenn sie im Bundestag drei Monate lang bei einem Abgeordneten arbeiten, dann sollen sie auch das Gefühl haben, dass sie etwas tun können und dass sie sinnvoll eingesetzt werden. Dafür brauchen wir ein Grundverständnis. Danach wird ausgewählt.

Wie schätzen Sie ein, welche Erfahrungen die Stipendiaten zurück nach Hause bringen werden?

Ich würde Ihre Frage sogar ein bisschen erweitern: Viele Leute glauben, in Deutschland wäre alles perfekt – ist es aber nicht. Die Stipendiaten bringen auch etwas nach Deutschland, wovon wir profitieren können: Eine andere Sicht auf die Dinge.

Es gibt viele Dinge, die wir in Deutschland verbessern müssen, beispielsweise die Digitalisierung... wo wir jetzt nicht gerade Vorreiter sind. Da sind aber manche Länder, aus denen die Stipendiaten kommen, viel weiter als wir.

Die grundsätzliche Idee des Programms ist aber, dass die Stipendiaten unser politisches System kennenlernen und eine Idee, wie man Demokratie organisieren kann, in ihre Heimatländer zurücknehmen können. Da haben sie auch die Möglichkeit eines Vergleichs mit ihren eigenen Systemen, und vielleicht kann das eine oder das andere auch ein Ansporn sein, etwas in den Heimatländern zu verändern.

Wie gesagt: Es ist ein Geben und Nehmen. Die Stipendiaten kommen aus 50 Ländern und können ihr System und ihre Erfahrung den Abgeordneten vorstellen. Und davon können wir auch etwas lernen.

Hier oder im Balkan geht man oftmals davon aus, dass das Wissen aus Deutschland zu holen ist – es ist interessant zu hören, dass das IPS-Programm eigentlich in beide Richtungen läuft.

Ich würde das genauso unterstreichen: Wir sind sicherlich in vielen Bereichen auf Grund der Jahrzehnte an Vorsprung etwas besser aufgestellt als etwa im Westbalkan. Aber es ist beileibe nicht so, dass bei uns alles perfekt ist. Das Thema Digitalisierung habe ich bereits genannt. Dann: Wie lange es dauert, um große Infrastrukturprojekte wie Autobahnen, Eisenbahnen usw. zu bauen. Das sind Jahrzehnte.

Ich könnte eine ganze Menge an Dingen nennen, wo ich glaube, dass wir auch Reform in der Erfahrung benötigen. Von daher glaube ich, dass es ein Geben und Nehmen ist und ein beidseitiger Nutzen.

Wie beurteilen Sie die Zukunft des gesamten Projekts?

Das Projekt läuft bereits seit Langem. Über die Jahrzehnte haben wir über 2800 Stipendiaten als Gäste in Deutschland begrüßen dürfen. Seitdem das Programm in Rumänien und Bulgarien läuft, seit 1994/1995, hatten wir 120 Stipendiaten aus dieser Region. Für das nächste Jahr haben wir wieder zwölf ausgesucht und wir werden das Programm sicherlich fortsetzen.
Es aber schon so, dass es etwas sehr Besonderes ist und auch bleiben soll. Deswegen werden wir es nicht wesentlich ausweiten. Wenn wir es tun würden, dann mög-licherweise in die Regionen der Welt, in denen wir gar nicht vertreten sind. Natürlich ist das Ganze auch finanziell relativ teuer, denn die Stipendiaten erhalten auch einen Lohn, freie Kost und Logis, um fünf Monate auf unsere Einladung vor Ort sein zu können.

Wir haben jetzt 50 Länder, die mitmachen, und wir schauen uns ganz genau an, ob es nicht Regionen gibt, beispielsweise Afrika, wo wir das Programm implementieren können. Auch das sind Regionen der Welt, mit denen wir uns einen guten Austausch erhoffen.

Herzlichen Dank für das interessante Gespräch.


Über 2800 Stipendiaten haben seit der Gründung des Internationalen Parlaments-Stipendiums (IPS) des Deutschen Bundestages in Berlin 1986 teilgenommen. Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde es auch für Mittel-, Ost- und Südosteuropäer erweitert. Das Programm, dessen Kernstück aus einem Praktikum bei einem Bundestagsabgeordneten besteht, dauert fünf Monate. Die drei Berliner Universitäten (Humboldt-Universität, Freie und Technische Universität) sowie die deutschen politischen Stiftungen bereichern es mit Lehrveranstaltungen, Seminaren und Studienreisen. Die Stipendiaten gewinnen für ihre Zukunft politische Erfahrungen aus erster Hand; viele sind später in Politik, Verwaltung, Verbänden und NGOs tätig.