Die Zeitspirale

Symbolfoto: sxc.hu

Die Zeit verhält sich, wie ich vielfach beobachten konnte, ganz und gar nicht wie ein linearer Pfeil, sondern eher wie eine aufrecht stehende Spirale: Alles, was es einmal gab, kehrt in sich zyklisch wiederholenden Perioden unweigerlich irgendwann zurück. Nun mag man sich aber fragen, worin sich die Höhenkomponente einer solchen Zeitspirale ausdrückt? Ganz einfach: in den Preisen! Denn Preise für gewisse Dinge steigen ebenfalls nicht linear und kontinuierlich, sondern schnellen in zyklischen Rhythmen scheinbar unmotiviert spontan nach oben. Betrachten wir hierfür doch einfach mal die Mode. Die Röcke, die meine Mutter in jungen Jahren trug, wurden auf einmal wieder aktuell, als ich selbst im Backfischalter war. Gleiches Modell mit kleinen Variationen, doch so teuer, als hätte man das karierte Miniröckchen in jahrelanger Forschungsarbeit völlig neu erfinden müssen – nur, dass mir das damals noch nicht weiter auffiel, weil ich mich nicht aus edlen Boutiquen, sondern aus der Faschingskiste vom Speicher versorgte.

Das Aha-Erlebnis für die Hypothese der Zeit-Preis Spirale kam mir dann fast vierzig Jahre später. Mein Mann und ich explorierten gerade den Markt auf der Suche nach Handwerkern, die nach alter Manier ein Holzhäuschen mit Lehm-Rossapfelpampe isolieren, ein donaudeltataugliches Schilfdach binden oder ein Wohngebäude aus Strohballen errichten können. Nicht nur, dass wir finanziell keine großen Sprünge machen wollen, outen wir uns hiermit als hoffnungslose Zurück-zur-Natur-Romantiker, die es mangels Realitätssinn bekanntlich schwer im Leben haben... So versetzte uns auch der Satz des Architekten, der gerade ein entzückendes Lehmhaus mit muschelförmigem Schindeldach aufskizzierte, dessen Preis einer schallenden Ohrfeige gleichkam, an den Rand einer Ohnmacht: „Mit Naturmaterialien bauen? Das ist mindestens dreimal so teuer als mit Beton, Wellplastik und Styropor!“

Wie das? Nun, die ökologischen Wollisolationsmatten werden zu aberwitzigen Preisen aus Deutschland importiert, obwohl Schaflöckchen in Rumänien spottbillig sind, doch nur die unbehandelte Variante, die auch den Motten schmeckt. Wer aber will riskieren, dass sein neues Haus gleich von Insekten gefressen wird? Flicht man hingegen Hanfmatten, wie früher unter Fischern gang und gäbe, gilt man nicht als urig-traditionsbewusst, sondern als Fall für die Drogenpolizei. Wir wollten das Isoliermaterial aber eigentlich gar nicht rauchen. Die über Jahrhunderte üblichen Lehm-Strohziegel sind mittlerweile echte Kunst, weil kaum noch jemand die Technik beherrscht. Auch Wissen ist schließlich Geld. Öko-Haus nennt sich der neue Trend, der früher normal und daher billig war, bis er aus der Mode kam, und wieder erneut in Mode, aber zum n-fachen Preis und in Luxusausführung. Genau wie Muttis karierte Minis.

Oder wie das Biogemüse, das sich in Westeuropa heute nur leisten kann, wer entsprechend gut verdient. In Rumänien ist es auf Märkten noch gelegentlich anzutreffen, und sogar günstig, weil nur wenige Leute angewelkte Pasternaken von alten Weiblein kaufen, wenn es das alles im Supermarkt farbvollendet und in taktil ansprechender Festigkeit oder in Dosen und Würfelform gibt. Nach meiner Hypothese der Zeit-Preis-Spirale wird die Zukunft daher bald so aussehen: Das ökologische Gemüse verschwindet von der Bildfläche, die bunten Bauernmärkte folgen hinterher, um fünf bis zehn Jahre später erneut und in Luxusform wieder aus der Versenkung aufzutauchen – natürlich zum n-fachen Preis! Als Ex-Münchner sag ich nur: „Viktualienmarkt“.

Offenbar ist die Zeit-Preis-Spirale ein unüberwindbares Naturgesetz, das wie die Lichtgeschwindigkeitsgrenze durch keine Technik dieser Welt überlistet werden kann. Faustregel: Je größer der Windungsradius, desto steiler der Anstieg. Tja, gegen die Physik ist man eben machtlos, die macht nicht so wie man will. Das hat selbst der gute Einstein schon bitter erfahren müssen.