Dreißig Jahre Maifest in Hermannstadt

Die Besichtigung einer siebenbürgisch-sächsischen Tradition

Die Drittklässler der Hermannstädter Schule Nr. 16 führen 1996 die Sternenpolka im Jungen Wald auf. | Foto: Archiv Hermannstädter Zeitung

Maifest im Jahr 1930 | Foto: Archiv Brukenthalmuseum

Der Trachtenaufmarsch führte auch in diesem Jahr vom Huetplatz über die Lügenbrücke und über den Kleinen und Großen Ring. | Foto: Aurelia Brecht

In diesem Jahr feierte das Demokratische Forum der Deutschen in Hermannstadt das dreißigjährige Bestehen eines Frühlingsbrauchs. Wie kam es zur Wiederaufnahme des Maifestes im Jahr 1991? Was veränderte sich im Laufe der Jahrzehnte? Die Artikel in der Hermannstädter Zeitung, die seit der Wiederaufnahme des Brauchs regelmäßig zum Maifest berichtet hat, lesen sich wie ein Fenster in die Vergangenheit – und präsentieren auch humoristische Aspekte, Anekdoten und die obligatorischen Pannen einer Traditionsveranstaltung. Denn das Gelände im Jungen Wald, auf dem zumindest der zweite Teil des Fests regelmäßig ausgerichtet wird, ist ein Sumpfgebiet... Aber dazu später.

Ein Blick auf die Anfänge zeigt, dass das Vorgängerfest des Frühlingsbrauchs das „Waldfest“ war, das schließlich durch den durchschlagenden Erfolg eines Schulfests – eben das Maifest – abgelöst wurde. Die Ursprünge des Maifests liegen laut Carl Göllners „Siebenbürgisch-sächsischem Heimatbuch“ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Erstmalig am 13. Mai 1865 haben es die Schüler des „evangelischen Gymnasiums“ „Majalis“ begangen.  

Bilder aus den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts zeigen, dass der Aufmarsch durch die Hermannstädter Innenstadt im Hof der Brukenthalschule begann – was bis ins Jahr 2023 so geblieben ist. Auch die Hermannstädter Nachbarschaften waren damals mit dabei. Die Route führte am Brukenthalmuseum vorbei über den Großen Ring bis in den Jungen Wald. Damals legte man die ganze Strecke zu Fuß zurück. In den dreißiger Jahren finden sich auch Bilder zu einem rumänischen Maifest, „Maialul românesc“, auf denen rumänische Schulklassen zu sehen sind, die in Trachten über die Sporergasse am Forum vorbei über den Großen Ring defilieren.

Das „erste“ Maifest von 1991

Nach einer rund fünfzigjährigen Pause nach dem Zweiten Weltkrieg konnte die Tradition des Maifests wieder aufgenommen werden: Auf Initiative von Kurt Klemens, stellvertretender Vorsitzender des Hermannstädter Forums, und Marga Grau, Biologielehrerin am „Päda“, begann man sich Anfang der neunziger Jahre Gedanken darüber zu machen, wie ein Maifest ausgerichtet werden könnte. Damals erinnerten sich manche noch daran, wie die Maifeste in der ersten Hälfte des Jahrhunderts gestaltet worden waren. Hans Klein, seinerzeit Vorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen in Hermannstadt, erinnert sich an die frühen neunziger Jahre und die Überlegungen, die mit der Wiederbelebung des Brauchs einhergingen: „Man hat zunächst diskutiert, ob das gut ist, wenn man mit dem Aufmarsch durch die Stadt geht. Können wir uns das erlauben? Werden wir nicht die Leute aufregen? Aber wir haben es dann gemacht und darauf keine negativen Rückmeldungen bekommen. Damals hatten die Schulen ja noch einen hohen Prozentsatz deutscher Kinder. Die Frage, ob die Deutschen wiederkommen, lag in der Luft. Unsere Leute waren vielleicht im Vorfeld ein wenig ängstlich. Die Rumänen nicht – das ist das Besondere. In dieser Zeit hat man besonders gemerkt, wie sehr die Rumänen uns schätzen.“ Vielleicht sei das erste Maifest ein Versuch der Selbstdefinierung und Neufindung gewesen.

Im Jahr 1991 titelt die Hermannstädter Zeitung: „Offen sein für die Zukunft. Maifest im Jungen Wald – Freude an Tanz, Spiel und Singen“. Auch Hans Kleins Eröffnungsrede spiegelt das damalige Stimmungsgemisch von Umschwung, Neuanfang und Abschied wider: „Die Knospe oder Blüte weiß nicht, ob sie Frucht werden kann, aber sie blüht trotzdem. Ein Frost kann ihr schaden, auch ein Insekt. Was blüht, ist schön und gefährdet zugleich. So sehr ihr also Gefährdung seht, freut euch mit den Blumen. Wir werden in die Zukunft gehen. Sie wird anders sein als wir erwarten. Es ist aber unsere Zukunft, sie wird Teil unseres Lebens sein. So wünsche ich euch allen, gross und klein, die Lebenskraft des Mai, damit ihr euch freut an Blumen und Grün und wie die Blüten offen seid für die Zukunft.“

In den folgenden Jahren bietet das Fest ein buntes Sammelsurium von Tänzen, Theateraufführungen, künstlerischen Darbietungen und Spielen, deren Austragungsort stets der Junge Wald war: Bändertanz, Reifentanz, Hettlinger, Mühlradl oder lustiger Rüpeltanz stehen oft auf dem Programm. Auch der Auftritt der Neppendorfer Blaskapelle und der H-Musikanten ist eine Konstante. Aber auch „untraditionellere“ Beiträge wie eine Play-Back Show, ein Rap-Tanz, ein Can-Can, verschiedene Schüler-Rockbands, wie die Rockgruppen „Ramm“ und „Ricchochet“ oder die Lieder „Blowing in the Wind“ und „Obladi Oblada“ finden sich als Programmpunkte. In der Anfangszeit lag der Akzent auf den Spielen und dem Schauturnen. In der HZ von 1998 steht: Dann „kam das, was die ältere Generation als den eigentlichen Inhalt des Maifests ansieht, nämlich das Schauturnen.“ Danach folgte die Verleihung von Lebkuchenmedaillen – mitten im Mai!

Nur scheinbar unscheinbare Protagonisten

In der Tat scheint der Regen über die Jahrzehnte eine erfolgreiche Begleittradition des Brauchs gewesen zu sein. Bereits Göllner vermerkt dazu: „Nach dem Sprühregen, der auch fast traditionell wie das Maifest war, kehrte der Festzug nach Hermannstadt zurück.“ In der HZ findet sich meist der obligatorische Hinweis im Ankündigungstext: „Falls es morgen regnet, wird das Maifest verschoben.“ Fast könnte man auf die Idee kommen, in Siebenbürgen regne es öfter als in London – zumindest im Mai. Dementsprechend stolz und fast erleichtert verkündet eine Meldung in der HZ von 1997, dass das diesjährige Maifest nun erstmalig unter einem Festzelt stattfinde: „Wetterunabhängig!“ Im Jahr 2005 fällt das Maifest dann aus – und wird kurzerhand im Juni unter dem Titel „Waldfest“ abgehalten. In Hermannstadt gibt man eben nicht so leicht auf.

So humoristisch dieser Protagonist auch anmutet – er hat über die Jahre auch Auswirkungen auf den Ablauf und den Ort der Veranstaltung: Der Thaliasaal, die Turnhalle der Brukenthalschule und der Kirchhof der Brukenthalschule dienten schon als alternative Austragungsorte. 

Ein wiederkehrendes Festmotiv ist schon seit den neunziger Jahren die Verstärkeranlage. Im Jahre 1998 funktioniert sie „zufriedenstellend“, aber im Jahr 2000 heißt es in der HZ spitz: „Wer unsere Berichte über die Maifeste der Vorjahre noch in Erinnerung hat, vermisst bestimmt die Erwähnung der sagenhaften, für alle Pannen verantwortlichen Verstärkeranlage. Sie konnte zu Beginn dieses Berichts nicht erwähnt werden, denn sie war zu Beginn des Festes gar nicht da. Als sie dann da war, ging sie nicht. Und als sie endlich ging, ging sie zu leise. So entwickelte sie sich auch diesmal zum Hauptdarsteller.“

Auch das Jahr 2003 scheint kein gutes Jahr zu sein: Die Verstärkeranlage funktioniert wieder nicht, weil eine Sicherung durchgebrannt ist. Bier und Mici sind zwar bestellt – kommen aber nie an. Das sorgt selbst unter den Siebenbürger Sachsen für schlechte Laune.

Im Jahr 2004 übernimmt Helmut Lerner, Kulturreferent des Demokratischen Forums der Deutschen in Hermannstadt, die Organisation des Fests. In diesem Jahr sind einige Änderungen zu verzeichnen – die Tanzgruppen richten sich nach einem Minutenprogramm. Und: Endlich funktioniert die Verstärkeranlage! Die Hermannstädter Zeitung attestiert Helmut Lerner deutsche Pünktlichkeit. Alles wird gut.

Das Maifest heute

Im Laufe der Jahrzehnte ist das Maifest immer größer geworden – 2023 nahmen 830 Kinder, Jugendliche und Erwachsene an der Programmgestaltung teil. Nachdem es wegen der Pandemie zwei Jahre lang nicht stattfinden konnte, fiel es in diesem Mai umso größer aus. Nach dem Trachtenaufmarsch in der Hermannstädter Altstadt kamen etwa 2000 Menschen im Jungen Wald zusammen, um die Tanz- und Musikdarbietungen zu erleben. Eine besondere Überraschung war die neu gegründete Lehrertanzgruppe, die die Kinder und Jugendlichen lautstark anfeuerten.

Seit 2018 ist das Fest als Marke eingetragen. Es muss von nun an einige traditionelle Elemente enthalten – wie den Trachtenaufmarsch und den Bändertanz. Eine kleine Broschüre, die die Geschichte des Maifests, traditionelle Elemente und Regeln enthalten soll, ist derzeit in Arbeit. 

Was ist nun das Besondere am Maifest? „Was den Kindern am meisten gefällt ist der Umzug. Dieser Stolz, dass man sich zeigt. Jedes Kind wächst in so etwas hinein. Sie wollen den Aufmarsch entdecken, ihn miterleben. Sie sind stolz, dass sie mitmachen und auftreten“, sagt Helmut Lerner. Hans Klein äußert sich ähnlich: „Für die Kinder ist der Gedanke: Ich mache mit. Und für die Eltern: Unsere Kinder gehen mit. Bei den Tänzen und Spielen braucht man keine wirklichen Sieger. Das förderte man nicht. Man förderte die Gleichheit. Wir sind ein Teil einer Gemeinschaft, die als Gemeinschaft wichtig ist. Man macht etwas – man beachtet uns. Das ist die Faszination. Vielleicht ist das das Faszinierende für die Rumänen an der deutschen Gemeinschaft hier: Die Pflege der Gemeinschaft.“