Die Überlieferungslücken schließen

ADZ-Gespräch mit Dr. Michaela Nowotnick über das Erfassen von Quellen zur deutschen Literatur und Kultur in Rumänien

Foto: Michael Mundt

Das Zentralarchiv der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien beherbergt auch Frieder Schullers Filmarchiv, u. a. den Film „Der Glockenkäufer“. Foto: Michaela Nowotnick

Das Projekt zur Erfassung und Notsicherung in Privatbesitz befindlicher Quellen und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur in Rumänien stellte Dr. Michaela Nowotnick Ende November in einem Vortrag im Begegnungs- und Kulturzentrum „Friedrich Teutsch“ in Hermannstadt vor. In dem hier befindlichen Zentralarchiv der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien (ZAEKR) sind außer kirchlichen Beständen auch Vor- und Nachlässe siebenbürgischer Kulturschaffender archiviert, das Teutsch-Haus ist aber auch Projektpartner. Nowotnick ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für deutsche Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin, wo sie ihre Dissertation mit dem Titel „Die Unentrinnbarkeit der Biographie. Eginald Schlattners Roman ‘Rote Handschuhe’ – Eine Fallstudie zur rumäniendeutschen Literatur nach 1945“ verteidigt hat. Im Zuge der umfangreichen Forschungen in Siebenbürgen baute sie Kontakte zu Persönlichkeiten auf, die Bestände besitzen, welche zu dokumentieren eine dringliche Aufgabe ist. Über das Projekt und die in seinem Rahmen gesteckten Vorhaben sprach Hannelore Baier mit Dr. Michaela Nowotnick.

Ihren Vortrag bezeichneten Sie als „Werkstattbericht“. Warum das?

Vorgestellt habe ich ein Projekt, das 2015 in Zusammenarbeit mit dem Institut für deutsche Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin in Rumänien durchgeführt wurde. Das Projekt wurde finanziert durch eine Bundeszuwendung zur Erforschung und Präsentation deutscher Kultur und Geschichte im östlichen Europa, gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages. Das Ergebnis soll eine Dokumentation von Schriftgut und anderen Quellen der deutschen Bevölkerung in Rumänien sein. Mein Fokus liegt auf Beständen von Schriftstellern und Künstlern, d. h. deren Vor- und Nachlässen, bzw. auf deren Verwaltung. Während der Umsetzung ist deutlich geworden, dass das Projekt weiter zu fassen ist und auch institutionelle Konvolute und Familienarchive berücksichtigt werden sollten.

Wie viele Bestände konnten Sie im Verlauf des Jahres 2015 registrieren?

Ausführlich registriert und dokumentiert habe ich zehn Bestände, aber auf meiner Liste befinden sich noch weitere kleinere Sammlungen und Sammlungssplitter. Anfangs war nicht zu übersehen, wie viele Bestände vorhanden sein könnten. Es gibt ja die These vom „großen Bildersturm“, die ich oft gehört habe, d. h., es sei im Zuge des Exodus alles vernichtet worden. Es wurde viel vernichtet, das stimmt, aber es hat sich doch mehr erhalten, als man gemeinhin angenommen hat und diese Feststellung ist ein erfreuliches Ergebnis des Projektes.

Welche Bestände haben Sie dokumentiert in Rumänien?

Dokumentiert habe ich, um nur einige Beispiele zu nennen, den Nachlass von Harald Krasser, das Filmarchiv von Frieder Schuller sowie die Tagebücher und Kalender von Eginald Schlattner, die dieser bislang zu Hause gehalten hat. Hinzu kommen die umfangreiche Sammlung des Architekten Dr. Hermann Fabini sowie der Bestand der „Hermannstädter Zeitung“ und die noch vorhandenen Dokumente der ADZ.

Wieso kamen die Institutionen dazu?

Ich hatte im Vorfeld nach Zeitungs- und Verlagsarchiven geforscht, mir wurde aber immer wieder gesagt, es sei alles vernichtet worden oder bei Umzügen und durch äußere Einflüsse verloren gegangen. Deshalb waren institutionelle Konvolute anfangs nicht mit eingeplant. Nun hat sich herausgestellt, dass dem vielfach nicht so ist und bei genauerem Nachforschen sind zum Teil geschlossene Bestände oder Bestandsreste aufgetaucht. Diese sind natürlich unbedingt erhaltens- und schützenswert. Gern hätte ich noch weitere Unterlagen gefunden, wie solche der „Neuen Literatur“ oder aber Verlagsarchive wie das der deutschen Abteilung des Staatsverlags. Leider sind hier die Bemühungen bislang ins Leere gelaufen. Manches hat allerdings in Privatbesitz überdauert, wie Manuskripte, die Autoren von den Verlagen zurückgeschickt wurden, zum Teil mit Anmerkungen, sodass man darüber einiges erschließen kann.

Warum ist das Sichern dieser Bestände wichtig, wen interessieren sie heute noch?

Erhaltenswert sind diese Bestände, weil es sich bei den Rumäniendeutschen um eine sehr interessante deutsche Minderheit handelt, die bis zur Wende in einer vergleichsweise großen Gemeinschaft lebte, innerhalb der man auch immer Deutsch gesprochen hat. Es ist eines der wenigen Beispiele in den Ländern Osteuropas, wo man „deutsch leben“ und „sein“ konnte. Hier hat manches überdauert, was man in anderen Teilen der Welt nicht mehr findet. Interessant ist zudem die enge Bindung an Deutschland und da sowohl an die Bundesrepublik als auch an die DDR, denn zu beiden Staaten gab es Kontakte, die Spuren hinterlassen haben. Zu den Rumäniendeutschen gibt es eine große Zahl an Sekundärtexten, Zeitzeugenberichte und in Deutschland gibt es die schon lange bestehenden sammelnden Institutionen. Inzwischen hat sich aber auch in Rumänien eine vergleichbare Archivlandschaft entwickelt. Jetzt ist es an der Zeit zu versuchen, die Überlieferungslücken zu schließen. Diese bestehen vor allem seit den 1930er Jahren und umfassen auch und vor allem die kommunistische Zeit.

Es fehlen vielfach Quellen, aus denen man forschen kann. Doch hat sich in Privatbesitz einiges erhalten und jetzt ist eine gute Zeit, diese Bestände zu sichern. Mein Ansatz ist also zu erfassen, was vorhanden ist, bevor etwas verloren geht, das unbedingte Relevanz für die Forschung hat. Was einem zum jetzigen Zeitpunkt eindeutig erscheint, kann in Jahrzehnten nicht mehr nachvollziehbar sein. Archivmaterialien sind hierbei sehr wichtig, um Wissen zu transportieren und für die Zukunft zu erhalten. Es ist zum Beispiel wunderbar, wenn man eine geschlossene Zeitungskollektion hat, aber es ist umso wichtiger, dass man verstehen kann, wie diese Zeitung gemacht wurde. Letztend-lich können so Fragen zum Umfeld der Rumäniendeutschen, ihrem Leben und dem kulturellen Bereich beantwortet werden. Durch das Sammeln, Auswerten und Bewahren ist es zudem auch möglich, das „Forschungsgebiet Rumäniendeutsche“ bekannter zu machen.

Was machen Sie nun konkret?

Meine Aufgabe ist es nicht, die vorgefundenen Konvolute zu übernehmen und in Archive zu übergeben, sondern sie vor Ort zu dokumentieren. Hierbei schaue ich, was ist bei wem in welchem Zustand erhalten geblieben, welchen Umfang die Sammlungen haben und wie man damit langfristig umgehen könnte. Zudem soll mit der jeweiligen Person eine Lösung gefunden werden, die für alle zufriedenstellend ist. Dabei stehe ich beratend zur Seite. Sammlungen können aber auch übernommen werden, sofern der Besitzer bzw. Verwalter damit einverstanden ist und die rechtlichen Rahmenbedingungen erfüllt sind. Dann werden sie in die entsprechenden sammelnden Institutionen überführt. Was ich immer anbiete ist, vorhandene Video- und Audiomagnetbänder digitalisieren zu lassen, damit die Informationen darauf nicht verloren gehen.

Wohin werden bzw. sollen die registrierten Bestände kommen?

Das ist von Fall zu Fall zu unterschiedlich. Was ich mache, ist eine Empfehlung auszusprechen. Ich arbeite eng mit dem ZAEKR in Hermannstadt zusammen, aber wenn Unterlagen und andere Materialien eher an eine andere Stelle gehören, weil beispielsweise die Person lange Zeit in einer bestimmten Stadt gelebt hat oder sich der Großteil des Vor- oder Nachlasses bereits in Deutschland befindet, kann man überlegen, den gesamten Bestand in einer dortige Institution zusammenzuführen. Es geht auch darum, die Sammlungen nicht zu sehr zu zersplittern. Sehr wichtig ist eine Kooperation zwischen den Institutionen in Deutschland und Rumänien, dass man voneinander und umeinander weiß und die Inhalte der Archive gegenseitig kennt.

Was entsteht nun im Rahmen des Projektes konkret?

Ich erarbeite eine Datenbank, in der Informationen zu den Konvoluten verzeichnet sind. Es handelt sich um Auskünfte zu den Besitzern bzw. Verwaltern der Bestände, wie die Unterlagen dorthin gekommen sind oder ob es sich um Familienbesitz handelt. Aufgenommen wird auch, ob der Bestand abgegeben werden soll, welchen Umfang er hat und in welchem Zustand er ist sowie was sich genau darin befindet. Ich mache zudem Fotos und führe Interviews mit den entsprechenden Personen. Die Datenbank soll zeigen, wo unmittelbarer oder späterer Handlungsbedarf besteht. Sie soll zudem eine Übersicht bieten, was überhaupt noch existiert. Alle Informationen werden vertraulich behandelt und nur in Absprache mit den besitzenden oder verwaltenden Personen öffentlich gemacht.

Müssen die Leute befürchten, dass, wenn sie ihre Tagebücher, Fotos, Aufzeichnungen usw. abgeben, Intimitäten in die Öffentlichkeit geraten?

Nein, natürlich nicht, denn dafür gibt es sogenannte Sperr- oder Schutzfristen, die man auf die Bestände legt. Hierfür bestehen Vorschriften, die in den jeweiligen Archivgesetzen verankert sind. Grundsätzlich kann man aber auch mit den Archiven und sammelnden Institutionen individuelle Fristen vereinbaren, innerhalb derer die Bestände für die Nutzung nicht freigegeben sind.

Warum ist es so wichtig, diese Bestände jetzt zu registrieren?

Zum einen drohen Überlieferungsketten abzureißen, weil die Gemeinschaft relativ klein geworden ist und oftmals die Nachkommen nicht mehr vor Ort sind, um übernehmen zu können. Darüber hinaus kann es auch vorkommen, dass die zweite oder dritte Generation nicht mehr weiß, was sie mit einzelnen Dokumenten, zum Beispiel Manuskripten, Briefen oder auch Tagebüchern anfangen soll. Was man jetzt übernimmt oder registriert, kann man sehr gut erschließen, wenn man aber in zehn oder 20 Jahren einen Stapel Fotos bekommt, ist es bisweilen sehr mühselig oder auch unmöglich, die darauf abgebildeten Personen, Ortschaften oder Umstände der Aufnahme auszumachen.

Gezeigt haben Sie beim Vortrag als Beispiel eines mittlerweile digitalisierten Films von Frieder Schuller die Aufzeichnung des Trauergottesdienstes für Bischof Albert Klein. Wer hat die Digitalisierung durchgeführt und was umfasst dieser Filmbestand?

Die Digitalisierung wurde in der Medienstelle der Humboldt-Universität durchgeführt. Dort bestehen sehr gute Möglichkeiten, die Filme auch nachzubearbeiten. Bei größeren Film-Beständen müsste man aber versuchen, im Land eine Möglichkeit zu finden, am besten in unmittelbarer Nähe des Ortes, wo sie gelagert sind. Das Filmarchiv von Frieder Schuller ist ein sehr wichtiger Bestand, der im Rahmen des Projektes ins ZAEKR übernommen wurde. Schuller war be-kanntlich Ende der 1970er Jahre ausgereist, ist aber immer wieder nach Rumänien gekommen und hat hier Spielfilme gedreht. Abseits der offiziellen Aufnahmen hat er aber immer auch andere Materialien gesammelt, er ist rumgefahren, hat Interviews geführt, hat die Kamera einfach laufen lassen, wodurch viele unzensierte Filmsplitter entstanden sind.

Gefilmt hat er den Trauergottesdienst für Albert Klein (im Februar 1990), er ist aber zum Beispiel auch an den Tagen unmittelbar nach der Revolution mit mehreren Personen durch Hermannstadt gelaufen und hat sie vor der Kamera erzählen lassen, wie sie die Zeit des Umbruchs erlebt haben. Sein Filmarchiv brachte Schuller 1990, als er sich den Katzendorfer Pfarrhof einrichtete, aus Deutschland hierher. Es ist gut, dass er die Filme jetzt abgegeben hat, weil sie nun nutzbar gemacht werden können. Dieser große Bestand soll im ZAEKR demnächst aufgearbeitet werden, aber dazu benötigt es eines neuen Projektes. Momentan kann man die Filmrollen nicht abspielen, weil sie verschmutzt sind und das Material beschädigt würde. Restauriert, digitalisiert und verzeichnet wird man die Aufnahmen aber auch für die Forschung verwenden können.

Wohin kann man sich wenden, wenn man seine Privatsammlungen begutachten und möglicherweise abgeben möchte?
Es ist immer gut, sich möglichst frühzeitig damit auseinanderzusetzen, was mit eigenen oder zur Aufbewahrung übergebenen Familienarchiven, aber auch Fotosammlungen und Bibliotheken geschehen soll. Grundsätzlich stehen hierfür sammelnde Institutionen wie Museen, die Staatsarchive, das ZAEKR oder das Kronstädter Archiv der Honterus-Gemeinde als Ansprechpartner zur Verfügung. Man kann sich aber auch gern persönlich mit mir unter michaela. nowotnick@hu-berlin.de in Verbindung setzen.