„Die Wälder kommen alleine gut zurecht“

Urwald-Experte Matthias Schickhofer im Gespräch mit ADZ-Redakteurin Veronika Zwing

Foto: Martha Rieß

Der Umweltaktivist, Autor und Naturfotograf Matthias Schickhofer war jahrelang für verschiedene NGOs tätig, 1996 war er einer der Initiatoren des erfolgreichen „Gentechnik Volksbegehren“ in Österreich, 2007 machte er sich als Berater und Fotograf selbstständig. Zu seinen Kunden gehören etwa der WWF (World Wide Fund for Nature) oder Vier Pfoten. Neben anderen Publikationen erschien 2015 der Band „Unser Urwald. Die letzten wilden Wälder im Herzen Europas“ mit Fotografien und Reiseberichten auch aus Rumänien. 2018 erschien das „Schwarzbuch Alpen“ über die Zerstörung und mögliche Rettung der Alpen als Natur- und Lebensraum. Dazu kommen zahlreiche Artikel und Foto-Features in verschiedenen Magazinen und Zeitungen, unter anderem „Geo“, „Süddeutsche Zeitung“ oder „Der Standard“.

Wie ist es gekommen, dass Sie sich für rumänische Urwälder interessieren?

Das ist ein bisserl zufällig passiert – ich war ja lange Zeit bei Greenpeace und in der Zeit auch für Rumänien zuständig, wo ich vor etwa 20 Jahren das Büro mit aufgebaut habe. Damals war das große Thema die Vergiftung der Umwelt – zum Beispiel hat eine Firma ihr Abwasser direkt in den Somesch geleitet, da haben wir mit Tauchern nach dem Rohr gesucht…
Und dann gab es diese Katastrophen-Dammbrüche in Baia Mare und Borșa. Das war ein eher unüblicher Einsatz – normalerweise prangert man Firmen als Umweltverbrecher an, aber da ging es um Fundraising für diese Betriebe, damit die ihre Dämme verbessern können, sie hatten schlicht das Geld nicht dazu. In Borșa saß der Direktor in Mantel und Fellmütze im ungeheizten Büro, und dahinter hat ein einsamer Bagger versucht, diese Giftschlammlawine irgendwie einzudämmen. Ich hab damals Freunde gefunden in Rumänien, und die haben mich, 2012 glaub ich, in den Retezat-Nationalpark gebracht – so hab ich die Urwälder das erste Mal gesehen.

Damals waren die aber noch kein Thema für Greenpeace?

Wir hatten sehr wenige Ressourcen, und da gab’s von Greenpeace klare Vorgaben – alles kann man nicht machen, dann macht man nichts wirklich. Gentechnik war so ein Schwerpunkt, es gab den Versuch von Monsanto und anderen Konzernen, in Rumänien quasi übers Hintertürl gentechnisch veränderte Pflanzen nach Europa einzuschmuggeln und so die Ernte zu kontaminieren – dafür wurden Bauern bestochen oder überredet, das anzupflanzen. Mit dem Plan, dass man eines Tages sagen kann: Gentechnik-frei gibt’s in Europa sowieso nicht mehr, also kann man es gleich erlauben. Das war der erste große Skandal, den wir in Rumänien bekannt gemacht haben, um diese Tür wieder zuzukriegen, was uns auch gelungen ist.

Ab wann wurden die Wälder ein Thema?

Ab etwa 2005, 2007, da sind die massiven Abholzungen losgegangen, teilweise auch aufgrund der Restitutionen. Heute gibt es deshalb diese unglaublichen Kahlschläge, etwa in der Maramuresch, wo 3000 Hektar zusammenhängend kahlgeschlagen sind, vermutlich jenseits von jeder Legalität. Das ist jetzt ein ökologisches Notstandsgebiet – das wird möglicherweise eine Steppe werden, der Wald kommt in Zeiten der Klimakrise wahrscheinlich nicht mehr zurück.
Und nicht nur der Kahlschlag selbst ist ein Problem: Die Böden trocknen auch zum Beispiel durch Forststraßen aus, die völlig blindwütig gebaut werden – die werden einfach in den Hang gegraben, nichts wird gesichert, man holt das Holz raus – und hinter uns die Sintflut. Das sind dann große Erosionsherde, weil die Straßen eine Drainage-Wirkung haben und so die Hänge und damit Wälder austrocknen.

Wer ist Ihres Erachtens verantwortlich für die katastrophale Situation?

Von den insgesamt 38 Millionen Kubikmeter, die jährlich in Rumänien geschlagen werden, sind nur 20 bewilligt. Bei einer so großen Menge ist klar, dass das System alles durchdringt, dass da ganz viele irgendwie mitmachen. Der staatliche Forstbetrieb Romsilva spielt hier eine starke Rolle, die organisieren ja Holzernte und -verkauf für den Staatsbesitz und große Flächen von Privatbesitzern. Soziale Aspekte kommen noch dazu: Wie mir Freunde aus Rumänien erzählen, hat Romsilva seit den Restitutionen nur noch halb so viel Wald zu verwalten, aber immer noch gleich viele Angestellte, die werden sehr schlecht bezahlt und greifen so möglicherweise eher zu, wenn sich eine Gelegenheit bietet für halb legale oder illegale Nebeneinkünfte. Und dazu kommen die alten Netzwerke, durch die, wie man in Rumänien hört, auch kriminelle Dinge abgewickelt werden können. Die haben ihre Wurzeln in der kommunistischen Ära, und die Art, wie kritische Zeitgenossen denunziert und bedroht werden, das riecht auch ein bisserl noch nach den Ruinen der Securitate.

Gibt es denn Verbindungen zwischen Securitate und Romsilva?

Das weiß ich nicht – ich weiß nur von rumänischen Umweltschützern, dass die sozusagen in altkommunistischer Manier bedroht werden, von verschiedenen Stellen. Während eines Workshops kommen Leute in den Raum, stellen sich nicht vor, schauen finster, machen Notizen und gehen grußlos wieder. Das ist ein eindeutiges Zeichen. Ein Freund, der mehrmals bedroht wurde, hat gesagt: Das ist Einschüchterung genau wie vor 1990.

Funktioniert die Zusammenarbeit von NGOs mit den Forstbehörden?

In den letzten vier Jahren durfte ich ein wissenschaftliches Projekt koordinieren, wir haben Urwälder kartiert für den ‚Katalog der Urwälder‘. Da gab es wilde behördliche Schikanen – die haben unsere Experten x-mal in den Wald zurückgeschickt, weil immer irgendwas beanstandet wurde. Das hat extrem viel Zeit und Geld gekostet – da wurde im Grunde deutsches Stiftungsgeld durch die Schikanen der rumänischen Behörden verbrannt. Die wollten offensichtlich verhindern, dass Flächen unter Schutz kommen, unsere Leute waren da nicht sehr willkommen. Und das ist natürlich dramatisch, weil das zeigt, dass bei manchen Leuten in der Forstbehörde kein Wille da ist, diese wertvollen Wälder zu schützen.

Ein Problem ist auch die Unwissenheit: Zum Beispiel kartierten wir einen Urwald, und der Forestguard sagt: Laut Forstmanagementplan ist der Wald im Durchschnitt höchstens 90 Jahre alt, ein Urwald muss aber mindestens 150 Jahre alt sein. Und dann stellt sich durch Kernbohrungen von Wissenschaftlern heraus – viele Bäume sind gar 200, 250 Jahre alt! Wenn das ein schlechter Boden ist oder ein felsiger, trockener Südhang, dann werden die Bäume nicht groß. Die älteste Buche der Alpen steht in Oberösterreich, die ist 550 Jahre alt und hat einen Durchmesser von 73 cm, also eigentlich ein kümmerlicher Baum. Aber manche Förster sehen nur Festmeter und haben keine Ahnung von Ökologie, dann gilt für die nur das als Urwald, wo gewaltige Bäume stehen.

Wie schätzen Sie die Situation momentan in Rumänien ein?

In Rumänien werden viel zu wenige Ur- und Naturwälder geschützt. Nach unserer Studie gibt es etwa 500.000 Hektar potenziell ökologisch sehr wertvolle Wälder – auf den Luft- und Satellitenbildern sieht es so aus, dass diese Wälder sehr artenreich sind, dass sie sehr alte Baumbestände haben und noch überhaupt nicht oder kaum bewirtschaftet worden sind. Das sind Wälder von einer Qualität, wie man sie in Deutschland oder Österreich kaum mehr findet.

Aber im Urwaldkatalog sind gerade mal 30.000 Hektar Urwald verzeichnet! Das liegt auch daran, dass die Kriterien dermaßen streng sind, dass fast keine Wälder da hineinfallen – dann kann man sagen: Aha, in diesem Wald sind die Bäume zu dünn, oder da wurden schon mal zehn Bäume vorsätzlich umgeschnitten, um dann sagen zu können: Das ist jetzt kein Urwald mehr und kann nicht geschützt werden.

Ein Wald ist kein Urwald mehr, wenn dort Bäume gefällt wurden?

Ja, wenn zu viele Bäume pro Hektar fehlen, dann entspricht das nicht mehr den Urwald-Kriterien. Daher haben wir unsere Kartierungs-Ergebnisse nicht im Detail veröffentlicht, um Panikeinschläge zu vermeiden. Die Greenpeace-Studie etwa ist ja öffentlich, da gibt’s Online-Karten – und mir wurde berichtet, dass manche Waldbesitzer in genau diesen Gebieten dann ein paar Bäume umsägten, um sicher zu gehen, dass die nicht unter Schutz gestellt werden.

Gab es auch positive Entwicklungen in den letzten Jahren?

Ja, illegale Machenschaften sind schwieriger geworden, weil es bessere Kontrollsysteme gibt. Die Hochblüte der Kahlschläge war vor etwa 15 Jahren. Aber es wird immer noch massiv in Ur- und Naturwäldern eingeschlagen, auch in Bufferzonen von Nationalparks und Natura 2000-Gebieten. In diesen dürfen natürliche Ökosysteme in einem günstigen Erhaltungszustand aber nicht verschlechtert werden. Intakten Ur- und Naturwäldern gilt daher besonderer Schutz. Um den Schutz dieser wertvollen natürlichen Wälder durchzusetzen, hat die EU ja im Februar 2020 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen den rumänischen Staat eingeleitet.

Quasi ein mediales Synonym für das System aus Korruption und Abholzung im Forstsektor wurde ja die Firma Schweighofer. Dem Unternehmen wurde vorgeworfen, im großen Stil Holz eingekauft und nicht wirklich kontrolliert zu haben, wo das herkommt. Aber es gibt auch noch etliche andere Firmen, die sich in Rumänien angesiedelt haben – aus Österreich Kronospan und Egger, und dann Firmen aus Spanien, der Türkei, USA…

Schweighofer gibt an, jetzt streng zu kontrollieren – kann man dem vertrauen?

Die haben wahrscheinlich mehr verbessert als die anderen Holz-Konzerne – eben weil die so viel mediale Aufmerksamkeit bekommen haben. Sie haben jetzt einen Head of Compliance, den ehemaligen Geschäftsführer des Umweltdachverbandes Österreich, und in dieser Abteilung sitzt auch ein ehemaliger Kampagnenleiter von Greenpeace – vielleicht hat man gehofft, dass die NGOs so ein bisserl eine Beißhemmung bekommen. Aber Schweighofer ist einfach immer noch zu riesig und marktbeherrschend, die können überhaupt nicht kontrollieren, dass all die Zulieferer – und da haben sie sehr viele – nicht schwindeln.

Was hat Schweighofer konkret verändert?

Sie haben ein eigenes Tracking-System mit GPS-Technologie eingeführt. Aber damit können sie halt nur ihre eigenen LKWs überprüfen, man kann immer noch das illegal geschlagene Holz auf eine Sammelstelle bringen, und dann holt es der Schweighofer-LKW von dort ab. Man muss aber sagen, Schweighofer hat die Sägen für die ganz dicken Stämme nicht – das heißt, die kaufen eher Fichten aus den jüngeren Wirtschaftswäldern. Aber, wenn man sich dann den Nachbarbetrieb Kronospan ansieht, da liegen die dicken Buchen mit einem Durchmesser von einem Meter oder mehr herum – das sind uralte Bäume. Weil damals von der Firma selbst niemand mit uns reden wollte, haben wir uns mit den LKW-Fahrern unterhalten, und da waren zwei mit einer Lieferung aus dem Natura 2000-Gebiet im Țarcu-Gebirge. Dort gab es, wenn man sich die Satellitenbilder anschaut, noch vor 20 Jahren wunderschöne große Buchen-Urwälder, viele davon sind aber heute schwer durchlöchert.

Warum ist es so wichtig, diese Urwälder zu erhalten?

Ein Großteil der Artenvielfalt ist gebunden an ein Waldalter von mindestens 150, 200 Jahren – nur in alten Wäldern gibt’s anspruchsvolle Arten wie Spechte und Eulen, Fledermäuse, Totholz-Käfer und Flechten, die findet man nicht in einer Monokultur. Die ist ökologisch eigentlich tot, quasi ein Baum-Acker.
Wichtig in der Klimakrise ist auch, dass Urwälder viel widerstandsfähiger sind gegen Trockenheit – unter anderem durch Pilze, die mit den Bäumen in Verbindung stehen. Der Pilz bekommt Zucker von den Bäumen ab, und transportiert Nährstoffe und Wasser aus tiefen Bodenschichten zu den Baumwurzeln. Deshalb können Trockenperioden einem Urwald wenig anhaben, das sieht man etwa im Fogarascher Gebirge. Aber wenn man in einen stark ausgedünnten Wirtschaftswald geht, sind die Bäume alle verdorrt und braun.

Haben Sie zum Schluss noch ein erfreuliches Beispiel?

Naturschutz kann auch erheblich zur Entwicklung der Wirtschaft beitragen. Wenn man sich das Thema Nationalparks anschaut, also sozusagen die „Flaggschiffe“ des Naturschutzes, dann gibt es Beispiele, wie das gut funktionieren kann, etwa in Österreich.
Die Nationalparks sind meist nicht sehr groß, aber gut gemanagt und bringen mit dem Tourismus Geld in die Region, ohne Abholzung. Die Finanzierung erfolgt je zur Hälfte von der Republik und der Provinz, die sind also unabhängig vom staatlichen Forstbetrieb, sodass der nicht wie Romsilva seine Marionetten einsetzen kann.

Es wird ein fachlich qualifizierter Direktor eingesetzt, der von einem Beirat aus Wissenschaftlern und NGOs kontrolliert wird. Abgesehen von der Borkenkäferbekämpfung am Rand wird in diese Wälder überhaupt nicht eingegriffen, die Wirtschaftswälder werden wieder zu Urwäldern, auch die Forststraßen werden wieder zurückgebaut. Bei einer Exkursion vor zwei Jahren in einem Nationalpark waren auch Leute von Romsilva dabei, und wie uns erklärt wurde, dass man die Straßen wieder zurückbaut, sind sie ganz fassungslos dagestanden… Förster tun ja gerne so, als wäre der Wald ohne sie verloren. Aber die Wälder kommen alleine gut zurecht, immerhin haben sie 350 Millionen Jahre ohne Förster ganz gut überlebt.