Differenzierte Berichterstattung hängt auch vom Publikum ab

„Hermannstädter Gespräche“: Journalist Peter Miroschnikoff zu Gast im Spiegelsaal

Links im Bild Hannelore Baier, die eine Laudatio auf den neuen Träger der Silbernen Ehrennadel des DFDR, Peter Miroschnikoff (zweiter von rechts), verlas. Rechts neben ihr IfA-Kulturmanagerin Aurelia Brecht, gefolgt vom spannend erwarteten Hauptgast des „Hermannstädter Gespräches“, und Dr. Paul-Jürgen Porr, dem es als Student in Klausenburg/Cluj-Napoca während der 70er-Jahre des 20. Jahrhunderts möglich war, den „Spiegel“ regelmäßig zu beziehen und zu lesen. Bis die Zensur sich anfangs „klein“ und letztlich „groß“, d. h. total, einschaltete. | Foto: Klaus Philippi

Hermannstadt – „Es ist ein widerliches Land. Es sind die Affen Europas. Es sind uninteressante Lumpen. Sie sitzen tagsüber in Kaffeehäusern rum, arbeiten hat sie noch kein Mensch gesehen. Sie beziehen sich manchmal aus dunklen Stellen viel Geld, manchmal gar nichts. Sie haben einen gebügelten Anzug, und Lackschuhe auf sicherlich ungewaschenen Füßen“, ätzte Kurt Tucholsky 1918 in einem Brief an seine Freundin nach einem Rumänien-Aufenthalt. Für Sibiu dagegen hatte der Publizist und Feldpolizist im Auftrag des von Berlin aus gelenkten Kaiserreichs allerhöchstes Lob übrig: das „entzückende“ Hermannstadt mit seinen „winkligen Gassen“, einer „wundervollen Bevölkerung“ und „sehr gutem Essen, nicht zu vergessen“, wäre „bestes, altes, gutes Deutschland“. Ex-ARD-Korrespondent für Mittel- und Südosteuropa Peter Miroschnikoff verzichtete Dienstag, am 3. Mai, im Spiegelsaal des Demokratischen Forums der Deutschen in Hermannstadt (DFDH) auf das Lesen der vorteilhaften Korrespondenz-Passage, und war sich auf dem Zenit des ersten „Hermannstädter Gespräches“ im Kalenderjahr 2022 so gut wie sicher, dass sein in der Europäischen Kulturhauptstadt von 2007 versammeltes Publikum nicht allzu „schockempfindlich“ sein könne.

Als ein bundesdeutscher Medienprofi, der jahrzehntelang versucht hat, in der Rumänien-Frage „ausgerechnet“ einen seiner „Lieblings-Schriftsteller“ zu widerlegen, wusste Journalist Peter Miroschnikoff genau, wann die Gesprächszeit im Spiegelsaal genügend Reife für das Zitieren polemischer Kritik aus historischer Quelle einer über hundert Jahre alten Vergangenheit erreicht, ohne dass Zuhörenden das Urteil von Tucholsky übermäßig sauer aufstößt. „Ein anderes Rumänienbild in deutschen Medien“ – das Plakat der Begegnung mit dem Deutsch verstehenden und sprechenden Hermannstadt hätte an diesem Nachmittag einfach keine alternative Überschrift vertragen.

„Das Image des Landes im Westen, nicht nur in Deutschland, ist bedeutend schlechter als die Lage“, resümierte Dr. Paul Jürgen-Porr, Vorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR) und neun Jahre jünger als Gesprächspodiums-Nachbar Peter Miroschnikoff. „Bad news are good news“, bemühte der 1942 in Danzig geborene Soziologe einen der markigen Sprüche von Mark Twain. Mit nur 17 Jahren habe er nach einer Vorführung des britischen Horrorfilms „Dracula“ die allererste Kinokritik seiner Laufbahn geschrieben. Bald darauf spürte Peter Miroschnikoff, dass „man zu wenig Storys sucht“. Und längst schon ist er der Meinung, dass eine richtig gute Journalisten-Ausbildung zum „Triple-Check“ erziehen müsse.

Ehe das Publikum sich mit in die Debatte einschalten konnte, stellte ifa-Kulturmanagerin Aurelia Brecht als Moderatorin Miroschnikoff und Dr. Porr die ersten Fragen des „Hermannstädter Gespräches“. Auch Ex-ADZ-Redakteurin und Historikerin Hannelore Baier war ein Platz im Quartett an der Spitze der Veranstaltung eingeräumt worden. Wo aktuell unter Schülern und Studenten im westlichen Ausland „keine Vorurteile“ gegenüber Rumänien kursierten, hätten die meisten westlichen Journalisten während Rumänien-Besuchen bisher stets gezielt über negative Situationen und Sensationen zu berichten gesucht, so die aus Schäßburg/Sighișoara stammende Autorin von Beiträgen und Herausgeberin von Dokumenten zur Zeitgeschichte der deutschen Minderheit in Rumänien. War Kurt Tucholsky mit seinem Rumänien-Bericht nur einem international bereits festgefahrenen Kurs aufgesessen, oder hat seine spitze Feder ihn erst losgetreten?

Differenzierte Berichterstattung ist vor allem dort zu finden, wo das Publikum offen für sie ist. Die Erfahrung, in einem ausschließlichen Tonfall entweder Anerkennendes oder Schlechtes über Rumänien gesagt bekommen zu haben, ist sowohl der amtierenden Konsulin der Bundesrepublik Deutschland in Hermannstadt, Kerstin Ursula Jahn, als auch manchen Ruheständlerinnen und Rückkehrerinnen, die es privat ohne Dienstaufträge nach Rumänien verschlagen hat, gemein. „Die PR-Branche hat einen schlechten Ruf. Aber es wäre wichtig, dass Siebenbürgen und Rumänien mindestens zwei bis drei gute PR-Leute bekommen“, schloss Peter Miroschnikoff, dem Dr. Paul-Jürgen Porr zu Ende des „Hermannstädter Gespräches“ die Silberne Ehrennadel des DFDR anheftete. Für den Geehrten selbst „keine Überraschung, aber eine große Genugtuung.“