Die Walz ist noch aktuell

Wanderschaft durch ganz Europa: Handwerksgesellen als Botschafter für duale Ausbildung im Westen Rumäniens

Die traditionelle Gesellentracht wird auch bei der Arbeit nicht abgelegt.

Den Tischlergesellinnen macht die Arbeit sichtbar Spaß. | Fotos: der Verfasser

Weißes Hemd, graues Halstuch, manchmal ein schwarzer Schlapphut: Das ist, rein optisch, das Markenzeichen der so genannten „fahrenden Wandergesellen.“ Da möchte man meinen: Ein Zopf von gestern und vorgestern das Ganze – junge Handwerker, die nach der Ausbildung durch die Lande ziehen, mal hier, mal da mitarbeiten und natürlich überall auch etwas dazulernen. „Auf der Walz” – das war einmal!? 

Weit gefehlt! Junge Handwerkerinnen und Handwerker gehen nach ihrer Lehre wieder verstärkt auf Wanderschaft – und das gerne mal quer durch ganz Europa. 30 von ihnen haben sich derzeit in Temeswar zusammengefunden – aber nicht nur das: Sie sollen dort auch die Werbetrommel rühren für das Modell der dualen Berufsausbildung, das bekanntlich in Deutschland Standard ist.

„Hallo, ich bin die Luzie und komm aus dem Erzgebirge!“; „Hallo, ich bin der Richard und komme aus Limbach-Oberfrohna im schönen Mittelsachsen.” Und: „Ja, und wir sind beide Tischler, vom Gewerk her!” Ort der Begegnung: Temeswar, Westrumänien: Dort bohren und sägen Luzie und Richard, die beiden Tischler-Gesellen aus Deutschland, derzeit nach Herzenslust, gemeinsam mit etwa 30 weiteren jungen Handwerksgesellen aus allen Ecken Deutschlands. Man redet sich und andere nur mit dem Vornamen an – eine alte Tradition unter Jung-Handwerkern auf der Walz. 

„Abgesehen von Deutschland war ich in Skandinavien, war mal im Portugal, auf den Kanaren, mal in Österreich, mal in der Schweiz, Slowakei, Ungarn – und jetzt hier in Rumänien.“ – „Also, so angeben wie die Luzie kann ich jetzt nicht: Norddeutschland, Süddeutschland, das Allgäu, Dänemark, Schweiz – und nun in Rumänien.“ Das war Richard.

Den Gesellenbrief in der Tasche – und ab geht’s durch die Welt: Junge Wandergesellinnen und -gesellen knüpfen dabei an eine alte Tradition an, die Walz. 

Das Hauptmotiv – Luzie: „Was vorne ansteht: Ich möchte die Schönheit der Welt sehen: Und ja – natürlich möchte ich mich beruflich weiterentwickeln, vieles ausprobieren. Ich kann ja auch mal beim Schmied arbeiten, beim Steinmetz. Also eine große Bildungsreise im weitesten Sinne und auf allen Ebenen, die man sich vorstellen kann.“ Und Richard: „Man lernt auch etwas für sein Handwerk. Zum Beispiel ist es etwas ganz anderes, wenn man in Norwegen war, die dortige Arbeitsweise kennen lernt, oder in Portugal, wo man nur mit Nagel und Hammer versucht, aus einer Tür ein Regal zu bauen, weil die Leute einfach weniger haben.“

Nicht minder spannend: Die Begegnung mit anderen Auffassungen über Arbeit. „In Rumänien heißt es: Alles einfach machen. Und nicht so viel erwarten, Organisation und Sonstiges. Das heißt aber nicht, dass beim Endprodukt nicht so viel dabei rumkommt, sondern dass man die Gegebenheiten nutzen sollte, wie man sie vorfindet, und nicht diesen deutschen Standard erwartet, also dass alles von vorne und hinten geplant ist, dass alles da ist, immer gleich parat liegt.“

Auf der Walz ist häufig der Weg das Ziel: Reisen per Autostopp, nicht viel Geld ausgeben… „Ja, immer der Nase nach… „Es gibt ein schönes Beispiel: Die Leute fragen uns: Wo kommt ihr her? Und dann zeigen wir mit dem Daumen nach hinten und sagen: Wir kommen von da. Dann fragen die Leute: Wo geht Ihr hin? Und dann zeigen wir mit dem Zeigefinder nach vorne und sagen: Da. Oftmals weiß man’s einfach noch nicht.“

In diesen Tagen weiß man’s in Temeswar schon: Die jungen Frauen und Männer in ihren Handwerkstrachten treffen sich in Westrumänien, um beim Bau einer Gesellenherberge mitzuhelfen – im Auftrag von Kolping-Rumänien, einem Ableger der katholisch geprägten Kolping-Familie in Deutschland. 

Daneben wollen sie vor Ort in Schauwerkstätten öffentlich zeigen, was sie können – und dabei auch jungen Menschen in Rumänien das System der dualen Berufsausbildung nahebringen, das aus einem Mix aus Lernen im Betrieb und in der Berufsschule besteht: „In Rumänien ist das sehr wichtig, weil es hier keine duale Ausbildung mehr gibt – mit Ausnahme einiger weniger Modellprojekte, so Peter Hochmuth, Vorsitzender des deutschsprachigen Wirtschaftsclubs Banat.  

Gut ausgebildete Fachkräfte finden – das ist auch für die deutschen Unternehmer in Rumänien schwierig. Deswegen würde Peter Hochmuth das Modell der dualen Ausbildung gerne auch in Rumänien flächendeckend verwirklicht sehen. 

Allerdings: „Das Bildungssystem, der Staat ist das große Problem. Also ich weiß gar nicht, mit wie vielen Bildungsministern und Staatssekretären wir bisher gesprochen haben. Kaum hat’s einer kapiert, wird er ausgewechselt!“ Wo die Politik lahmt, sollen es nun – wenigstens ein kleines Stück weit – die Handwerksgesellen aus Deutschland richten mit ihrer Arbeit in Temeswar. 

Für die junge Tischlerin Mirou aus Berlin ist es wichtig, „…dass die Leute wissen, dass man praktisch und theoretisch etwas lernen kann und muss. Generell ein Ausbildungssystem zu haben, ist sehr wichtig. Und insofern ist es ganz gut, dass wir hier zeigen können, dass wir da einen guten Start in eine gute Richtung haben.“

(Bearbeitung für die ADZ: Werner Kremm)