Dinogetia und Troesmis – Galatz im Frühling

Archäologietourismus am Limes entlang

Auenwälder unter Wasser, Brăila

Rückweg von Dinogetia per Pferdedroschke Foto: Eugenia Kovacs

Blick auf einen Wehrturm von Dinogetia

Altstadt von Brăila
Fotos (3): Michael Marks

Es ist so schön grün in Galatz/Galaţi, meinte ein Kollege. Also, warum nicht einmal dem Rat folgen und dort in Ruhe den ersten Mai genießen, statt den Strand mit der Party- und Clubbing-Gemeinde in Vama Veche und Mamaia zu teilen. Für den unausrottbaren Dracula-Fan: Hier landete laut Bram Stoker Dracula, um über den Sereth und die Bistritz wieder zurück zu seinem Schloss zu gelangen.  Andere äußerten Bedenken, weil in dieser Industrie- und Hafenstadt, der die meisten Reiseführer keine Seite gönnen,  man höchstens Fisch essen könne, wenn man denn Donaukarpfen mag.

Schon die Fahrt dorthin erwies sich, trotz mancher Unkenrufe, als durchaus angenehm - keine Staus, stattdessen grüne oder rapsgelbe Felder. In Brăila verfuhren wir uns kurz, was uns einen Abstecher durch die Innenstadt einbrachte, auch hier durchaus ansehnliche baumbestandene Alleen, gesäumt von alten hochherrschaftlichen Villen. Die werden wir uns sicher näher anschauen, nahmen wir uns vor. Die Strecke von Brăila nach Galatz führt über einen Damm entlang der Donau. Um diese Jahreszeit herrscht Hochwasser, das die Auenwälder  überflutet. Ein Anblick wie in dem Film „Aferim“, wenn Vater und Sohn durch die halbertrunkenen Wälder reiten, und in der Tat liegen einige der Originalschauplätze des Films in dieser Gegend.

Am Horizont erscheint schließlich das hochgelegene Galatz. Links die ausgedehnten Industrieanlagen von Arcelor Mittal - aber zumindest an diesem 1. Mai bleibt der Himmel blau - und rechts unzählige Kräne, viele verrostet, die von der einstigen Bedeutung des Hafens sprechen. Durch einige Gässchen gelangen wir ans Ziel: eine kleine Pension am Steilufer hoch über der Donau gelegen mit weitem Blick über den Fluss und die sumpfige Ebene bis zu den bläulich schimmernden Măcin-Bergen. Am Ufer schlängelt sich die begrünte Uferpromenade bis zum Hafen, auf der die Bewohner an diesen Tagen flanieren, Rad fahren oder angeln. Durchaus einladend für einen Spaziergang, den wir die nächsten Tage auch unternehmen.

Allerdings, den ursprünglichen Plan, uns mit den römischen Wällen rund um Galatz zu beschäftigen, geben wir erst einmal auf, denn die meisten Felder stehen unter Wasser. Aber ganz möchten wir auf antike Ziele nicht verzichten, warum dann nicht mit den leichter zu lokalisierenden Kastellen beginnen? Gleich gegenüber auf dem anderen Ufer der Donau liegt das alte Dinogetia und nur wenige Kilometer weiter das antike Troesmis.

Auf den Spuren der Römer

Beinahe wären wir auch in Dinogetia gescheitert. Auch hier versperrt ein ausgedehnter Sumpf den Weg. Allerdings sind wir nicht allein mit unserem Problem. Eine Gruppe von jungen Leuten aus Galatz verhandelt bereits mit dem Wärter, wie über den Sumpf zu kommen sei. Für den scheint das alles kein Problem, demonstrativ watet er durch das Wasser. Also auf ins Abenteuer, die Jugend macht den Anfang und schiebt sich mit dem Auto langsam durch die Fluten, wir folgen ebenso, und tatsächlich, es klappt. Wir treten gemeinsam unsere Führung an, durch blühendes Kraut, ohne in die Vorratssilos zu fallen, turnen über die antiken Mauern, alles gut befestigt, so wird versichert.

Die Ursprünge der mit 14 massiven Wehrtürmen befestigten Anlage reichen zurück in das 1.Jh.n.Chr. Als Teil des Donau-Limes sollten die Kastelle verstärkt  während der einsetzenden Völkerwanderungszeit im dritten und vierten Jahrhundert die wechselnden Volksstämme vom Einfall in das Reich abhalten. Im Namen Dinogetia steckt ja schon der Name der Geten, einem Volk, das bereits vor der römischen Herrschaft hier ansässig war. Trotz der exponierten Lage am äußersten Rand des Imperiums musste auf Luxus nicht verzichtet werden.

So findet sich selbst ein römisches Bad etwas außerhalb des Kastells, dessen Grundmauern ebenfalls noch heute zu sehen sind. Ausgebaut und mit Kirchen versehen wurde das Kastell selbst noch unter dem Kaiser Johann Tzimiskes bis zur endgültigen Aufgabe im 12.Jahrhundert.  Angeregt spekulieren wir gemeinsam über die strategische Bedeutung oder das ausgeklügelte System einer römischen Badeanlage. Gut, dass wir erst ganz zum Schluss die zusammengebrochenen Mauerteile gesehen haben. Hier waren die Konservatoren nicht so erfolgreich, der Turm scheint nur kurz gestanden zu haben, wir wären wohl nicht so fröhlich über die anderen Mauern gesprungen, wenn dies der Anfang der Führung gewesen wäre. Die Rückfahrt durch den Sumpf gehen wir gelassener an. Nach uns folgen noch weitere Besucher, die den 1. Mai für einen Abstecher in den nahegelegenen Măcin Nationalpark genutzt haben und für die nun, da unmotorisiert,  eigens ein Pferdewagen organisiert wird. Archäologie kann Spaß machen. Vielen Dank und noch einen schönen ersten Mai wünschen wir einander und sind durchaus beeindruckt vom Unternehmungsgeist der Jugend aus Galatz, die sich nicht einmal von einem Sumpf abhalten ließ.

Archäologietourismus wie vor hundert Jahren

Beschwingt durch diesen Erfolg begeben wir uns auf die Suche nach dem nächsten Ziel, dem ungleich bedeutenderen Legionslager und Municipium Troesmis. Ausgrabungen, wenn auch in bescheidenem Umfang, erfolgten bereits im 19.Jh. durch die Franzosen Ambroise Baudry und Gustave Boissière und später durch Grigore George Tocilescu. Zuletzt, seit 2011, forscht hier das österreichische Institut für Kulturgeschichte der Antike mit dem Archäologischen Institut der Rumänischen Akademie der Wissenschaften, um eine Aufnahme und Prospektion zur Siedlungsgeschichte durchzuführen. Kurz nach dem Dörfchen Greci biegen wir wieder auf einen Feldweg ab.

Am Wegesrand Trümmer moderner Epochen – der letzten Kriege oder der kommunistischen Ära? Und was für eine verrostete gigantische Leitung führt hier quer durch die Landschaft? Schließlich landen wir in einer Kuhherde, die Hirtenhunde werden schon unruhig. Die Hirten thronen hoch oben auf den Resten des alten Kastells. Am Fuße kann man die Fundamente der Türme entdecken. Wir grüßen und erklären, was der Zweck unseres Einbruchs in diese Schäferidylle ist. Die Herren sind sich durchaus der besonderen Lokalität bewusst, aber hier gibt es keinerlei orts- und geschichtskundige Wärter.

Als archäologischer Tourist können wir hier umherschweifen wie vor hundert Jahren. Eine Ruine, wohl eine Basilika, steht hart am Abgrund hoch über dem Altarm der Donau. Der Ausblick ist in jeder Hinsicht atemberaubend. Für die Daker, Geten, Goten, Hunnen, Awaren und später Slawen und all die Stämme, die mit dem Imperium um die Vorherrschaft rangen, müssen diese hochaufragenden Festungen des Reiches ein beeindruckender Anblick gewesen sein. Pläne und Zeichnungen dieser Anlage zeigen Bastionen, Paläste, Wasserleitungen und andere öffentliche Einrichtungen sowie in byzantinischer Zeit Basiliken, von denen bis jetzt noch so gut wie nichts freigelegt ist und die sich unter den grünen Hügeln dieses Plateaus verbergen. Für heute sind wir zufrieden mit der antiken Ausbeute und kehren über die Donau nach Br²ila zurück.

Noch Anfang des 20. Jahrhunderts einer der wichtigsten Hafenorte mit internationalem Flair scheinen die Alleen im Zentrum von Brăila rund um den Trajansplatz heute beschaulich. Dennoch, die opulente Architektur der leider oft verfallenden Villen beeindruckt noch immer, ebenso wie die zahlreichen Kirchen und Gotteshäuser verschiedener Religionen und Konfessionen. Gleiches gilt für Galatz, auch hier liegen Schönheit und Verfall dicht nebeneinander. Manchmal braucht man nur um eine Ecke zu gehen. Nette lauschige Gartenlokale und gleich danach verwahrloste, aufgerissene Straßenzüge, großzügige Uferpromenaden und sozialistische Wohnblöcke folgen einander übergangslos. Wer Überraschungen liebt, kommt hier auf seine Kosten.

Ausgelassen bei dieser ersten Annäherung haben wir, neben dem Besuch der Museen, die häufig empfohlenen Naturreservate z. B. des kleinen Donaudeltas. Zumindest im Sommer sollte man seinen Aufenthalt hier, wie auch in den anderen Naturreservaten, rechtzeitig vorher planen. Für uns jedenfalls ein Grund, einmal wiederzukommen. Fisch essen kann man in Galatz übrigens auch - und nicht nur Donaukarpfen.